
Bad Sachsa. In der idyllischen Harzstadt Bad Sachsa sorgt die Notunterkunft für Geflüchtete erneut für Schlagzeilen. Bewohnerinnen und Bewohner erheben schwere Vorwürfe: Sie berichten von schlechtem Essen, unzumutbaren Zuständen und fehlender Privatsphäre. Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) kündigte inzwischen eine Prüfung der Vorwürfe an – während Politik und Bevölkerung unterschiedlich reagieren.
Ein idyllischer Ort im Harz mit sozialem Spannungsfeld
Bad Sachsa, eine Kleinstadt am Südrand des Harzes, ist eigentlich bekannt für ihre Heilbäder, Wanderwege und Familienfreundlichkeit. Doch hinter der Fassade aus Fachwerk und Ferienidylle herrscht derzeit Unruhe. In einer ehemaligen Kurklinik wurde vor rund zwei Jahren eine Notunterkunft für Geflüchtete eingerichtet, die inzwischen dauerhaft genutzt wird. Laut Angaben der LAB Niedersachsen leben dort aktuell rund 244 Menschen, nach einem geplanten Umbau sollen es bis zu 400 werden.
Die Einrichtung ist damit eine der größten im südlichen Harz und steht seit Monaten im Fokus regionaler Diskussionen. Schon früh hatte die Kommunalpolitik vor Überlastung gewarnt, doch die steigende Zahl Schutzsuchender ließ kaum Spielraum. Jetzt rücken die Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt.
Vorwürfe aus der Unterkunft: „Wir fühlen uns nicht respektiert“
In einem offenen Brief, den mehrere Geflüchtete an lokale Medien und die Landesaufnahmebehörde schickten, heißt es: „Das Essen ist schlecht, wir haben kaum Privatsphäre. Wir leben in Mehrbettzimmern ohne Möglichkeit, uns zurückzuziehen.“ Diese Worte haben im Harz hohe Wellen geschlagen. Mehrere Bewohner berichten von wiederkehrenden Problemen – etwa lauten Nächten, zu wenig hygienischem Raum und kaum Möglichkeiten, sich zurückzuziehen oder selbst zu kochen.
Die Vorwürfe richten sich insbesondere gegen den Betreiber der Einrichtung und die Landesaufnahmebehörde, die für Standards, Hygiene und Verpflegung zuständig ist. Ein Sprecher der LAB kündigte an, die Anschuldigungen „zeitnah und gründlich“ zu prüfen. Die Behörde betont zugleich, dass die Versorgung in Bad Sachsa den üblichen Standards für Erstaufnahmeeinrichtungen entspreche. Dennoch sollen Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern geführt werden, um „konkrete Verbesserungen zu ermöglichen“.
Welche Verpflegung bekommen Geflüchtete in Bad Sachsa?
Die Bewohner erhalten drei Mahlzeiten täglich. Das Essen wird zentral geliefert und entspricht laut Behörde den landesweiten Vorgaben für Gemeinschaftsunterkünfte. Die Geflüchteten sehen das anders: „Manchmal schmeckt es alt oder ist zu wenig“, so ein Bewohner gegenüber lokalen Medien. Besonders für Familien mit Kindern sei die Essenssituation „schwierig und unflexibel“.
Beengte Räume und fehlende Privatsphäre
Die Unterkunft befindet sich in einer ehemaligen Rehabilitationsklinik, deren Zimmer ursprünglich für zwei Personen ausgelegt waren. Heute teilen sich oft vier bis sechs Menschen ein Zimmer. Türen lassen sich nicht immer abschließen, Trennwände gibt es kaum. Ein Rückzugsort fehlt – und das zehrt an den Nerven vieler Bewohner.
Wie viel Privatsphäre haben Bewohner in der Unterkunft?
Die Privatsphäre ist begrenzt. Zwar bemüht sich die Verwaltung, Familien nach Möglichkeit gemeinsam unterzubringen, doch die räumlichen Gegebenheiten lassen kaum persönliche Freiräume zu. Untersuchungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte bestätigen, dass die Privatsphäre in vielen deutschen Unterkünften ein strukturelles Problem darstellt. Besonders Kinder und Frauen sind von fehlenden Rückzugsorten betroffen.
Psychische Belastung durch Enge und Unsicherheit
Eine Studie des Public Health Institute (2022) belegt: Fehlende Privatsphäre, ständiger Lärm und beengte Wohnverhältnisse erhöhen das Risiko psychischer Belastungen bei Geflüchteten erheblich. Symptome wie Schlafstörungen, Angst oder depressive Verstimmungen treten laut Forschung signifikant häufiger auf, wenn Betroffene in Gemeinschaftsunterkünften leben. Im Fall von Bad Sachsa könnten diese wissenschaftlichen Erkenntnisse erklären, warum die Vorwürfe so vehement geäußert werden.
Einrichtung unter Druck – und Behörden im Zugzwang
Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen steht nun unter öffentlicher Beobachtung. Sie hatte die Unterkunft erst im Februar 2024 modernisiert und die Kapazitäten von 200 auf 300 Plätze erweitert. Nach Abschluss von Brandschutzmaßnahmen sollen noch mehr Menschen Platz finden. Doch mit jeder Erweiterung steigt der Druck auf die Infrastruktur – von der Küche bis zur sanitären Versorgung.
Eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums erklärte, die Unterkunft sei Teil des „landesweiten Verteilkonzepts“. Bad Sachsa sei aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und der geographischen Lage im Harz als Standort ausgewählt worden. Der Harz als Region spiele demnach eine wichtige Rolle in der Verteilung von Geflüchteten in Niedersachsen, da er zwischen Ballungsräumen wie Hannover und Göttingen liegt.
Wie viele Menschen leben derzeit in der Unterkunft?
Nach offiziellen Zahlen der Behörde sind aktuell 244 Personen registriert. Viele von ihnen stammen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, einige aus afrikanischen Ländern. Ein Großteil wartet auf die Zuweisung in Kommunen oder auf eine Entscheidung im Asylverfahren. Diese Wartezeit kann sich über Monate hinziehen, was die Frustration vieler Bewohner zusätzlich verstärkt.
Stimmen aus der Bevölkerung: Zwischen Solidarität und Skepsis
In sozialen Netzwerken spiegelt sich die gespaltene Stimmung im Harz wider. Während einige Bürger Mitgefühl zeigen und Verbesserungen fordern, reagieren andere mit Unverständnis. In einer Facebook-Gruppe aus Bad Sachsa heißt es etwa: „Wir haben selbst kaum Wohnungen – wie soll das funktionieren?“ Andere kritisieren die mediale Berichterstattung als „einseitig“ und verteidigen die Arbeit der Behörden.
Die Polarisierung erinnert an frühere Debatten im Harz: Bereits 2024 berichtete Focus Online über Spannungen zwischen Anwohnern und Verwaltung, als über eine Kapazitätserhöhung diskutiert wurde. Damals sprach man von „notwendigen Anpassungen“ – heute sind daraus konkrete Konflikte geworden.
Soziale Medien als Verstärker
Interessant ist, dass die öffentliche Wahrnehmung zunehmend durch Social Media geprägt wird. Während offizielle Kanäle wie der Harzkurier auf X (vormals Twitter) von einer „vorbildlichen Integration“ sprechen, teilen Bewohner Videos, die beengte Räume und Mahlzeiten zeigen. Diese Diskrepanz zwischen offizieller Darstellung und persönlicher Erfahrung führt zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Behörden.
Hintergrund: Landesweite Herausforderungen bei der Flüchtlingsaufnahme
Die Situation in Bad Sachsa ist kein Einzelfall. Nach Angaben des Innenministeriums in Hannover waren im ersten Halbjahr 2025 rund 18 % weniger neue Geflüchtete in Niedersachsen angekommen als im Vorjahr. Dennoch bleiben viele Unterkünfte stark ausgelastet, da die Weiterverteilung stockt. Der Harz als Standort bietet zwar logistische Vorteile, doch alte Klinikgebäude wie in Bad Sachsa sind oft nicht für langfristige Aufenthalte ausgelegt.
Die Sicht der Experten
Das Deutsche Institut für Menschenrechte mahnt seit Jahren an, Gemeinschaftsunterkünfte menschenwürdiger zu gestalten. UNICEF Deutschland fordert zudem spezielle Schutzkonzepte für Kinder, um sie vor Gewalt und Überforderung zu schützen. Beides fehle vielerorts – auch im Harz. Der Bericht unterstreicht: Nur wer sich sicher und respektiert fühlt, kann Integration nachhaltig gestalten.
Welche Beschwerden gibt es konkret?
Die Hauptkritikpunkte lassen sich in drei Kategorien einteilen:
- Verpflegung: Mangelnde Qualität und Abwechslung beim Essen.
- Privatsphäre: Überfüllte Zimmer, keine abschließbaren Räume, Lärm.
- Kommunikation: Fehlende Ansprechpartner und unklare Abläufe.
Die Behörden wollen diese Punkte nun im Rahmen einer internen Untersuchung aufgreifen. Nach ersten Aussagen soll es Gespräche mit Bewohnern, Betreuern und Anwohnern geben. Ziel sei es, „Vertrauen wiederherzustellen und konkrete Verbesserungen einzuleiten“.
Reaktionen aus Politik und Verwaltung
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) besuchte bereits im vergangenen Jahr die Einrichtung und lobte die „engagierte Arbeit“ vor Ort. Nun steht sie erneut unter Druck. Oppositionelle Stimmen im Landtag fordern unabhängige Kontrollen und regelmäßige Qualitätsberichte. Kommunalpolitiker im Harz mahnen zu mehr Transparenz und besserer Kommunikation mit der Bevölkerung.
Ausblick: Zwischen notwendiger Hilfe und strukturellen Grenzen
Das Beispiel Bad Sachsa zeigt exemplarisch, wie eng praktische Hilfe, Verwaltungsvorgaben und menschliche Bedürfnisse miteinander verflochten sind. Der Harz trägt dabei eine doppelte Verantwortung: Er ist nicht nur touristisches Aushängeschild, sondern auch ein Ort, an dem Solidarität sichtbar werden kann. Doch wenn Missstände in Unterkünften bestehen bleiben, droht dieses Bild zu bröckeln.
Fazit: Der Harz steht vor einer Bewährungsprobe
Die Vorwürfe aus der Flüchtlingsunterkunft Bad Sachsa sind mehr als nur ein lokales Problem – sie sind ein Symbol für die Herausforderungen, vor denen viele Regionen im Harz und in ganz Deutschland stehen. Zwischen behördlichen Strukturen und menschlichen Bedürfnissen entsteht ein Spannungsfeld, das nur durch Transparenz, Dialog und konkrete Verbesserungen überbrückt werden kann.
Der Harz, oft als Symbol für Natur, Erholung und Gemeinschaft wahrgenommen, wird in diesem Fall zum Spiegel gesellschaftlicher Verantwortung. Wenn die angekündigten Prüfungen ernsthaft durchgeführt und Verbesserungen umgesetzt werden, könnte Bad Sachsa zu einem Beispiel werden – nicht für Missstände, sondern für Wandel. Noch aber bleibt der Eindruck, dass die Stimmen der Bewohner zu leise sind, um gegen die bürokratischen Strukturen anzukommen. Und so bleibt die Hoffnung, dass aus den aktuellen Vorwürfen langfristig Verbesserungen entstehen – für Bad Sachsa, für den Harz und für alle, die hier Schutz suchen.







