
Wernigerode (Harz). Ein unscheinbarer Silberstift aus dem 15. Jahrhundert sorgt im Harz derzeit für Aufsehen. Bei den jüngsten Grabungen am ehemaligen Kloster Himmelpforte bei Wernigerode haben Archäologinnen und Archäologen ein außergewöhnlich gut erhaltenes Schreibgerät entdeckt. Der Fund gewährt tiefe Einblicke in die Bildungs- und Schriftkultur der Renaissance – und öffnet ein neues Kapitel in der Geschichte des Harzes.
Ein Fund, der Geschichte schreibt
Das Kloster Himmelpforte, gelegen am Rande von Wernigerode im nördlichen Harz, war über Jahrhunderte ein Zentrum geistigen Lebens, der Schriftkultur und Bildung. Nun rückte die Stätte durch eine spektakuläre Entdeckung erneut in den Fokus der Forschung: Ein Silberstift, datiert auf das 15. Jahrhundert, wurde bei archäologischen Grabungen gefunden. Mit einer Länge von 11,1 Zentimetern und einer feinen Silberspitze zeugt dieses Artefakt von handwerklicher Präzision und vom hohen kulturellen Standard der damaligen Zeit.
Das Besondere: Es handelt sich um einen sogenannten „Silberstift“, ein Schreib- und Zeichenwerkzeug, das im Mittelalter und in der Renaissance verbreitet, heute aber äußerst selten ist. Solche Werkzeuge wurden vor allem von Mönchen, Künstlern und Gelehrten verwendet, lange bevor der Graphitstift erfunden wurde.
Wie ein Silberstift funktionierte
Doch was genau ist ein Silberstift? In der Renaissance nutzten Künstler und Schreiber Metallstifte – meist aus Silber, seltener aus Gold oder Blei – auf speziell präparierten Oberflächen wie Pergament oder mit Knochenasche beschichtetem Papier. Beim Schreiben oder Zeichnen wurden feinste Silberpartikel auf die Oberfläche übertragen. Durch Oxidation verfärbten sich die Linien mit der Zeit bräunlich, wodurch Zeichnungen und Schriften eine unverwechselbare Patina erhielten.
Der Silberstift war ein Werkzeug höchster Präzision. Anders als bei späteren Graphitstiften war das Radieren nicht möglich – jede Linie musste sitzen. Künstler wie Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci nutzten diese Technik für Studien und Skizzen. Der nun im Harz gefundene Stift steht somit sinnbildlich für eine Epoche, in der Kunst und Wissenschaft eng miteinander verwoben waren.
Archäologisches Kleinod aus dem Harz
Der Fundort selbst – das Kloster Himmelpforte – liegt idyllisch zwischen Wald und Fluss. Gegründet im 13. Jahrhundert, war es ein spirituelles, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum im Harz. Archäologinnen fanden den Silberstift in einer Terrassenböschung im Ostflügel der alten Klosteranlage. Die Analyse ergab, dass der Schaft aus einer Rotgusslegierung besteht, während die Spitze aus nahezu reinem Silber mit einem geringen Kupferanteil gefertigt wurde.
Die Archäologen berichten von sichtbaren Schleifspuren und winzigen Luftblasen im Metall, die auf eine aufwendige Gießtechnik hinweisen. Solche Details lassen auf eine hochentwickelte Metallverarbeitung schließen – bemerkenswert für ein Objekt, das vermutlich im klösterlichen Umfeld des Harzes hergestellt oder verwendet wurde.
Warum der Silberstift im Harz so besonders ist
Archäologisch betrachtet sind Silberstifte extrem selten. Metalle korrodieren leicht, und organische Materialien wie Papier oder Pergament verfallen schnell. Dass ein solches Schreibgerät in dieser Erhaltung gefunden wurde, gilt als Glücksfall. Es ist nicht nur ein Artefakt, sondern ein Schlüssel zur Rekonstruktion der Wissenskultur im spätmittelalterlichen Harz.
Der Fund belegt zudem, dass im Kloster Himmelpforte nicht nur gebetet, sondern auch geschrieben, gezeichnet und gelehrt wurde. Die Verbindung aus Religion, Kunst und Wissenschaft war für den Harz jener Zeit prägend – und findet in diesem kleinen Objekt eine eindrucksvolle Bestätigung.
Kloster Himmelpforte: Ort des Glaubens, der Kunst und des Wissens
Die Geschichte des Klosters Himmelpforte ist eng mit der Entwicklung des Harzes verknüpft. Gegründet um 1253 von Augustiner-Eremiten, erlebte es im 15. und frühen 16. Jahrhundert seine Blütezeit. Hier wurden Manuskripte kopiert, Bücher illustriert und religiöse Texte verfasst. Der Bauernkrieg von 1525 markierte schließlich das gewaltsame Ende der Anlage: Aufständische Bauern und Bürger aus Wernigerode stürmten das Kloster, plünderten es und hinterließen Zerstörung.
Heute wird die Stätte im Rahmen von Bürgerwissenschaftsprojekten (Citizen Science) erforscht. Freiwillige und Fachleute arbeiten Hand in Hand, um die Geschichte des Ortes zu rekonstruieren. Dabei kommen immer wieder faszinierende Objekte zutage: Münzschätze, Buchfragmente und nun der Silberstift – ein Symbol des Wissens und der Bildung inmitten religiöser Umbrüche.
Ein Blick in die Werkstätten der Mönche
Der Silberstiftfund wirft auch ein Licht auf den Alltag im Kloster. Mönche waren nicht nur Geistliche, sondern auch Schreiber, Künstler und Forscher. Im sogenannten Skriptorium entstanden Texte und Illustrationen, die Wissen und Glaube vereinten. Mit Werkzeugen wie Silberstiften, Federkielen und Tinten konnten sie Schriften von hoher Präzision anfertigen.
„Solche Funde sind mehr als nur Gegenstände“, erklärt ein beteiligter Archäologe. „Sie erzählen Geschichten über Bildung, Technik und das Denken der Menschen jener Zeit. Der Harz war damals ein Wissensraum – und Himmelpforte eines seiner kulturellen Herzstücke.“
Was macht den Fund für die Forschung so wertvoll?
Die Analyse des Stifts liefert Einblicke in mittelalterliche Materialkunde. Der Silberanteil von rund 95 Prozent, kombiniert mit 5 Prozent Kupfer, lag über der damaligen Sterlingsilberqualität. Die Verwendung einer Rotgusslegierung für den Schaft zeigt technisches Know-how. Zudem belegen Schleifspuren, dass der Stift tatsächlich im Gebrauch war – möglicherweise von einem Mönch, der Texte oder Zeichnungen anfertigte.
Für Archäologinnen ist der Fund daher nicht nur ein Stück Metall, sondern ein Fenster in die Vergangenheit des Harzes. Er belegt das technische Können, die ästhetische Feinfühligkeit und die intellektuelle Tiefe jener Zeit.
Wie selten sind solche Funde wirklich?
Die Frage, warum Silberstifte so selten sind, ist schnell beantwortet: Nur wenige überstanden die Jahrhunderte. Korrosion, Feuchtigkeit und Kriege ließen viele dieser Objekte verschwinden. Die wenigen bekannten Exemplare stammen meist aus Künstlernachlässen oder Werkstätten. Dass nun im Harz ein vollständig erhaltener Silberstift auftauchte, ist für die Forschung ein Glücksfall.
Solche Funde sind deshalb bedeutend, weil sie die Lücke zwischen schriftlicher Überlieferung und materieller Kultur schließen. Sie machen sichtbar, wie Wissen einst bewahrt und weitergegeben wurde – ein Aspekt, der für die Kulturgeschichte des Harzes enorm wichtig ist.
Der Silberstift als Fenster zur Renaissance im Harz
Die Entdeckung des Silberstifts ist auch ein Beitrag zur Erforschung der Renaissance im Harz. Während Städte wie Goslar oder Quedlinburg durch Handel und Handwerk aufblühten, entwickelte sich in den Klöstern eine Kultur der Kunst und Gelehrsamkeit. Das Zusammenspiel von Religion, Wissen und Technik prägte die Region nachhaltig.
Von der Kunst zum Wissenstransfer
Der Silberstift war mehr als ein Schreibgerät – er war ein Symbol für Präzision, Wissen und geistige Arbeit. Seine Verwendung in Klöstern zeigt, dass der Harz nicht nur ein Ort des Bergbaus und der Wirtschaft, sondern auch ein Zentrum der Bildung war. Die filigranen Linien eines Silberstifts stehen sinnbildlich für die feine Verbindung zwischen Handwerk und Geist.
Wie Silberstiftzeichnungen die Kunst prägten
In der Kunstgeschichte gilt der Silberstift als Vorläufer moderner Zeicheninstrumente. Er erlaubte präzise Linienführung und diente oft als Grundlage für spätere Gemälde. Viele berühmte Künstler nutzten ihn für Studien, darunter Dürer, Leonardo und Rembrandt. Ihre Arbeiten zeigen, wie die metallische Linie zu einem ästhetischen Ausdrucksmittel wurde – und damit auch im Harz Spuren hinterließ, wo klösterliche Werkstätten solche Techniken übernahmen.
Vorteile und Besonderheiten des Silberstifts
- Feinste Linienführung und hohe Präzision
- Kein Radieren möglich – daher Übung und Disziplin nötig
- Langlebige Linien durch Oxidation des Silbers
- Hochwertige Materialverarbeitung, oft handgefertigt
Archäologie und Öffentlichkeit im Harz
Ein weiterer spannender Aspekt: Die Grabungen in Himmelpforte werden teilweise durch Bürgerforschung begleitet. Interessierte aus der Region helfen bei der Dokumentation und lernen dabei, wie archäologische Forschung funktioniert. Das stärkt nicht nur die Verbundenheit der Harzer Bevölkerung mit ihrer Geschichte, sondern schafft auch Bewusstsein für den kulturellen Wert solcher Funde.
Ausstellung „Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände“
Der Silberstift wird ab Juni 2025 im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gezeigt. Die Sonderausstellung beleuchtet die dramatischen Ereignisse der Bauernkriege und die Rolle der Klöster im Harz und darüber hinaus. Neben Münzen, Buchfragmenten und Werkzeugen wird der Silberstift als Symbol für die geistige Arbeit der Mönche präsentiert.
Ein Korrespondenzprogramm im Harzmuseum Wernigerode ergänzt die Schau. Besucherinnen und Besucher können dort originale Fundstücke und Grabungsfotos betrachten – ein Muss für alle, die sich für Geschichte und Archäologie im Harz interessieren.
Fazit: Ein kleiner Stift, ein großes Kapitel Harzer Geschichte
Die Entdeckung des Silberstifts an der Himmelspforte ist mehr als ein archäologischer Erfolg – sie ist ein kulturelles Ereignis für den gesamten Harz. Der Fund verbindet die Welt der mittelalterlichen Klöster mit der Gegenwart, in der Forscher und Bürger gemeinsam Geschichte sichtbar machen. Er erzählt von Wissen, Handwerk und der ungebrochenen Neugier des Menschen.
Dass ein so filigranes Werkzeug über Jahrhunderte im Boden des Harzes überdauerte, ist kaum zu glauben. Doch gerade diese Beständigkeit steht sinnbildlich für den Geist der Region: beständig, wissbegierig und voller Geschichte. Der Silberstift von Himmelpforte ist damit nicht nur ein Relikt der Renaissance, sondern ein Botschafter Harzer Kultur – und erinnert uns daran, dass große Geschichten oft mit kleinen Linien beginnen.







