
Goslar, 08. Juni 2025, 14:15 Uhr
Das traditionsreiche Schützen- und Volksfest in Goslar steht vor einer seiner größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Der Veranstalter, Sven Schneider vom Volksfest Goslar e.V., schlägt Alarm: Die massiv gestiegenen Sicherheitskosten könnten das Fest ernsthaft gefährden. In einem eindringlichen Schreiben an die Stadtverwaltung fordert er Unterstützung – und entfacht damit eine breite Debatte über die Finanzierung von Großveranstaltungen im Harz.
Tradition trifft auf neue Realitäten
Das Goslarer Schützen- und Volksfest blickt auf eine über 800-jährige Geschichte zurück und gilt als einer der kulturellen Höhepunkte im Harz. Geplant ist das Event für den 4. bis 13. Juli 2025 – wie gewohnt auf dem Festplatz Osterfeld mit über 80.000 Quadratmetern Fläche. Tausende Besucher:innen, dutzende Schausteller, Umzüge, Feuerwerke und Konzerte machen das Fest zu einem Aushängeschild der Region.
Doch hinter den Kulissen wächst die Sorge. Die Sicherheitskosten sind in den letzten Jahren nicht nur gestiegen – sie sind geradezu explodiert. „Die aktuelle Entwicklung ist existenzbedrohend“, heißt es im Brandbrief Schneiders. Die Kalkulationen der vergangenen Jahre greifen nicht mehr, vieles sei unplanbar geworden.
Was treibt die Kosten in die Höhe?
Die Gründe für die finanziellen Engpässe sind vielfältig – ein Blick auf die einzelnen Komponenten des Sicherheitsapparats zeigt das Ausmaß der Belastung:
1. Personalkosten für Sicherheitspersonal
- Höhere Stundenlöhne für private Sicherheitsdienste
- Längere Einsatzzeiten aufgrund verschärfter Auflagen
- Verpflichtende Nacht- und Wochenendschichten
2. Technische Sicherheitsmaßnahmen
- Videoüberwachungssysteme mit Datenspeicherung
- Zugangskontrollen mit Metalldetektoren
- Fluchtwegmanagement mit LED-Leitsystemen
3. Infrastruktur- und Absperrmaßnahmen
- Temporäre Zäune und Zufahrtsblockaden
- Betonbarrieren zur Terrorabwehr
- Mobile Einsatzleitstellen
Hinzu kommen gestiegene Preise in der Logistik und bei Energie, die auch die Sicherheitslogistik betreffen. Besonders kostspielig sind laut Veranstalter die neuen Anforderungen an das Zusammenspiel mit Polizei und Feuerwehr, etwa im Bereich der Voralarmierung und der digitalen Koordination.
Versicherung – der unsichtbare Kostenfaktor
Ein bisher wenig beachteter Aspekt sind die Versicherungen. Für ein Volksfest dieser Größenordnung sind mehrere Policen zwingend erforderlich:
Versicherungstyp | Zweck | Beispielkosten (geschätzt) |
---|---|---|
Veranstalterhaftpflicht | Schäden an Dritten (Personen/Sachen) | 800 – 1.200 € |
Equipmentversicherung | Technik, Bühnen, Zelte | ca. 150 € / Woche |
Ausfallversicherung | Einnahmeverlust durch Absage (z. B. Wetter) | Variabel, je nach Volumen |
Umwelthaftpflicht | Risiken durch Müll, Lärm, Flüssigkeiten | Optional, zunehmend empfohlen |
Diese Versicherungen sind keine Kür – sie sind Pflichtbestandteile bei der Anmeldung und Durchführung. Gerade durch neue Umwelt- und Sicherheitsstandards haben sich die Anforderungen in den letzten Jahren vervielfacht. Ein versicherter Deckungsrahmen von 3 bis 10 Millionen Euro ist üblich. Für den Verein bedeutet das eine erhebliche Vorleistung, lange vor dem ersten Besucher auf dem Gelände.
Stadtverwaltung zeigt Verständnis – aber Spielraum fehlt
Die Stadt Goslar hat auf den Hilferuf reagiert – mit grundsätzlichem Verständnis, aber noch ohne verbindliche Zusagen. Angesichts der angespannten Haushaltslage sei laut einem Sprecher der Stadtwerke kein “freier Fördertopf” vorhanden. Vielmehr prüfe man aktuell, ob eine Stundung der Pachtzahlungen oder eine einmalige Teilunterstützung möglich sei.
Doch auch die Stadt steht unter Druck: Rückgänge bei Gewerbesteuereinnahmen und ein defizitärer Haushalt schränken die Handlungsfähigkeit ein. Bereits 2023 mussten laut Verwaltung fast eine halbe Million Euro an strukturellen Defiziten ausgeglichen werden.
„Wir verstehen die Notlage, aber unsere Mittel sind begrenzt. Es geht um ein Stück Kultur – doch wir müssen auch haushalten.“
Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stellenwert
Die Bedeutung des Festes geht weit über die kulturelle Tradition hinaus. Für Schausteller, Gastronomiebetriebe, Hotels und Händler ist das Fest ein essenzieller Wirtschaftsfaktor. Laut Berechnungen aus den Vorjahren generiert das Event in der Region einen Umsatz im mittleren sechsstelligen Bereich – allein durch Übernachtungen, Gastronomie und Begleitangebote.
Auch für Vereine, Musiker und Veranstaltungsdienstleister ist das Fest oft der größte Jahresauftrag. Ein Ausfall hätte daher nicht nur emotionale, sondern handfeste ökonomische Konsequenzen.
Internationale Entwicklungen: Goslar kein Einzelfall
Die Herausforderung steigender Sicherheitskosten betrifft nicht nur Goslar. Auch Städte wie Hannover, Dresden oder Zürich verzeichnen wachsende Ausgaben. In Frankreich und Schweden werden Volksfeste zunehmend durch öffentliche Sicherheitsfonds mitfinanziert – etwa für Terrorversicherungen oder Crowd-Control-Maßnahmen.
Ein Trend in Skandinavien zeigt, dass hybride Veranstaltungsformen – etwa mit Livestreams oder App-basierten Besuchersteuerungen – neue Risiken schaffen: Cyberversicherungen und Datenschutz-Policen gehören dort bereits zum Standard. In Goslar hingegen ist diese Entwicklung bisher noch nicht angekommen.
Wie geht es weiter? Optionen und Forderungen
Veranstalter Schneider fordert eine strukturelle Diskussion über Veranstaltungsförderung. Einzelfalllösungen reichen aus seiner Sicht nicht mehr aus. Vielmehr müsse geprüft werden, ob Kommunen oder Länder bestimmte Grundkosten – etwa Haftpflichtversicherungen oder Sicherheitsmaßnahmen – übernehmen oder bezuschussen können. Auch Schaustellerverbände sprechen sich zunehmend für eine bundesweite Lösung aus.
Konkrete Lösungsansätze könnten sein:
- Städtische Sicherheitsfonds für Traditionsveranstaltungen
- Landeszuschüsse bei Kostensteigerungen über Inflationsindex
- Förderung digitaler Sicherheitssysteme mit geringeren Personalkosten
- Versicherungspools für kleinere Veranstalter
Alarmruf mit Signalwirkung
Das Goslarer Schützen- und Volksfest ist nicht nur ein Fest – es ist ein gesellschaftliches Ereignis mit Tradition, Bedeutung und wirtschaftlicher Tragweite. Der Hilferuf aus dem Harz steht exemplarisch für ein wachsendes Problem im ganzen Land. Wie Kommunen, Veranstalter und Politik damit umgehen, wird sich nicht nur auf Goslar auswirken – sondern auch auf viele andere Städte, die ähnliche Feste planen. Noch bleibt Zeit, um Lösungen zu finden. Doch sie ist knapp.