
Wernigerode. Nach Monaten der Trennung ist die 71-jährige Vietnamesin Thi Cham Pham endlich wieder in Wernigerode angekommen. Ihre Abschiebung hatte im Landkreis Harz für Aufsehen gesorgt, nun darf sie zu ihrer Familie zurückkehren. Der Fall beleuchtet nicht nur die komplexen Abläufe von Abschiebung und Rückkehr, sondern auch den menschlichen Preis solcher Entscheidungen.
Ein Schicksal, das den Harz bewegt
Der Fall von Thi Cham Pham hat im Harz eine Welle der Anteilnahme ausgelöst. Die gebürtige Vietnamesin lebte seit mehreren Jahren in Wernigerode, arbeitete, war integriert und kümmerte sich liebevoll um ihre Enkelin. Umso größer war der Schock, als sie im Februar 2025 plötzlich nach Vietnam abgeschoben wurde – ohne sich von ihrer Familie verabschieden zu können.
Die Entscheidung der Behörden traf nicht nur die Familie schwer, sondern löste im gesamten Landkreis Harz Diskussionen aus. In sozialen Medien, Foren und Kommentaren unter lokalen Nachrichtenbeiträgen wurde heftig über Sinn, Rechtmäßigkeit und Menschlichkeit solcher Abschiebungen gestritten. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger forderten eine Überprüfung des Falls.
„Wie eine Schwerverbrecherin behandelt“ – Kritik an der Härte der Abschiebung
Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt bezeichnete die Maßnahme als „unverhältnismäßig hart“ und kritisierte, dass Thi Cham Pham „wie eine Schwerverbrecherin“ behandelt worden sei. Tatsächlich wurde sie ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag gerissen, obwohl sie einer geregelten Arbeit nachging und nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen war. Der Landkreis Harz verteidigte sein Vorgehen mit Hinweis auf das Aufenthaltsgesetz und betonte, man habe „nach geltendem Recht handeln müssen“.
Doch viele Menschen im Harz empfanden das Vorgehen als überzogen. Besonders emotional reagierte die Familie der Betroffenen: Ihre Enkelin Melanie, damals Schülerin der zweiten Klasse, verlor über Nacht ihre wichtigste Bezugsperson. „Es war, als würde man ihr ein Stück Familie herausreißen“, sagte ein Nachbar in einem Kommentar auf Facebook. Die Trennung hinterließ tiefe Spuren – sowohl bei der Großmutter als auch bei dem Kind.
Der lange Weg zurück in den Harz
Nach acht Monaten der Ungewissheit durfte Thi Cham Pham im Oktober 2025 wieder nach Deutschland einreisen. Möglich wurde das durch ein neues Visum im Rahmen des Familiennachzugs. Der Landkreis Harz unterstützte den Antrag, nachdem sich zahlreiche Bürgerinnen, Hilfsorganisationen und auch der Flüchtlingsrat für die Rückkehr eingesetzt hatten. Ihre Wiedereinreise wurde schließlich von der Ausländerbehörde genehmigt.
Warum wurde sie trotz Arbeit abgeschoben?
Diese Frage stellten sich viele Menschen in Wernigerode und im gesamten Harz. Der Grund liegt in der komplizierten deutschen Aufenthaltsgesetzgebung. Auch wenn eine Person arbeitet, kann sie abgeschoben werden, wenn kein rechtlich gesicherter Aufenthaltstitel besteht. In vielen Fällen hängt dies von der Passbeschaffung oder vom Ablauf einer Duldung ab. So auch bei Thi Cham Pham: Ihr Aufenthalt war aus Sicht der Behörde nicht mehr gedeckt, weshalb die Abschiebung vollzogen wurde.
Solche Situationen zeigen, wie eng rechtliche und menschliche Aspekte in Abschiebungsverfahren miteinander verflochten sind. Während Gesetze Klarheit schaffen sollen, bringen sie in der Praxis oft Härtefälle hervor – besonders dann, wenn Familien auseinandergerissen werden.
Ein Einzelfall – oder ein Beispiel für ein Systemproblem?
Laut offiziellen Zahlen des Mediendienstes Integration wurden allein im Jahr 2024 über 20.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Davon rund 900 Personen mit vietnamesischer Staatsbürgerschaft. Vietnam zählt damit zu den häufig betroffenen Herkunftsstaaten. Der Harz-Fall zeigt beispielhaft, welche Folgen solche Entscheidungen für einzelne Familien haben können.
Abschiebungen in Deutschland – Zahlen im Überblick
Jahr | Gesamtzahl Abschiebungen | davon nach Vietnam |
---|---|---|
2023 | 16.430 | ca. 850 |
2024 | 20.100 | ca. 929 |
Die steigende Zahl zeigt, dass Abschiebungen weiterhin ein zentraler Bestandteil deutscher Migrationspolitik sind. Doch die Rückkehr von Thi Cham Pham verdeutlicht zugleich, dass auch nach einer Abschiebung Wege zurück nach Deutschland offenstehen – etwa durch neue Visa, Ausnahmeregelungen oder humanitäre Gründe.
Rolle des Landkreises Harz bei Rückführung und Rückkehr
Im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht der Landkreis Harz. Er ist nach dem Aufenthaltsrecht für die Durchführung und Organisation von Abschiebungen zuständig. Gleichzeitig kann er in bestimmten Fällen auch Rückkehrprozesse unterstützen. Der Fall aus Wernigerode zeigt, dass eine Verwaltung zwischen Gesetzestreue und Menschlichkeit abwägen muss – ein Balanceakt, der häufig Kritik hervorruft.
Der Landkreis erklärte im Nachgang: „Wir verstehen die emotionale Dimension dieses Falls, sind aber an gesetzliche Vorgaben gebunden.“ Erst nachdem neue rechtliche Voraussetzungen vorlagen, konnte die Rückkehr ermöglicht werden. Diese Aussage unterstreicht, wie komplex und bürokratisch Migrationsverfahren in Deutschland strukturiert sind – gerade in kleineren Landkreisen wie dem Harz.
Emotionale Wellen in sozialen Medien
In sozialen Netzwerken wurde der Fall von Anfang an breit diskutiert. Auf der Facebook-Seite der Volksstimme Harz sammelten sich hunderte Kommentare – von Empörung bis hin zu rechtspolitischen Grundsatzdiskussionen. Viele Nutzer verwiesen auf den hohen Integrationsgrad vietnamesischer Familien in der Region. Einige erinnerten auch an Projekte wie das Integrationsprogramm „Junge Vietnamesen im Harz“, das 2021 mit einem Landespreis ausgezeichnet wurde.
Digitale Solidarität als Wendepunkt
Auf Instagram erreichte ein Reel des Kanals „Gut & Bad News“ über 30.000 Aufrufe. Es erzählte die Geschichte der Großmutter und ihrer Enkelin emotional aufbereitet und rief zu Unterstützung auf. Unter dem Hashtag #Rückkehrin den Harz sammelten sich zahlreiche positive Reaktionen. Einige Zuschauer boten sogar finanzielle Hilfe an, um die Wiedereinreise zu ermöglichen. Diese Form der digitalen Solidarität trug laut Beobachtern wesentlich dazu bei, dass der Fall nicht in Vergessenheit geriet.
Was bedeutet die Rückkehr rechtlich?
Rechtlich gesehen ist die Wiedereinreise nach einer Abschiebung nicht selbstverständlich. In der Regel gilt eine Einreisesperre von bis zu fünf Jahren. Nur in besonderen Fällen – etwa bei Familiennachzug oder humanitären Gründen – kann diese aufgehoben werden. Bei Thi Cham Pham wurde ein solches humanitäres Visum erteilt. Der Landkreis Harz hat die Unterlagen unterstützt und an die Ausländerbehörde weitergeleitet, die schließlich grünes Licht gab.
Welche Rolle spielt der Familiennachzug?
Das deutsche Aufenthaltsrecht erkennt familiäre Bindungen als schützenswert an. Besonders, wenn minderjährige Kinder betroffen sind, kann eine Ausnahmeregelung erteilt werden. Im Fall der Großmutter aus dem Harz wurde die enge Bindung zu ihrer Enkelin als ausschlaggebend bewertet. Dadurch konnte die Rückkehr genehmigt werden – ein seltenes, aber nicht einmaliges Beispiel.
Gesellschaftliche Debatte im Harz: Zwischen Recht und Mitgefühl
Der Fall aus Wernigerode hat eine Diskussion über Menschlichkeit in der Verwaltungspraxis ausgelöst. Viele Bürgerinnen und Bürger des Harzes fragen sich, ob Gesetze in solchen Fällen strenger als nötig ausgelegt werden. Gleichzeitig weisen Behörden darauf hin, dass sie nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben handeln können. Diese Spannung zwischen moralischem Empfinden und rechtlicher Verpflichtung spiegelt sich in zahlreichen Kommentaren wider.
In Foren wie Reddit oder lokalen Facebook-Gruppen wurden Fragen gestellt wie: „Warum können Menschen, die hier arbeiten und integriert sind, trotzdem abgeschoben werden?“ oder „Wer trägt eigentlich die Verantwortung – Landkreis oder Bund?“ Die Antworten darauf bleiben komplex: Der Bund schafft die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Landkreise setzen sie um. Damit wird die Verantwortung oft geteilt – was in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch selten differenziert wird.
Ein Spiegel für Integration im Harz
Im Landkreis Harz leben seit Jahrzehnten zahlreiche Menschen vietnamesischer Herkunft. Viele von ihnen kamen ursprünglich als Vertragsarbeiter in der DDR und blieben nach der Wiedervereinigung. Sie haben sich in die lokale Gemeinschaft integriert, betreiben Restaurants, Handwerksbetriebe und nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Thi Cham Pham steht somit stellvertretend für eine Generation, die längst Teil des Harzer Alltags geworden ist.
Integration im Harz – Beispiele erfolgreicher Projekte
- Demografiepreis 2021 für Engagement vietnamesischer Familien
- Lokale Integrationsprojekte in Schulen und Vereinen
- Kooperationen mit dem Landkreis Harz zur Sprachförderung
Diese Projekte zeigen, dass Integration im Harz funktioniert – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Der Fall der Großmutter erinnert daran, dass hinter jeder Statistik ein menschliches Schicksal steht.
Ein Fazit über Menschlichkeit und Verantwortung im Harz
Der Fall von Thi Cham Pham ist mehr als eine Einzelfallentscheidung – er ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Werte im Harz und in ganz Deutschland. Zwischen Paragraphen und persönlichen Geschichten, zwischen Recht und Menschlichkeit, steht eine Familie, die nun wieder vereint ist. Die Rückkehr der Großmutter zeigt, dass auch innerhalb eines strengen Systems Menschlichkeit ihren Platz finden kann.
Für viele Bürgerinnen und Bürger des Harzes bleibt die Hoffnung, dass dieser Fall ein Umdenken bewirkt: dass Integration, Familienzusammenhalt und Mitgefühl künftig stärker berücksichtigt werden – nicht nur im Landkreis Harz, sondern weit darüber hinaus.