
Harz, 3. Dezember 2025. Zwischen Fachwerkfassaden und dem gedämpften Winterlicht der Altstadt flammt ein Konflikt auf, der tief in die kulturelle Identität der Region reicht. Die geplante Fusion der Kreismusikschule Harz mit der Kreisvolkshochschule bewegt Eltern, Lehrkräfte und Kulturschaffende gleichermaßen. Was als Verwaltungsreform vorgestellt wird, entfaltet eine Wucht, die weit über interne Strukturen hinausreicht.
In den Fluren des Bildungshauses Carl Ritter wird spürbar, wie sehr die Menschen im Harz an ihrer musikalischen Bildungslandschaft hängen. Die Entscheidung, die der Kreistag in Kürze treffen wird, könnte diese Landschaft neu formen.
Die Diskussion über die Zukunft der Kreismusikschule Harz hat sich in den vergangenen Wochen zu einer der prägendsten bildungspolitischen Auseinandersetzungen der Region entwickelt. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Zusammenlegung mit der Kreisvolkshochschule organisatorische Vorteile bringt – oder ob sie die kulturelle Bildungsarbeit im Harz nachhaltig schwächen könnte.
Warum die Fusion auf der Tagesordnung steht
Ausgangspunkt der Debatte sind Überlegungen der Kreisverwaltung, die seit Monaten eine Strukturreform prüft. Die Kreismusikschule, bislang als Eigenbetrieb organisiert, und die Volkshochschule, die als gemeinnützige GmbH firmiert, sollen fusionieren. Dieser Schritt, so die Hoffnung der Verantwortlichen, könnte Verwaltungsprozesse bündeln, Ressourcen effizienter einsetzen und langfristige Kostenvorteile schaffen.
Der Hintergrund ist komplex: Sinkende Schülerzahlen, steigende Anforderungen an Verwaltungsarbeit und der Wunsch nach modernisierten Strukturen bilden den Rahmen der Überlegungen. Die Kreismusikschule ist an sieben Standorten aktiv – von Wernigerode über Halberstadt bis Osterwieck – und erfüllt damit einen zentralen Bildungsauftrag im ländlich geprägten Harz. Die Integration in eine größere organisatorische Einheit soll nach Auffassung der Befürworter mehr Spielraum schaffen, etwa durch gemeinsame Raumnutzung oder einheitlichere Verwaltungswege.
Doch mit jeder dieser Überlegungen stellen sich weitere Fragen – und viele davon bleiben bislang unbeantwortet.
Protest und Verunsicherung – die Gegenbewegung wächst
Die Sorgen in der Bevölkerung sind greifbar. Eine Onlinepetition, die am 23. November 2025 gestartet wurde, mobilisierte innerhalb weniger Tage mehr als 1.600 Unterstützerinnen und Unterstützer. Ihr Ziel: den Erhalt der Kreismusikschule als eigenständige Bildungseinrichtung. Die Unterzeichnenden fürchten, dass eine Umwandlung in eine GmbH nicht nur strukturelle Veränderungen nach sich zieht, sondern tiefgreifende Folgen für das pädagogische Angebot und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte haben könnte.
Was die Kritiker besonders bewegt
- Die Sorge vor dem Verlust des geltenden Tarifwerks: Derzeit gilt für die Lehrkräfte der TVöD, der ein hohes Maß an Planungssicherheit bietet. Eine GmbH könnte neue Haustarife einführen, die deutlich weniger Schutz bieten.
- Der mögliche Abbau von „unrentablen“ Fächern wie Fagott, Oboe oder Kontrabass, deren Schülerschaft naturgemäß kleiner ausfällt. Kritiker befürchten, dass wirtschaftliche Überlegungen künftig pädagogische Entscheidungen überlagern könnten.
- Ein Rückgang der Ensemble- und Orchesterarbeit, die im Harz fest verankert ist und jungen Musikerinnen und Musikern wertvolle Bühnenerfahrungen ermöglicht.
- Steigende Unterrichtsgebühren aufgrund betriebswirtschaftlicher Vorgaben, die sozial schwächere Familien besonders treffen würden.
- Der Verlust demokratischer Kontrolle: Als Eigenbetrieb untersteht die Musikschule direkt dem Kreistag, eine GmbH hingegen wird stärker von einer Geschäftsführung geprägt.
Viele Stimmen aus der Petition betonen, dass musikalische Bildung keine Ware sei, die sich nach Profitabilität bemisst, sondern ein Fundament kultureller Teilhabe. Diese Haltung prägt auch die Stimmung im Umfeld vieler Musikschullehrkräfte, die ihre Einrichtung als unverzichtbaren Bestandteil des regionalen Bildungsnetzwerks betrachten.
Die Sicht der Volkshochschule – und viele offene Baustellen
Die Kreisvolkshochschule Harz arbeitet seit Jahren als gGmbH und betreibt Standorte in Halberstadt, Wernigerode und Quedlinburg. Ihre Strukturen sind stärker verschlankt und in Teilen bereits wirtschaftlich optimiert. Genau hier sehen Befürworter der Fusion Vorteile: eine effizientere Verwaltung, geringere Betriebskosten, gemeinsame Nutzung von Räumen und vereinfachte organisatorische Abläufe.
Gleichzeitig ist unklar, wie die Fusion im Detail ausgestaltet würde. Fragen zu Leitung, Gebühren, Unterrichtsangebot und Qualitätsstandards stehen im Raum und sind bislang nicht konkret beantwortet worden. Die Diskussion wird daher von der Unsicherheit getragen, wie stark sich die pädagogische Ausrichtung der Musikschule unter einer gemeinsamen Geschäftsführung verändern könnte.
Offene Fragen, die den Diskurs prägen
- Welche Aufgaben übernimmt künftig die musikpädagogische Leitung – und welche Kompetenzen wandern in die Geschäftsführung?
- Wie werden künstlerisch anspruchsvolle, aber nicht kostendeckende Angebote gesichert?
- Wie bleibt Musikunterricht für Familien bezahlbar?
- Wie wird der hohe Qualitätsanspruch der Kreismusikschule langfristig gewährleistet?
Viele dieser Fragen berühren den Kern des Bildungsauftrags, den die Musikschule im Harz seit Jahrzehnten erfüllt. Die Unsicherheit darüber, ob dieser Auftrag im Rahmen einer GmbH-Struktur in gleicher Qualität fortbestehen kann, treibt viele Menschen in der Region um.
Ein Kreistag zwischen Effizienz und kultureller Verantwortung
Der Kreistag des Landkreises Harz wird in den kommenden Tagen entscheiden, ob die Fusion umgesetzt wird. Die Sitzung gilt als eine der wichtigsten bildungspolitischen Weichenstellungen der vergangenen Jahre. Verwaltung und Teile der politischen Ebene argumentieren mit der Notwendigkeit moderner Strukturen und einer finanziellen Entlastung. Kritiker hingegen mahnen, dass kulturelle Bildung nicht primär nach Effizienzkriterien bewertet werden dürfe.
Im Kern prallen zwei Sichtweisen aufeinander: jene, die in der Fusion eine Chance für zukunftsfähige Strukturen sehen, und jene, die darin einen möglichen Verlust kultureller Vielfalt erkennen. Die Debatte hat deutlich gemacht, wie emotional und identitätsstiftend musikalische Bildung im Harz verankert ist.
Ein Blick auf das, was für die Region auf dem Spiel steht
Die Auseinandersetzung über die Fusion ist mehr als eine Verwaltungsfrage. Sie steht exemplarisch für den Konflikt zwischen wirtschaftlichen Zwängen und kulturellem Auftrag. In einer Region, in der Musikschulen nicht nur Unterrichtsorte, sondern kulturelle Begegnungsräume sind, wirkt jede strukturelle Veränderung weit über organisatorische Ebenen hinaus.
Ob der Harz mit einer gemeinsamen Dachstruktur aus Musikschule und Volkshochschule neue Stärke gewinnt oder ob eine gewachsene Bildungslandschaft an Profil verliert, wird sich erst nach der Entscheidung des Kreistags zeigen. Eines aber ist bereits sicher: Die Region schaut aufmerksam hin – und hofft, dass kulturelle Teilhabe auch künftig einen festen Platz im Harz hat.







