
Wernigerode. Eine neue Allgemeinverfügung sorgt derzeit für Diskussionen unter Landwirten im Harz. Die Stallpflicht für Geflügel, die wegen der Ausbreitung der Vogelgrippe angeordnet wurde, betrifft nach Angaben der Behörden sämtliche Hühnerarten – auch jene aus Bio- und Freilandhaltung. Viele Bio-Betriebe stehen damit vor der Frage, wie sie ihre Tiere artgerecht halten und gleichzeitig die gesetzlichen Vorgaben einhalten können.
Hintergrund: Warum die Stallpflicht im Harz eingeführt wurde
Der Landkreis Harz hat die Stallpflicht für sämtliches Geflügel in einer aktuellen Allgemeinverfügung angeordnet. Betroffen sind „Hühner aller Arten, Fasane, Laufvögel, Wachteln, Enten und Gänse“. Diese Maßnahme wurde nicht leichtfertig getroffen, sondern ist eine direkte Reaktion auf die zunehmenden Fälle der Geflügelpest (H5N1) in ganz Deutschland. Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) stuft das Risiko einer Einschleppung des Virus durch Wildvögel derzeit als hoch ein. Ziel der Maßnahme ist es, eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern und die Nutzgeflügelbestände im Harz zu schützen.
Die Stallpflicht bedeutet, dass Tiere nicht mehr ins Freie dürfen. Auch das Füttern im Außenbereich ist untersagt, um Kontakte mit Wildvögeln zu vermeiden. Veranstaltungen wie Geflügelausstellungen und -märkte sind bis auf Weiteres verboten. Diese Regelung gilt für alle Halter, unabhängig davon, ob sie gewerblich oder privat Geflügel halten – und schließt ausdrücklich Bio- und Freilandhaltungen mit ein.
Bio-Haltung im Konflikt mit der Stallpflicht
Für Bio-Betriebe im Harz stellt die Stallpflicht eine besondere Herausforderung dar. Nach den EU-Bio-Verordnungen (EU 2018/848 und den Durchführungsverordnungen EU 2020/464 sowie EU 2021/1165) müssen Bio-Hühner täglich Zugang zu einem Freigelände haben. Dieses Auslaufrecht ist ein zentraler Bestandteil der Bio-Philosophie, denn es steht für Tierwohl, Bewegungsfreiheit und eine natürliche Lebensweise. Im Normalfall gilt: mindestens vier Quadratmeter Auslauf pro Huhn auf begrüntem Gelände. Doch diese Vorgaben stehen nun im direkten Widerspruch zur aktuellen Aufstallungsanordnung.
Viele Bio-Landwirte fragen sich deshalb, ob ihre Tiere bei der derzeitigen Stallpflicht überhaupt noch als „Bio-Hühner“ gelten. Eine häufig gestellte Frage lautet: „Verliert das Bio-Label seine Gültigkeit, wenn Geflügel aus Bio-Haltung in den Stall muss?“ Die Antwort lautet: nein. Auch bei einer behördlich angeordneten Aufstallung dürfen die Produkte weiterhin als „Bio“ verkauft werden, solange alle anderen Bio-Vorgaben eingehalten werden – etwa bei Fütterung, Stallgröße und Hygienestandards. Es handelt sich also um eine vorübergehende Einschränkung, die durch den Seuchenschutz gerechtfertigt ist.
Was bedeutet „Aufstallungspflicht“ konkret?
Unter „Aufstallungspflicht“ versteht man die Anordnung, Geflügel in geschlossenen Räumen zu halten. Im Harz betrifft das sämtliche Betriebe mit Hühnern, Enten, Gänsen oder Puten. Ziel ist der Schutz vor Wildvögeln, die das Virus über Kot, Federn oder kontaminiertes Futter verbreiten könnten. Für viele Halter ist das logistisch anspruchsvoll, da nicht jeder Hof über ausreichend geschlossene Stallflächen verfügt. Kleine Bio-Höfe müssen improvisieren, etwa mit provisorischen Überdachungen oder Netzsystemen, die als „überdachte Ausläufe“ gelten.
Bio-Hühner im Stall – darf das sein?
Eine häufige Suchanfrage lautet: „Dürfen Bio-Hühner bei einer behördlichen Aufstallung trotzdem Auslauf haben?“ Die Antwort: grundsätzlich nein. Wenn eine amtliche Stallpflicht besteht, darf das Geflügel keinen direkten Zugang ins Freie haben. Erlaubt ist aber in manchen Fällen ein überdachter Außenbereich mit Seitenwänden, der gegen den Einflug von Wildvögeln gesichert ist. So können Tiere zumindest teilweise natürliches Licht und frische Luft erhalten.
In der Praxis führt das zu Anpassungen bei der Fütterung, dem Stallklima und der Beschäftigung der Tiere. Viele Bio-Höfe im Harz setzen auf zusätzliche Strohballen, Picksteine und andere Maßnahmen, um Langeweile und Stress im Stall zu vermeiden. Denn Bewegungseinschränkung bedeutet auch Verhaltensänderung – ein Thema, das besonders in der Bio-Tierhaltung sensibel behandelt wird.
Die Perspektive der Landwirte im Harz
Bio-Betriebe im Harz äußern sich besorgt über die langfristigen Folgen. „Unsere Hühner sind den Auslauf gewohnt – sie plötzlich einzusperren, verändert ihr Verhalten sofort“, erklärt ein Landwirt aus dem Raum Halberstadt. „Wir verstehen die Notwendigkeit der Maßnahme, aber sie trifft uns hart, weil das Tierwohl darunter leidet.“
Ähnliche Stimmen finden sich auch in landwirtschaftlichen Foren und sozialen Medien. Auf Reddit etwa diskutieren Verbraucher und Landwirte, was „Bio“ wirklich bedeutet, wenn die Tiere monatelang nicht ins Freie dürfen. Konsumenten erwarten häufig, dass Bio-Eier aus Freilandhaltung stammen – ein Missverständnis, das während einer Stallpflicht für Verwirrung sorgt. Einige Bio-Erzeuger befürchten, dass ihre Kunden den Unterschied nicht verstehen und den Bio-Status in Frage stellen könnten.
Was gilt rechtlich für Bio-Höfe während einer Stallpflicht?
Bio-Höfe müssen sich auch während einer Aufstallungsphase an alle EU- und Bundesvorgaben halten. Das heißt: Futter muss weiterhin aus kontrolliert ökologischem Anbau stammen, und die Besatzdichte darf die vorgeschriebenen Werte nicht überschreiten. Die Ausnahmegenehmigung für das fehlende Freigelände muss dokumentiert werden. Nur dann darf der Betrieb seine Produkte weiterhin als „Bio“ vermarkten.
Ein weiterer Punkt betrifft die Biosicherheit. Bei Stallpflicht müssen Halter strenge Hygieneregeln befolgen, darunter:
- Getrennte Stall- und Straßenkleidung
- Desinfektion von Schuhen und Geräten
- Vermeidung von Außenfütterung
- Abschirmung der Stallöffnungen gegen Wildvögel
- Dokumentation der Tierbewegungen und Futterquellen
Diese Maßnahmen dienen nicht nur dem Seuchenschutz, sondern auch der Rückverfolgbarkeit im Falle eines Ausbruchs.
Auswirkungen auf den regionalen Eiermarkt
Die aktuelle Lage wirkt sich bereits auf den Eiermarkt im Harz und in ganz Deutschland aus. Durch die Aufstallungspflicht verlieren viele Freilandbetriebe ihren bisherigen Status, was die Kennzeichnung ihrer Eier verändert. Nach geltendem EU-Recht dürfen Eier maximal zwölf Wochen lang als „Freilandeier“ verkauft werden, wenn die Hühner aufgrund von Seuchenmaßnahmen im Stall bleiben müssen. Danach müssen sie als „Bodenhaltung“ deklariert werden – auch wenn der Betrieb ursprünglich Freiland- oder Bio-Standard erfüllt.
Das sorgt für Preisschwankungen und Unsicherheiten. Händler und Verbraucher sehen sich mit einem veränderten Angebot konfrontiert. Viele Supermärkte reagieren mit Hinweisschildern, um Transparenz zu schaffen. Die Verbraucherzentrale rät, auf Verpackungshinweise zu achten: Ein „0“ auf dem Ei steht weiterhin für ökologische Erzeugung, selbst wenn die Tiere zeitweise keinen Freilauf haben.
Wie reagieren Verbraucher auf die Stallpflicht?
In sozialen Medien äußern viele Verbraucher Verständnis für die Maßnahmen, zeigen sich aber auch irritiert über die komplexe Kennzeichnung. Ein Kommentar auf Instagram bringt es auf den Punkt: „Ich kaufe Bio, weil ich will, dass die Tiere draußen leben. Wenn sie jetzt monatelang eingesperrt sind, fühlt sich das falsch an – auch wenn’s nötig ist.“
Das zeigt, wie stark Emotionen, Ethik und Vertrauen beim Thema „Bio“ zusammenhängen. Landwirte im Harz versuchen deshalb, transparent zu informieren – etwa über Social Media oder Hofnewsletter. Das Ziel: Verständnis schaffen und Missverständnisse vermeiden.
Was passiert, wenn die Stallpflicht zu lange dauert?
Eine weitere häufige Frage lautet: „Wie lange dürfen Hühner im Stall bleiben, ohne dass die Haltungskategorie geändert werden muss?“ Hierzu gilt laut EU-Regelung: Nach zwölf Wochen Stallpflicht dürfen Freiland-Eier nicht mehr als solche verkauft werden. Für Bio-Betriebe bleibt der Status bestehen, solange alle anderen Bio-Vorgaben erfüllt sind. Dennoch kann eine lang anhaltende Aufstallung wirtschaftliche Folgen haben, da Konsumenten eventuell weniger bereit sind, für Bio-Eier den höheren Preis zu zahlen.
Tiergesundheit und seuchenrechtliche Perspektive
Das Friedrich-Loeffler-Institut warnt vor einer anhaltend hohen Infektionsgefahr durch Wildvögel. In diesem Herbst wurden in acht Bundesländern bereits über 200.000 Tiere gekeult. Auch wenn der Harz bisher von größeren Ausbrüchen verschont blieb, gilt die Region wegen ihrer Lage an Vogelzugrouten als Risikogebiet. Die Stallpflicht soll daher präventiv wirken, bevor es zu Infektionen in den Beständen kommt.
Landwirte im Harz appellieren an die Behörden, klare Informationen und praktikable Lösungen bereitzustellen. Besonders kleine Betriebe fordern finanzielle Unterstützung, um die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen umsetzen zu können. Einige plädieren für eine bundeseinheitliche Regelung, damit es keine regionalen Unterschiede gibt, die den Wettbewerb verzerren.
Ausblick: Wann könnte die Stallpflicht wieder aufgehoben werden?
Die Aufstallungspflicht bleibt in Kraft, bis das Risiko der Geflügelpest deutlich sinkt. Das Veterinäramt des Landkreises Harz überprüft die Situation regelmäßig und entscheidet auf Grundlage der aktuellen FLI-Bewertungen. Ein fester Termin zur Aufhebung existiert derzeit nicht. Erfahrungsgemäß dauert eine Stallpflicht jedoch mehrere Wochen bis Monate – abhängig von den Witterungsverhältnissen und den Zugbewegungen der Wildvögel.
Fazit: Der Harz zwischen Tierwohl und Seuchenschutz
Die aktuelle Stallpflicht stellt die Geflügelhalter im Harz vor einen Balanceakt zwischen Tierwohl, wirtschaftlichem Überleben und öffentlicher Sicherheit. Bio-Betriebe müssen ihren Tieren nun drinnen gerecht werden – ohne den Anspruch an artgerechte Haltung zu verlieren. Für Verbraucher ist Transparenz entscheidend: Bio bleibt Bio, auch wenn der Auslauf vorübergehend eingeschränkt ist. Wichtig ist, dass Landwirte, Behörden und Konsumenten gemeinsam Verständnis für diese Ausnahmesituation entwickeln.
Im Harz zeigt sich einmal mehr, wie eng Tiergesundheit, Landwirtschaft und Verbrauchervertrauen miteinander verwoben sind. Wenn die Seuchengefahr gebannt ist, können die Hühner wieder ins Freie – und mit ihnen kehrt ein Stück Normalität in die Ställe zurück. Bis dahin bleibt die Hoffnung, dass konsequente Vorsorge hilft, den Harz vor größeren Ausbrüchen zu schützen und den Ruf seiner Bio-Landwirtschaft zu bewahren.







