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Harz | Interessante Preisgabe von Geheimnissen nach archäologischer Spurensuche

Bild exemplarisch

Im dichten Wald bei Wernigerode im Harz liegt ein geschichtsträchtiger Ort, der jahrhundertelang nahezu in Vergessenheit geraten war: das ehemalige Kloster Himmelpforte. Seit 2023 wird das Gelände systematisch archäologisch untersucht – mit erstaunlichen Ergebnissen. Die Funde und Strukturen geben einen tiefen Einblick in das Leben der Augustiner-Eremiten und beleuchten zugleich die politische und soziale Dynamik des ausgehenden Mittelalters. Was zunächst als lokale Grabung begann, entwickelt sich zu einem Projekt von überregionaler Bedeutung – mit internationalem Forschungsinteresse.

Ein Kloster, das Geschichte schrieb

Das Augustinerkloster Himmelpforte wurde um 1253 gegründet. Es war nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region: Fischzucht, Weinbau und Schreibwerkstatt zählten zu seinen Aktivitäten. Der berühmteste Besucher: Martin Luther selbst, der 1516 als Distriktsvikar in das Kloster reiste – vermutlich auf einer Kontrollmission.

Doch im Jahr 1525 endete die Blütezeit jäh. Während des Bauernkriegs wurde das Kloster Ziel eines Überfalls. Aufständische Bauern und Bürger aus Wernigerode stürmten die Anlage, plünderten sie und beschädigten die Gebäude schwer. Einer der Beteiligten war ein Barbier aus Wernigerode, der später zwar begnadigt, aber aus der Stadt verbannt wurde. Nach der Zerstörung wurde das Kloster nicht wieder aufgebaut – es verschwand über die Jahrhunderte beinahe vollständig unter der Erde und im Bewusstsein der Bevölkerung.

Die Rückkehr der Himmelpforte: Ausgrabungen seit 2023

Mehrere geophysikalische Untersuchungen im Jahr 2022 bestätigten, dass sich unter dem Waldboden bauliche Strukturen erhalten haben könnten. Mit Beginn der Grabungskampagne im Juli 2023 unter der Leitung von Prof. Felix Biermann vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt (LDA) begannen systematische archäologische Arbeiten – gefördert mit Bundesmitteln und unter Einbindung freiwilliger Helferinnen und Helfer aus der Region.

Ein Blick auf die Grabungsstruktur

Die Grabungen folgen einem mehrjährigen Plan: 2023 begann die erste Feldsaison, 2024 folgte eine zweite im Spätsommer, 2025 ist die nächste große Ausgrabung geplant. In jeder Phase werden neue Bereiche erschlossen und dokumentiert – mit bemerkenswerten Ergebnissen:

  • Freilegung der dreischiffigen Klosterkirche, deren Maße auf mindestens 40 Meter Länge schließen lassen
  • Entdeckung des Refektoriums mit über einem Meter hohen Fundamentmauern und Strebepfeilern
  • Nachweis einer mittelalterlichen Warmluftheizung im Westflügel – ein Zeichen für ungewöhnlichen Komfort

Funde, die Geschichte erzählen

Die archäologischen Arbeiten förderten zahlreiche Artefakte zutage, die Einblicke in das Alltagsleben, die religiöse Praxis und die wirtschaftlichen Verbindungen des Klosters geben:

Kulturelle Objekte und Alltagsfunde

  • Verzierte Grabplatten adliger Förderer – darunter eine der Claudia von Königstedt (ca. 1520)
  • Schreibgriffel, Buchbeschläge und Pilgerzeichen als Hinweis auf geistliches und administratives Leben
  • Tuchplomben, Messer, Hufeisen, Werkzeuge – Zeichen von Handwerk und Handel

Ein Schatz in der Erde: Goldmünzen und Friedhof

Ein Höhepunkt der bisherigen Kampagnen war die Entdeckung mehrerer Goldmünzen (Goldgulden), die vermutlich während der Unruhen des Bauernkriegs versteckt worden waren. Zugleich wurden bis zu ein Dutzend Skelettgräber aus dem 13. bis 14. Jahrhundert freigelegt – Belege für die klostereigene Begräbnisstätte.

Historischer und wissenschaftlicher Kontext

Das Projekt Himmelpforte wird nicht nur als lokale Ausgrabung wahrgenommen, sondern als wichtiger Beitrag zur europäischen Konflikt- und Klosterarchäologie. Es liefert neue Daten zu sozialen Spannungen am Vorabend der Reformation – und zur Infrastruktur klösterlicher Gemeinschaften in der Spätgotik.

Internationale Perspektiven

Fachportale wie „Medievalists.net“ haben über die Grabungen berichtet. In britischen und amerikanischen Archäologiekreisen wird Himmelpforte als Beitrag zur sogenannten „postmedieval archaeology“ diskutiert – ein Ansatz, der den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit interdisziplinär untersucht. Auch eine zweisprachige Dokumentation des Landesmuseums Sachsen-Anhalt macht das Projekt international sichtbar.

Technik und Luxus im Klosterbau

Besonders bemerkenswert: die Heiztechnik im Westflügel. Die entdeckte Warmluftheizung erinnert an Systeme aus spätmittelalterlichen Burgen wie Burg Sulzbach oder dem Palatium in Ingelheim. Dass ein Kloster derartige Technik einsetzte, spricht für die ökonomische Stärke und den gehobenen Anspruch der Himmelpforter Mönche.

Regionale Einordnung: Der Harz als wirtschaftliches Zentrum

Das Kloster war Teil eines Netzwerks geistlicher und wirtschaftlicher Infrastruktur im Harz. Die Region war im Spätmittelalter stark vom Montanwesen geprägt – Bergbau, Eisenverarbeitung und Waldwirtschaft bildeten die Grundlage für wirtschaftliche Macht. Neue Funde am Nordrand des Areals, darunter Stallanlagen oder Wirtschaftsgebäude, deuten auf ein autarkes Versorgungssystem hin.

Bürgerarchäologie: Ein Modellprojekt mit Beteiligung

Besonderes Merkmal der Himmelpforte-Grabung ist die aktive Beteiligung von Ehrenamtlichen. In jeder Kampagne sind rund 30 regionale Helferinnen und Helfer dabei. Sie werden vorab geschult und arbeiten unter wissenschaftlicher Aufsicht mit – ein Modell bürgernaher Archäologie, das auch überregional Aufmerksamkeit erzeugt hat.

„Ich war erstaunt, wie professionell wir begleitet wurden. Wir haben nicht einfach geschaufelt, sondern wirklich geforscht.“ – Teilnehmerin aus Wernigerode

Gleichzeitig gibt es auch kritische Stimmen aus Fachkreisen, die vor ungewollten Befundschäden durch Laien warnen. Bislang gibt es jedoch keine Berichte über Zwischenfälle, und die Projektleitung betont die intensive Betreuung durch Fachpersonal.

Wissenschaftliche Auswertung und museale Vermittlung

Ein großer Teil der Funde ist bereits im Harzmuseum Wernigerode ausgestellt. Die Schau „Zwischen Himmel und Revolte. Kloster Himmelpforte und der Bauernkrieg“ läuft bis zum 10. August 2025 und zeigt erstmals viele der entdeckten Objekte. Auch das Landesmuseum Halle plant für den Sommer 2025 eine Kabinettausstellung mit ausgewählten Exponaten.

Transparenz in der Wissenschaft

Ein Teil der geophysikalischen Daten, Grabungsberichte und Funddokumentationen wird öffentlich bereitgestellt. Wissenschaftliche Fachpublikationen befinden sich in Vorbereitung, die vollständige Auswertung des Projekts wird sich jedoch noch über Jahre erstrecken – aufgrund der Materialfülle und der interdisziplinären Fragestellungen.

Tabellarischer Überblick: Wichtige Grabungsergebnisse

BereichErgebnis
KircheDreischiffige Basilika, mind. 40 m Länge
RefektoriumMassive Fundamente, Waschbecken, Strebepfeiler
HeiztechnikWarmluftsystem im Westflügel, gehobener Komfort
FundeGrabplatten, Goldmünzen, Schreibutensilien, Werkzeuge
SiedlungserweiterungLandwirtschaftliche Nebengebäude, Stallungen

Zwischen Himmel, Erde und Revolte

Die Wiederentdeckung des Klosters Himmelpforte ist ein Glücksfall für die Archäologie und die Kulturgeschichte Mitteldeutschlands. Sie eröffnet nicht nur neue wissenschaftliche Perspektiven auf das monastische Leben im Mittelalter, sondern zeigt, wie lokale Geschichte durch bürgerliches Engagement, öffentliche Förderung und kluge Vermittlung neue Relevanz bekommt. Noch ist nicht alles ausgegraben – aber eines ist sicher: Die Himmelpforte ist zurück im Gedächtnis der Region. Und sie hat viel zu erzählen.

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.
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