
Politischer Streit um die Corona-Notlage –
Magdeburg, 17. Dezember 2025 – Der Plenarsaal wirkt ruhig, beinahe routiniert, doch die Entscheidung ist hoch umstritten. Mit einer formalen Feststellung greift der Landtag von Sachsen-Anhalt erneut tief in ein Instrumentarium aus der Pandemiezeit. Während die Regierungsfraktionen von haushaltspolitischer Notwendigkeit sprechen, reagiert die Opposition mit offener Häme und grundsätzlicher Kritik.
Landtag beschließt erneute Feststellung der Corona-Notlage
Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat mit Mehrheit beschlossen, für das Haushaltsjahr 2026 erneut eine außergewöhnliche Notsituation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie festzustellen. 51 Abgeordnete stimmten dafür, 31 dagegen, 15 Parlamentarier nahmen an der Abstimmung nicht teil. Die Entscheidung schafft die formale Grundlage, weiterhin auf das sogenannte Corona-Sondervermögen des Landes zurückzugreifen.
Dieses Sondervermögen wurde im Jahr 2021 eingerichtet, um die wirtschaftlichen, sozialen und infrastrukturellen Folgen der Pandemie abzufedern. Es ist kreditfinanziert und umfasst nahezu zwei Milliarden Euro. Die Mittel sind für rund 60 Maßnahmen vorgesehen, darunter Investitionen in Schulen und Hochschulen, die digitale Modernisierung der Landesverwaltung sowie bauliche und technische Verbesserungen im Gesundheitswesen.
Regierung sieht Fortführung begonnener Projekte gefährdet
Aus Sicht der Landesregierung ist die erneute Feststellung der Corona-Notlage ein notwendiger formaler Schritt. Finanzminister Michael Richter (CDU) betonte im Parlament, dass zahlreiche bereits begonnene Projekte ohne diesen Beschluss nicht weitergeführt oder abgeschlossen werden könnten. Die Pandemie habe langfristige strukturelle Defizite offengelegt, deren Beseitigung nicht an einen festen Stichtag gebunden sei.
Auch Vertreter der Koalitionsfraktionen argumentierten, dass die Bewältigung der Corona-Folgen nicht mit dem Ende akuter Infektionswellen abgeschlossen sei. Vielmehr gehe es um Resilienz, Vorsorge und nachhaltige Investitionen, die das Land widerstandsfähiger gegenüber künftigen Krisen machen sollen. Die formale Notlagenfeststellung sei dabei ein haushaltsrechtliches Instrument, kein politisches Symbol.
Scharfe Kritik aus der Opposition
Ganz anders fiel die Reaktion der Opposition aus. Vertreter mehrerer Fraktionen warfen der Landesregierung vor, den Begriff der Corona-Notlage zu entkernen und für haushaltspolitische Zwecke zu instrumentalisieren. AfD-Finanzpolitiker Jan Moldenhauer sprach von einem „finanzpolitischen Scherbenhaufen“ und stellte infrage, ob die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Notlage noch gegeben seien.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Olaf Meister, bezeichnete den Beschluss als „Realsatire“. Sachsen-Anhalt gehe damit einen Sonderweg, während andere Bundesländer längst darauf verzichtet hätten, die Pandemie weiterhin als rechtliche Notlage zu deklarieren. Die Linke verwies darauf, dass bislang nur etwa die Hälfte der vorgesehenen Mittel aus dem Sondervermögen tatsächlich abgerufen worden sei.
Kritik an Planung und Mittelverwendung
Linken-Finanzpolitikerin Kristin Heiß argumentierte, die langsame Mittelabflusssituation sei ein Hinweis auf strukturelle Probleme in der Planung und Umsetzung. Wenn ein erheblicher Teil der Gelder nach Jahren noch ungenutzt sei, stelle sich die Frage, ob eine erneute Notlagenfeststellung sachlich gerechtfertigt sei. Die Pandemie sei Realität gewesen, doch ihre rechtliche Verlängerung passe nicht mehr zur aktuellen Lage.
Auch innerhalb der Koalition blieb die Entscheidung nicht ohne Brüche. Der FDP-Abgeordnete Konstantin Pott verweigerte dem Beschluss seine Zustimmung. Er hatte bereits im Vorfeld öffentlich erklärt, dass er die erneute Feststellung der Corona-Notlage für politisch falsch und rechtlich problematisch halte.
Rechnungshof und verfassungsrechtliche Bedenken
Zusätzliche Brisanz erhielt die Debatte durch eine Stellungnahme des Landesrechnungshofs. Dessen Präsident Kay Barthel hatte vor der Entscheidung darauf hingewiesen, dass eine Notlage nicht allein durch politische Zweckmäßigkeit begründet werden dürfe. Eine außergewöhnliche Situation müsse real und gegenwärtig vorliegen. Aus Sicht des Rechnungshofs sei dies derzeit nicht der Fall.
Die Kritik des Rechnungshofs bezieht sich vor allem auf den Charakter der Notlagenfeststellung als Ausnahme von der Schuldenbremse. Diese Ausnahme sei eng auszulegen und dürfe nicht zur dauerhaften Finanzierung regulärer Investitionen genutzt werden. Die Feststellung der Corona-Notlage werfe daher grundlegende Fragen nach Haushaltsdisziplin und parlamentarischer Verantwortung auf.
Innerparteiliche Spannungen bei der FDP
Innerhalb der FDP hatte die Frage der Corona-Notlage bereits zuvor für Diskussionen gesorgt. Ein Parteitagsbeschluss sah vor, dass FDP-Abgeordnete einer erneuten Feststellung nicht zustimmen sollten, sofern sie verfassungsrechtlich zweifelhaft sei. Die abweichende Haltung einzelner Abgeordneter verdeutlicht die Spannungen zwischen Koalitionsdisziplin und rechtspolitischer Grundsatztreue.
Corona-Notlage als politisches Symbol
Über die konkrete Haushaltsfrage hinaus steht die Entscheidung für eine größere politische Debatte. Die Corona-Pandemie hat nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch politische Entscheidungsprozesse nachhaltig verändert. Instrumente wie Sondervermögen und Notlagenbeschlüsse, ursprünglich als Ausnahme gedacht, stehen nun im Zentrum grundsätzlicher Auseinandersetzungen über ihre zeitliche und inhaltliche Begrenzung.
Kritiker sehen die Gefahr, dass der Ausnahmezustand zur Normalität wird. Befürworter halten dagegen, dass langfristige Folgen außergewöhnlicher Krisen auch außergewöhnliche finanzpolitische Antworten erfordern. In Sachsen-Anhalt prallen diese Sichtweisen derzeit besonders deutlich aufeinander.
Ein politischer Balanceakt mit offenem Ausgang
Die erneute Feststellung der Corona-Notlage ist damit mehr als ein formaler Akt. Sie ist Ausdruck eines politischen Balanceakts zwischen haushaltsrechtlicher Pragmatik und dem Anspruch, Ausnahmeregeln nicht zu überdehnen. Wie tragfähig diese Entscheidung ist, wird sich weniger an juristischen Debatten als an der tatsächlichen Umsetzung der finanzierten Projekte messen lassen.
Fest steht: Die Corona-Notlage bleibt in Sachsen-Anhalt ein politisches Reizwort. Und sie zeigt, wie sehr die Nachwirkungen der Pandemie das parlamentarische Handeln noch Jahre nach dem Ende akuter Krisenphasen prägen.







