
Clausthal-Zellerfeld, 30. Mai 2025, 11:00 Uhr (CCS)
Der Harz steht an einem Wendepunkt. Jahrzehntelang geprägt von dichten Fichtenwäldern, hat sich das Landschaftsbild in weiten Teilen dramatisch verändert. Klimawandel, Borkenkäfer und Dürrejahre hinterließen kahle Hänge, abgestorbene Bäume und verunsicherte Gemeinden. Jetzt reagiert Niedersachsen mit einem umfassenden Wiederbewaldungsprogramm – und investiert mehr als 100 Millionen Euro, um den Wald neu zu denken.
Ein Gebirge im Wandel: Ursachen der Waldkrise
Seit dem Hitzesommer 2018 schreitet der Verfall der Wälder im Harz massiv voran. Trockenperioden, extreme Wetterlagen und insbesondere der Borkenkäfer haben großflächig Monokulturen aus Fichte vernichtet. Diese Baumart, ursprünglich wirtschaftlich attraktiv und schnell wachsend, erwies sich in der Krise als besonders anfällig.
Die Auswirkungen sind drastisch: Im Nationalpark Harz sind etwa 90 Prozent der Fichtenbestände abgestorben. Satellitendaten zeigen, dass bis 2022 rund 76 % aller Nadelbäume im Harz schwer geschädigt waren – ein Wert, der sich innerhalb weniger Jahre verfünffacht hat. Deutschlandweit verlor der Wald zwischen 2018 und 2021 über 500.000 Hektar Fläche, wobei der Harz zu den am stärksten betroffenen Regionen zählt.
Die Rolle des Klimawandels
Der Klimawandel wirkt als Brandbeschleuniger der Waldkrise. Milde Winter begünstigen die Vermehrung von Schädlingen wie dem Borkenkäfer. Gleichzeitig verringern trockene Sommer die natürliche Abwehrkraft der Bäume. Das Resultat: ein Teufelskreis aus Schwächung, Schädlingsbefall und flächenhaftem Absterben.
„Die Fichte war für Generationen der Brotbaum des Harzes – heute ist sie Symbol einer ökologischen Sackgasse“, so ein Sprecher des Forstbetriebs Oberharz.
105 Millionen Euro für den Wiederaufbau: Das Programm im Überblick
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, hat das Land Niedersachsen ein langfristig angelegtes Wiederbewaldungsprogramm beschlossen. 105 Millionen Euro sollen in den kommenden zehn Jahren investiert werden – mit dem Ziel, den Harzwald klimaresilient, ökologisch vielfältig und wirtschaftlich nachhaltig zu gestalten.
Die Umsetzung erfolgt durch die Niedersächsischen Landesforsten in enger Zusammenarbeit mit Kommunen, Umweltverbänden und forstlichen Forschungseinrichtungen. Auch EU-Fördergelder fließen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in das Projekt ein.
Was konkret geplant ist
- Pflanzung von rund 3,5 Millionen Bäumen pro Jahr
- Aufbau standortgerechter Mischwälder mit Buchen, Eichen, Douglasien, Erlen und Ahorn
- Pflege bestehender Baumbestände zur Stabilisierung junger Mischwaldstrukturen
- Förderung nachhaltiger Forstwirtschaft
- Wissenschaftliche Begleitung durch die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
Die langfristige Perspektive reicht bis 2050 und darüber hinaus: Der vollständige Umbau von Monokulturen hin zu stabilen Mischwäldern gilt als Generationenaufgabe.
Uneinigkeit über den Umgang mit dem Borkenkäfer
Ein zentraler Streitpunkt betrifft den Umgang mit dem Borkenkäfer. Während staatliche Forstbetriebe und viele Privatwaldbesitzer auf eine aktive Bekämpfung setzen, verfolgt der Nationalpark Harz eine entgegengesetzte Strategie: den natürlichen Prozess zulassen. In den Kernzonen wird der Käfer nicht bekämpft – abgestorbene Bäume bleiben stehen oder fallen um und sollen so als Nährboden für die Waldregeneration dienen.
„Wir wollen zeigen, dass sich der Wald selbst helfen kann – langfristig, vielfältig und resilient“, erklärt ein Vertreter der Nationalparkverwaltung.
Diese Strategie stößt nicht überall auf Zustimmung. Kritiker werfen den Verantwortlichen vor, untätig zuzusehen, wie der Harz sein touristisches Gesicht verliert. In konservativeren Forstkreisen ist gar von „grüner Ideologie“ die Rede. Befürworter hingegen verweisen auf Beispiele aus dem Ausland, etwa Kanada oder Skandinavien, wo ähnliche Methoden erfolgreich waren.
Tourismus im Wandel: Herausforderung und Chance
Die entwaldeten Hänge und abgestorbenen Baumgerippe verändern nicht nur das Ökosystem – sie hinterlassen auch Eindruck bei Urlaubern. Der Harz, einst Inbegriff eines romantischen Mittelgebirges, wirkt stellenweise wie eine Apokalypse. Das hat Folgen für die lokale Wirtschaft, die stark vom Tourismus abhängt.
Dennoch sehen viele Akteure auch Chancen in der Transformation. Der Tourismusverband Harz etwa verweist auf ein wachsendes Interesse an nachhaltigem und bewusstem Naturerleben. Die Wiederbewaldung wird nicht nur als ökologische Maßnahme, sondern auch als touristische Attraktion verstanden.
Beispielhafte Projekte im Harz
Projekt | Zielsetzung | Status |
---|---|---|
Harzturm (Torfhaus) | Aussichtsplattform, Infopunkt zur Waldveränderung | Eröffnet 2024 |
Waldumbau Naturdorf (Bad Sachsa) | Tiny-Häuser, umweltpädagogische Nutzung | Baubeginn 2025 |
Erbprinzentanne Zentrum | Chinesische Medizin, Gesundheitstourismus | Investition 100 Mio. €, in Planung |
Ökologie trifft Ökonomie: Nachhaltigkeit als Schlüssel
Das niedersächsische Programm beschränkt sich nicht auf Aufforstung. Es verfolgt ein umfassendes Konzept nachhaltiger Entwicklung: Neben dem Waldumbau sollen regionale Wertschöpfung, Bildung und Klimaschutz gefördert werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei folgende Leitlinien:
- Biodiversität fördern: Vielfalt in Baumarten und Tierwelt
- Resilienz stärken: Anpassung an Trockenheit, Sturm und Schädlingsdruck
- Naturnahe Waldwirtschaft: Dauerwaldkonzepte statt Kahlschläge
- Kreislaufwirtschaft: Holz als Rohstoff, Energiequelle und Baustoff
Meinungen aus der Region
Die Stimmung im Harz ist gemischt. Während viele die neuen Maßnahmen begrüßen, äußern andere Skepsis. Einige Stimmen aus der Region:
- „Es ist gut, dass jetzt endlich gehandelt wird – aber die Schäden sind immens, das dauert Jahrzehnte.“ (Förster in Altenau)
- „Die toten Wälder schrecken Gäste ab – wir brauchen wieder grüne Landschaften!“ (Hotelier aus Braunlage)
- „Ich finde es spannend zu beobachten, wie sich der Wald selbst erneuert – das ist faszinierend!“ (Wanderin aus Goslar)
Ein Blick nach vorn: Harz 2050
Experten wie der bekannte Förster Peter Wohlleben sehen im aktuellen Wandel nicht nur Krise, sondern auch Chance. In einem Interview erklärte er: „Das Paradies kehrt zurück – es braucht nur Zeit.“ Er verweist auf die Rolle von Totholz, Pilzen und Insekten, die als Vorboten neuer Wälder fungieren.
Bis zum Jahr 2050 könnte der Harz in großen Teilen von stabilen, artenreichen Mischwäldern bedeckt sein – robuster, vielfältiger und besser an das Klima angepasst. Voraussetzung ist jedoch, dass das aktuelle Engagement langfristig durchgehalten wird.
Fazit: Rettung mit Weitblick
Mit dem 105-Millionen-Euro-Programm stellt Niedersachsen die Weichen für eine nachhaltige Erneuerung des Harzes. Dabei geht es nicht nur um Bäume, sondern um das große Ganze: Ökologie, Tourismus, Lebensqualität und regionale Identität.
Der Weg ist lang und von Unsicherheiten geprägt. Doch die Wiederbewaldung bietet die Chance, aus der Krise ein Modellprojekt zu machen – für einen Harz, der nicht nur überlebt, sondern erblüht.