
Wernigerode – Im Herzen des Harzes sorgt ein gigantisches Infrastrukturprojekt für hitzige Diskussionen. Geplant ist ein rund 160 Millionen Euro teurer Tunnel, der die Bundesstraße B244 künftig als Ortsumgehung durch den Fenstermacherberg führen soll. Während Behörden und Befürworter auf eine spürbare Entlastung vom Lkw-Verkehr hoffen, formiert sich in Wernigerode ein breiter Bürgerprotest gegen das Vorhaben.
Ein Millionenprojekt im Harz mit Signalwirkung
Die Stadt Wernigerode, bekannt als „bunte Stadt im Harz“, steht seit Jahren im Spannungsfeld zwischen wachsendem Verkehrsaufkommen und dem Wunsch nach mehr Lebensqualität. Besonders die B244 gilt als Problemachse. Täglich rollen unzählige Lkw und Pkw durch die engen Straßen und historischen Ortsteile, was Anwohner mit Lärm, Abgasen und Staus belastet. Die geplante Ortsumgehung mit einem rund 2,3 Kilometer langen Tunnel soll dieses Problem lösen – doch sie wirft neue Fragen auf. Ist der Preis von 160 Millionen Euro gerechtfertigt? Wie stark wären Natur und Umwelt betroffen? Und was bedeutet das Projekt für die Zukunft der gesamten Harz-Region?
Planungen im Bundesverkehrswegeplan 2030
Im Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) ist die B244-Ortsumgehung als „vordringlicher Bedarf“ eingestuft. Damit gehört sie offiziell zu den Projekten, die priorisiert umgesetzt werden sollen. Das zuständige Landesamt für Straßenbau und Verkehr in Sachsen-Anhalt (LSBB) hat bereits verschiedene Varianten untersucht. Favorisiert wird die sogenannte Variante 1, die einen direkten Anschluss an die A36 bei der Ausfahrt Wernigerode-Zentrum vorsieht. Durch diese Führung soll der Durchgangsverkehr vollständig aus dem Stadtgebiet herausgehalten werden.
Besonders im Fokus steht der geplante Tunnel durch den Fenstermacherberg. Mit seiner Länge von rund 2,3 Kilometern wäre er eines der größten Bauwerke dieser Art in Sachsen-Anhalt. Die Kosten werden derzeit auf rund 160 Millionen Euro geschätzt – ein Betrag, der in Zeiten knapper öffentlicher Kassen für Diskussionen sorgt.
Bohrungen, Untersuchungen und technische Fragen
Um die Machbarkeit des Projekts zu prüfen, laufen seit 2025 umfassende Bodenerkundungen. Bohrungen bis zu 255 Metern Tiefe sollen klären, wie stabil der Untergrund ist und welche geologischen Risiken bestehen. Nur so lässt sich abschätzen, ob ein Tunnelbau technisch sicher und langfristig stabil möglich ist. Diese Untersuchungen sind entscheidend, da die Region rund um den Harz geologisch komplex ist. Hunderte Millionen Euro in ein Projekt zu investieren, dessen Grundlage nicht gesichert ist, wäre politisch und finanziell riskant.
Die Verantwortlichen betonen, dass ohne solide geologische Daten keine Planung weitergeführt werden könne. Doch schon jetzt zeigt sich: Die Skepsis in der Bevölkerung wächst, je deutlicher die Dimensionen des Vorhabens werden.
Bürgerinitiative gegen den Tunnel
Seit Jahrzehnten gibt es in Wernigerode Bürgerproteste gegen den Tunnelbau. Die Bürgerinitiative „B244 – Wernigerode ohne Schwerlastverkehr“ wird von engagierten Anwohnern getragen, die eine ganz andere Lösung fordern. Brigitte Tannert, eine der führenden Stimmen, betont: „Seit über 35 Jahren kämpfen wir gegen dieses Projekt. Es zerstört Natur und Landschaft, ohne die Probleme wirklich zu lösen.“
Die Initiative sieht im Tunnel vor allem eine enorme Geldverschwendung. Stattdessen fordern die Gegner andere Maßnahmen, etwa eine verstärkte Verkehrslenkung, den Ausbau bestehender Straßen oder mehr Investitionen in den Schienengüterverkehr. Aus ihrer Sicht profitieren vom Tunnel in erster Linie Baukonzerne, nicht aber die Bürgerinnen und Bürger von Wernigerode und dem Harz.
Umwelt und Naturschutz im Harz
Ein besonders sensibles Thema ist die Umweltverträglichkeit. Das Büro Daber & Kriege, das die Umweltverträglichkeitsstudie (UVS) erstellt hat, musste gleich mehrere FFH-Verträglichkeitsprüfungen und faunistische Sonderuntersuchungen durchführen. Schließlich liegt die geplante Trasse im Umfeld von FFH- und Vogelschutzgebieten, die europaweit geschützt sind.
Die Gutachten zeigen: Selbst wenn der Tunnel große Teile der betroffenen Gebiete unterquert, lassen sich erhebliche Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets nicht ausschließen. Für das Vogelschutzgebiet hingegen werden keine gravierenden Folgen erwartet. Dennoch bleibt die Kritik groß: Ein Eingriff dieser Dimension im Harz verändert die Landschaft langfristig und birgt ökologische Risiken.
Welche Arten sind betroffen?
- Fledermauspopulationen, die in der Region heimisch sind
- Seltene Vogelarten, die durch Bauarbeiten gestört werden könnten
- Pflanzenbestände in den sensiblen Hanglagen des Fenstermacherbergs
Die Gegner des Projekts nutzen diese Argumente, um die Notwendigkeit eines Baustopps zu unterstreichen. Sie sehen den Harz als Naturraum in Gefahr, während Befürworter den Schutz durch Tunnelbau betonen: Straßen im Freien würden wesentlich stärker in Landschaft und Tierwelt eingreifen.
Politische Dimension und Finanzierung
Das Millionenprojekt hat längst auch eine politische Dimension. Während das Land Sachsen-Anhalt und die Bundesregierung die Ortsumgehung im Harz als notwendig betrachten, verweisen Kritiker auf andere Prioritäten im Verkehrshaushalt. Schulen, Krankenhäuser oder die Modernisierung bestehender Straßen erscheinen vielen Bürgern dringlicher als ein Tunnel für Lkw.
Der Bundestag stellte in einer Drucksache klar, dass es noch keinen Planfeststellungsbeschluss und keinen festen Zeitplan für den Baubeginn gibt. Damit bleibt unklar, ob das Projekt jemals in dieser Form realisiert wird. Für die Region Harz bedeutet diese Unsicherheit ein Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Ablehnung, zwischen Entlastung und Belastung.
Argumente für das Projekt
Befürworter der Ortsumgehung führen mehrere Punkte an, die für den Tunnel sprechen:
| Argument | Nutzen |
|---|---|
| Entlastung der Innenstadt | Weniger Lkw-Verkehr, mehr Lebensqualität in den Ortsteilen |
| Anschluss an A36 | Direkter Verkehrsknotenpunkt, bessere regionale Anbindung im Harz |
| Umweltschutz | Tunnelbau reduziert oberirdische Eingriffe und schützt Sichtachsen |
| Wirtschaft | Verbesserte Logistik, Standortvorteil für Unternehmen im Harz |
Gegnerische Stimmen und Proteste
Die Gegner halten dagegen: Für sie überwiegen die Kosten und die Risiken. Die Bürgerinitiative verweist auf die jahrzehntelange Geschichte des Widerstands, der bis in die 1980er-Jahre zurückreicht. „Wir lassen nicht zu, dass unser Lebensraum zerstört wird“, sagen viele Anwohner, die in unmittelbarer Nähe zur geplanten Trasse leben. Für sie ist klar: Der Harz braucht keine Prestigeprojekte, sondern nachhaltige Lösungen für Mobilität und Lebensqualität.
Historischer Hintergrund: Der lange Streit um die B244
Der Konflikt um die B244 ist kein neues Kapitel. Schon seit über 35 Jahren wird über eine Umgehung diskutiert. Immer wieder gab es Planungen, Varianten und Anpassungen – doch bisher scheiterte das Projekt an fehlenden Mehrheiten, Finanzierungsproblemen oder Widerständen. Dass es nun wieder auf der Agenda steht, zeigt die Dringlichkeit des Problems, aber auch die Hartnäckigkeit der Befürworter.
Wie geht es weiter?
Der weitere Zeitplan bleibt unklar. Zwar laufen die Voruntersuchungen und Bodenerkundungen, doch bis zu einem Planfeststellungsbeschluss kann es noch Jahre dauern. Erst dann wäre ein Baubeginn rechtlich gesichert. Der Bundestag hat zwar die Wichtigkeit bestätigt, aber auch betont, dass ein Starttermin offen ist.
Für die Bürgerinnen und Bürger von Wernigerode und den gesamten Harz bedeutet das: Die Debatte wird sie noch lange begleiten. Ob die Ortsumgehung jemals kommt, ist ungewiss – sicher ist nur, dass das Thema weiterhin für Gesprächsstoff sorgt.
Ein Projekt zwischen Hoffnung und Widerstand
Der B244-Tunnel in Wernigerode zeigt exemplarisch, wie groß die Kluft zwischen regionalen Bedürfnissen, ökologischen Anforderungen und politischen Entscheidungen im Harz ist. Für die einen ist er ein notwendiger Schritt, um die Stadt zukunftsfähig zu machen. Für die anderen ist er Symbol für Fehlplanung, Geldverschwendung und Naturzerstörung.
Eines ist klar: Das Projekt betrifft weit mehr als nur eine Straße. Es steht für den Umgang mit Ressourcen, für den Schutz der einzigartigen Harz-Landschaft und für die Frage, wie Mobilität in Zukunft aussehen soll. Gerade in einer Region, die vom Tourismus lebt und deren Identität eng mit der Natur verbunden ist, sind die Antworten auf diese Fragen entscheidend.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Gegner ihren Protest verstärken oder ob das Projekt trotz Widerständen in die nächste Phase geht. Unabhängig vom Ausgang bleibt der B244-Tunnel ein Thema, das die Menschen im Harz bewegt – und das sie wohl noch viele Jahre begleiten wird.







