Sachsen-Anhalt

Rechte Netzwerke zwischen Harz und Berlin: Wie sich extremistische Strukturen ausbreiten

Ein Bahnübergang im ländlichen Raum mit Blick auf Berlin und den Harz – Symbol für die Verbindung zwischen Stadt und Land im Fokus rechter Netzwerke. (Symbolbild – exemplarisch)

Die Gefahr von rechts ist keine abstrakte Bedrohung mehr, sondern vielerorts konkrete Realität. Zwischen Berlin und dem Harz entsteht ein immer dichteres Netz rechtsextremer Aktivitäten, das zunehmend Einfluss auf Alltag, Politik und Gesellschaft nimmt.

Die unterschätzte Gefahr: Von der Provinz bis in die Hauptstadt

Die Sicherheitsbehörden schlagen Alarm: In Sachsen-Anhalt, insbesondere im Jerichower Land, ist ein Anstieg rechtsextremer Aktivitäten zu verzeichnen. Gleichzeitig beobachten Experten eine zunehmende Verflechtung dieser Strukturen mit Projekten und Gruppen in der Harzregion und in Berlin. Diese Entwicklung ist nicht nur besorgniserregend, sondern zeigt, wie flexibel und strategisch rechtsextreme Netzwerke mittlerweile agieren.

Früher galten Berlin und ländliche Regionen wie der Harz oder das Jerichower Land als voneinander unabhängige Räume rechter Aktivitäten. Heute verläuft eine gut dokumentierte Achse der Vernetzung über Regionen und Milieus hinweg. Ob über Immobilien, Veranstaltungen oder digitale Propaganda – rechte Gruppen nutzen moderne Mittel, um ihre Strukturen zu festigen und zu verbreiten.

Immobilien und Rückzugsorte: Wie sich Rechte verankern

Ein zentrales Mittel der Etablierung rechtsextremer Szenen ist die strategische Nutzung von Immobilien. In Sachsen-Anhalt befinden sich über 30 bekannte Objekte, die gezielt von rechten Gruppierungen genutzt werden – darunter ehemalige Gasthöfe, Vereinsheime und Bauernhöfe. Auch in der Harzregion, etwa in der Nähe von Quedlinburg oder Ballenstedt, sind völkische Siedlungsprojekte wie „Weda Elysia“ entstanden, die ökologische Ideale mit völkisch-nationalistischem Gedankengut verknüpfen.

Diese Immobilien sind mehr als nur Treffpunkte: Sie dienen als Ausbildungszentren, Lager für Propagandamaterial und sogar als Veranstaltungsorte für Kampfsport-Events. Die Kombination aus abgeschiedener Lage und regionaler Unauffälligkeit macht sie für die Szene besonders attraktiv.

Was steckt hinter der völkisch-esoterischen Landnahme im Harz?

Völkische Siedlungen gelten mittlerweile als Einfallstore für rechtsextreme Ideologien. Projekte wie „Weda Elysia“ oder andere nach Anastasia-Ideologie ausgerichtete Gemeinschaften bieten nicht nur Raum für ideologische Schulungen, sondern prägen auch das soziale Klima in ihren Regionen. Diese Art der „sozialen Landnahme“ beeinflusst Kommunalpolitik, Nachbarschaften und lokale Bildungsprojekte.

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Berlin: Hauptstadt der Radikalisierung?

Während sich im ländlichen Raum die Szene verfestigt, wird Berlin zunehmend zum Knotenpunkt ideologischer Verbreitung. Besonders in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Neukölln und Lichtenberg häufen sich rechte Propagandaaktionen, Angriffe auf politische Gegner sowie Aktivitäten organisierter Gruppen wie „Der Dritte Weg“ oder „Deutsche Jugend Voran“.

Letztere nutzt gezielt die Nähe zu Ultra-Fußball-Szenen und Schulmilieus, um Jugendliche zu ködern. So entstehen emotionale Anknüpfungspunkte, die dann ideologisch ausgeschlachtet werden.

Welche Rolle spielen Schulen und Jugendliche bei rechter Radikalisierung in Berlin und Sachsen-Anhalt?

Vor allem in Ostdeutschland warnen Schülervertretungen und Lehrer:innen vor einer wachsenden Zahl rassistischer und antisemitischer Vorfälle im Schulalltag. Immer häufiger werden rechtsextreme Symbole, Codes oder Narrative entdeckt – sowohl analog in Klassenzimmern als auch digital in Messenger-Gruppen oder über soziale Plattformen.

Ein besonderes Problem stellt dabei die algorithmisch gesteuerte Radikalisierung dar: Jugendliche, die sich für Geschichte, Kampfsport oder alternative Ernährung interessieren, stoßen über Plattformen wie YouTube, TikTok oder Telegram auf scheinbar harmlose Inhalte – die sich bei genauerem Hinsehen als Einstieg in rechtsextreme Ideologie entpuppen.

Strategien der Szene: Digitalisierung und Normalisierung

Die rechten Netzwerke passen sich geschickt den Mechanismen der digitalen Welt an. Durch Memes, Livestreams oder humoristische Kurzvideos gelingt es ihnen, politische Inhalte subtil zu verpacken und neue Zielgruppen anzusprechen. Besonders beliebt sind sogenannte „Lifestyle-Influencer“, die zunächst mit Themen wie Fitness, Natur oder Selbstversorgung werben – später aber völkische, rassistische oder verschwörungsideologische Inhalte vermitteln.

Auf welchen Plattformen kommunizieren rechte Netzwerke online am aktivsten?

Besonders aktiv sind rechtsextreme Gruppen auf Telegram, Discord und dezentralen Plattformen wie Mastodon. Dort betreiben sie geschlossene Gruppen mit Hunderten von Mitgliedern. Hier wird nicht nur Ideologie verbreitet, sondern auch logistische Hilfe angeboten – etwa für Umzüge, Demos oder juristische Unterstützung.

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Zivilgesellschaftlicher Widerstand: Hashtags und Haltung

Die digitale Gegenbewegung hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verstärkt. Hashtags wie #WirSindDieBrandmauer oder #NieWiederIstJetzt trenden regelmäßig auf X (ehemals Twitter) und Instagram. Prominente, Influencer:innen und Aktivist:innen nutzen diese, um Haltung zu zeigen und Menschen zum Mitmachen zu bewegen.

Auch offline zeigt sich der Widerstand: Seit Anfang 2024 gingen über drei Millionen Menschen bei rund 1200 Demos gegen Rechtsextremismus auf die Straße – von Großstädten wie Berlin bis in kleinere Gemeinden im Harzvorland. Dennoch: In vielen ländlichen Regionen fühlen sich Antifaschist:innen oft allein gelassen.

Wie erleben Menschen in ländlichen Regionen den Protest gegen rechts?

Berichte aus Gegenden wie Cottbus oder dem Jerichower Land zeigen: Wer sich offen gegen rechts positioniert, muss mit Bedrohungen, Überwachung oder sozialer Isolation rechnen. Einzelne Aktivist:innen berichten von Drohnenüberflügen während Mahnwachen, gezielten Einschüchterungsversuchen und fehlender Unterstützung durch lokale Behörden.

Statistik: Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Kategorie 2023 2024
Rechtsextreme Straftaten 25.750 37.835
Rechtsextreme Gewalttaten 1.148 1.281
Betroffene rechter Gewalt (geschätzt) 10.200 12.600
Verfassungsschutz-Personenpotenzial ca. 40.500 ca. 50.250

Diese Zahlen zeigen: Die Szene wächst – quantitativ, aber auch qualitativ in ihrer Organisationsform, Vernetzung und ihrem Einfluss auf Gesellschaftsstrukturen.

Wie vernetzen sich rechtsextreme Gruppen im Harz und in Berlin?

Das geschieht auf verschiedenen Ebenen: physisch durch gemeinsame Veranstaltungen und Projekte, digital durch Telegram-Gruppen und Vernetzungsplattformen, ideologisch durch abgestimmte Narrative. Auffällig ist die Relevanz alter Kameradschaftsstrukturen, die sich mit neuen Formaten wie völkisch-esoterischer Landnahme oder alternativer Jugendkultur verknüpfen.

Hilfe und Prävention: Was tun gegen die rechte Welle?

Zivilgesellschaftliche Initiativen und Beratungsangebote nehmen eine wichtige Rolle ein. Programme wie Ezra Thüringen oder die Online-Beratung gegen Rechtsextremismus bieten Betroffenen niedrigschwellige Hilfe – mobil, digital und anonym. Sie begleiten Gerichtsverfahren, leisten psychologische Unterstützung und stärken lokale Akteur:innen.

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Welche Unterstützungsangebote gibt es für Betroffene rechter Gewalt im Osten Deutschlands?

  • Mobile Opferberatung durch Ezra Thüringen
  • Anonyme Online-Hilfe für Angehörige und Betroffene
  • Workshops und Trainings für Schulen, Vereine und Gemeinden
  • Rechtsberatung durch spezialisierte Jurist:innen

Zunehmend setzen sich auch Kommunen und Schulen proaktiv mit dem Thema auseinander – mit Demokratiebildung, Antirassismusprojekten und digitaler Medienbildung.

Ein neues Kapitel der Aufmerksamkeit

Die Entwicklungen im Dreieck Berlin – Jerichower Land – Harz markieren eine neue Phase des Rechtsextremismus in Deutschland. Die Szene ist heute besser organisiert, strategischer und näher an der Mitte der Gesellschaft als je zuvor. Sie nutzt digitale Technologien ebenso geschickt wie ländliche Rückzugsorte, setzt auf Jugendliche wie auf Tradition, vermischt Esoterik mit Nationalismus und Gewalt mit Opfermythen.

Gleichzeitig wächst aber auch der gesellschaftliche Widerstand. Die vielen Demonstrationen, digitalen Kampagnen und mutigen Einzelpersonen zeigen: Es gibt keine schweigende Mehrheit mehr – sondern eine lauter werdende Zivilgesellschaft, die sich dieser Entwicklung entgegenstellt.

Doch der Kampf gegen rechts ist kein Sprint, sondern ein Marathon – einer, der Wachsamkeit, Bildung und strukturelle Veränderungen braucht. Denn was in Berlin beginnt, endet oft auch in den Dörfern.

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Über den Autor

Berichte und Artikel

Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.