Goslar, 11. Juni 2025, 10:00 Uhr (CCS)
Die Wälder im Harz leiden. Dürre, Borkenkäfer und Stürme haben in den letzten Jahren enorme Schäden angerichtet. Große Flächen sind kahl, der Boden ausgelaugt, und klassische Aufforstungsmethoden stoßen an Grenzen. Doch ein junges Start-up aus Berlin – Skyseed – hat eine Idee, die nicht nur innovativ, sondern auch praktikabel ist: die Aufforstung per Drohne.
Technologie trifft Natur: Das Prinzip Skyseed
Skyseed verfolgt einen neuartigen Ansatz: Bäume werden nicht gepflanzt, sondern gesät – mit biologisch abbaubaren Pellets, die per Drohne oder Spezialraupen ausgebracht werden. Diese Pellets enthalten die Samen verschiedener Baumarten, sind nährstoffangereichert und schützen das Saatgut vor Fraß und Trockenheit. So kann auf herkömmliche Pflanzungen verzichtet werden, die meist personal- und kostenintensiv sind.
So funktioniert die Methode
- Pelletierung: Die Samen werden in bioabbaubare Hüllen eingebettet, die mit Startnährstoffen versehen sind.
- Drohnenausbringung: Große Multikopter-Drohnen (etwa 2 Meter Spannweite) verteilen bis zu 20 Kilogramm Saatgut pro Flug.
- Nachsorge: Monitoring-Flüge dokumentieren Keimverhalten und Bodendeckung.
„Wir säen, wo andere nicht hinkommen“, lautet das Motto der Gründer. Besonders auf steilen Hängen und unzugänglichen Flächen im Harz zeigt das System seine Stärke.
Pilotregion Harz: Neue Bäume für alte Wälder
Der Harz ist nicht zufällig ein Einsatzgebiet von Skyseed. Die Region ist von Waldschäden besonders betroffen. Ganze Hänge sind kahl, und der herkömmliche Waldumbau verläuft schleppend. Mit Unterstützung der lokalen Forstbetriebe und der Investitionsbank Niedersachsen starteten erste Pilotflüge 2023 in Orten wie Rübeland und Tanne.
Gesät wurden Mischungen aus Kiefer, Lärche, Birke und Fichte. Erste Auswertungen zeigen vielversprechende Ergebnisse: Die Pellets keimen – unter günstigen Bedingungen – schneller und flächiger als konventionell gepflanzte Setzlinge.
Wissenschaftliche Hintergründe: Warum säen statt pflanzen?
Das Skyseed-System beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über natürliche Waldregeneration. Im Gegensatz zu Pflanzungen haben gesäte Bäume keinen „Pflanzschock“. Ihre Wurzeln entwickeln sich von Anfang an natürlich im Boden, was langfristig stabilere Bäume hervorbringt.
Vorteile der Direktsaat
Kriterium | Direktsaat | Setzlingspflanzung |
---|---|---|
Wurzelbildung | Natürlich, tiefreichend | Künstlich, oft verdichtet |
Pflanzschock | Nein | Häufig vorhanden |
Flächenleistung | Bis zu 10 ha/Tag | 0,5–1 ha/Tag (manuell) |
Personalbedarf | Niedrig | Hoch |
Finanzierung und Wachstum
Skyseed wurde 2021 gegründet und konnte in kurzer Zeit mehrere Millionen Euro an Investitionen einsammeln. Neben privaten Investoren beteiligt sich auch die NBank Capital, die allein 2025 rund 1 Million Euro zur Verfügung stellte. Ziel ist es, den Hauptsitz ins niedersächsische Goslar zu verlegen – ein klares Bekenntnis zur Region Harz.
Darüber hinaus nimmt Skyseed an Innovationsprogrammen wie dem Future-Forest-Accelerator teil, der Waldinnovationen deutschlandweit fördert. Auch Preise wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis im Bereich Forstwirtschaft untermauern die Relevanz des Projekts.
Kritik und Herausforderungen
So vielversprechend die Methode klingt, ganz ohne Herausforderungen ist sie nicht. Fachleute mahnen zur realistischen Einschätzung: Die Keimrate hängt stark vom Mikroklima, Boden, Wildverbiss und Witterung ab. Während unter Idealbedingungen bis zu 80 % der Pellets keimen können, liegt die Erfolgsquote in der Praxis mitunter bei nur 20 %.
„Drohnentechnik ersetzt keine nachhaltige Waldpflege. Sie ist ein Werkzeug, kein Allheilmittel.“
Auch regulatorische Hürden sind ein Thema: Die Drohnenflüge benötigen Genehmigungen, insbesondere bei schwerer Beladung oder Einsätzen außerhalb der Sichtweite (BVLOS). Zudem ist der Markt für hochwertiges Saatgut begrenzt – Mischwälder brauchen artenreiche Bestände, die nicht in beliebiger Menge verfügbar sind.
Internationale Vergleiche
Skyseed steht mit seiner Idee nicht allein. Weltweit entstehen vergleichbare Start-ups:
- MORFO (Brasilien): Drohnen-Aufforstung mit ökologischer Saatgut-Beschichtung.
- Flash Forest (Kanada): Klimafokus, große Versprechungen, aber Kritik an Erfolgsnachweisen.
- SLK (Kosovo): 25–30 % Keimrate, Fokus auf lehmummantelte Saatkugeln.
- Indien: Einfache Seed Balls werden aus Flugzeugen oder Drohnen verteilt – vor allem in monsunreichen Gebieten.
Alle Projekte zeigen: Aufforstung aus der Luft ist effizient, aber kontextabhängig. Besonders entscheidend ist die Nachsorge, das Monitoring und die Kombination mit traditionellen Methoden.
Monitoring und Digitalisierung
Ein oft unterschätzter Aspekt ist das Monitoring: Skyseed plant, jeden Einsatz langfristig mit Drohnenflügen zu dokumentieren – dabei helfen orthographische Luftbilder, KI-gestützte Vegetationserkennung und Wachstumsanalysen.
Die dabei gewonnenen Daten haben gleich mehrere Vorteile:
- Beweisführung gegenüber Investoren und Behörden
- Optimierung künftiger Ausbringungsstrategien
- Integration in CO₂-Kompensationsprogramme
Potenzial für den Harz – und darüber hinaus
Der Harz wird zum Reallabor für klimafeste Wälder. Die Kombination aus technologischer Innovation, finanzieller Förderung und naturräumlicher Dringlichkeit macht die Region zum perfekten Testfeld. Langfristig will Skyseed mehrere tausend Hektar pro Jahr aufforsten – nicht nur im Harz, sondern bundesweit.
Besonders wichtig ist die Vielfalt: Es geht nicht um Monokulturen, sondern um artenreiche Mischwälder mit unterschiedlichen Höhenstrukturen. So entstehen resiliente Ökosysteme, die besser mit Trockenheit, Schädlingen und Stürmen umgehen können.
Ein Werkzeug mit Perspektive
Skyseed liefert keine Revolution, aber ein wirksames Werkzeug für eine große Aufgabe. Die Aufforstung per Drohne ist schnell, effizient und ergänzt klassische Methoden auf sinnvolle Weise. Ihre Wirkung hängt jedoch maßgeblich von Kontext, Pflege und Umsetzung ab. Wer sie klug einsetzt, kann schwer zugängliche Flächen retten, Biodiversität fördern und dem deutschen Wald eine Zukunft geben.
Die Region Harz steht dabei symbolisch für viele andere Gegenden in Deutschland – zerstört, aber nicht verloren. Und vielleicht ist es tatsächlich eine Drohne, die das erste neue Blatt in den Himmel trägt.