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Glasfaser im Harz: Zwischen Fortschritt, Frust und Flickenteppich

Halberstadt, 12. Juni 2025 – 10:30 Uhr

Der Glasfaserausbau im Harz schreitet langsam voran. Während einige Orte bereits über schnelle Internetverbindungen verfügen, warten andere Regionen noch immer auf den ersten Spatenstich. Zwischen Förderprogrammen, Anbieterwechseln, technologischen Kompromissen und verhaltener Nachfrage entsteht ein heterogenes Bild digitaler Infrastrukturentwicklung in einer der landschaftlich schönsten, aber infrastrukturell herausfordernden Regionen Deutschlands.

Uneinheitlicher Stand: Wer ist versorgt, wer nicht?

Im Landkreis Harz zeigt sich eine deutliche Zweiteilung: Städte wie Halberstadt, Wernigerode oder Osterode sind bereits teilerschlossen oder befinden sich in aktiven Ausbaustufen. In vielen ländlichen Gemeinden jedoch – darunter Bad Suderode, Rieder oder Nordharz – herrscht weiterhin digitale Steinzeit. Besonders auffällig ist, dass selbst touristisch relevante Orte wie Schierke oder Harzgerode beim Ausbau kaum Fortschritte verzeichnen.

Ein Überblick über exemplarische Ausbauquoten:

OrtVersorgungsquote (geschätzt)
Halberstadt~65 %
Wernigerode~61 %
Nordharz~31 %
Bad Suderode / Rieder~0 %

Die Gründe für diese Unterschiede sind vielfältig: topografische Hürden, geringe Bevölkerungsdichte, mangelnde Wirtschaftlichkeit und Rückzüge von Anbietern prägen die Situation.

Verzögerungen, Rückzüge, Neuverteilungen

In vielen Regionen wurden Ausbauprojekte aufgrund mangelnder Nachfrage oder logistischer Herausforderungen gestoppt oder verschoben. Besonders betroffen sind Orte wie Herzberg, Wernigerode oder Harzgerode, in denen Anbieter wie MDDSL oder die Telekom bereits zugesagte Lose zurückgeben mussten. Der Landkreis Harz sieht sich dadurch gezwungen, neue Ausschreibungsrunden zu organisieren – mit dem Ziel, bis spätestens Ende 2025 wenigstens eine Grundversorgung mit Glasfaser in allen Ortsteilen sicherzustellen.

Ein Beispiel: In Herzberg erreichte die Nachfragebündelung nur rund 12 % statt der benötigten 33 %. Auch der Oberharz (u. a. Schierke) bleibt weiterhin ohne konkreten Baustart – ursprünglich war der Beginn bereits für 2023 vorgesehen, nun wird das Jahr 2025 als neuer Zielzeitpunkt genannt.

Neue Player bringen frischen Schwung – epcan betritt die Bühne

Mit epcan engagiert sich nun auch ein neuer Anbieter in der Region. Das Unternehmen aus dem Münsterland will in Halberstadt, Osterwieck und angrenzenden Orten rund 3.500 Haushalte mit echtem FTTH (Fiber to the Home) erschließen – mit Datenraten bis zu 10 Gbit/s. Die Nachfragebündelung läuft derzeit, begleitet von Infoveranstaltungen in Veltheim, Rohrsheim und anderen Gemeinden.

Das Angebot wirkt auf den ersten Blick attraktiv: kostenlose Hausinstallation bei Vertragsabschluss, faire Tarife und vollständige Förderung der Tiefbaukosten. Doch wie bei anderen Anbietern wird auch hier das tatsächliche Engagement vom Erreichen der Mindestquote abhängig gemacht.

Förderprogramme als Rückgrat des Ausbaus

Die meisten Glasfaserprojekte im Harz sind nicht wirtschaftlich tragfähig und daher stark auf Förderungen angewiesen. Der Landkreis Harz setzt dafür unter anderem auf:

  • ELER-Förderung (EU): Für ländliche Räume und strukturschwache Gebiete
  • GAK-Mittel: Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes
  • Bundes- und Landesförderungen: Kombiniert mit Eigenmitteln des Landkreises

Ein konkretes Beispiel verdeutlicht die Dimension:

  • 351 Kilometer Glasfaserleitungen
  • 207 Kilometer Leerrohrtrassen
  • 180 neue Kabelverzweiger
  • 138 Hauptverteilerpunkte
  • Gesamtkosten: ca. 13,3 Mio Euro

Finanziert wird dies mit 6,3 Mio Euro aus reiner Förderung, 6,99 Mio Euro als „Wirtschaftlichkeitslücke“ sowie einem Eigenanteil des Landkreises.

FTTH, FTTB oder doch nur FTTC? – Technische Realitäten

Ein Problemfeld, das oft übersehen wird: Nicht überall, wo „Glasfaser“ draufsteht, ist auch Glasfaser bis ins Haus drin. Viele Ausbauprojekte im Harz setzen auf FTTB (Fiber to the Building) oder gar nur FTTC (Fiber to the Curb). In der Praxis bedeutet das: Die letzte Strecke zum Haus wird weiterhin über Kupferleitungen geführt – mit entsprechend geringerer Leistung.

„Man verspricht uns Gigabit, aber in Wahrheit kommen nur 50 Mbit an. Das ist kein Fortschritt, sondern Etikettenschwindel.“

Dieses Missverhältnis sorgt nicht nur für Enttäuschung, sondern auch für sinkende Anschlussraten. Laut Landkreis rechnet man mittelfristig mit einer Nutzung von nur 40–60 % der technisch möglichen Anschlüsse.

Bürgermeinungen und Vertrauenskrise

In vielen Orten wächst der Frust. Neben technischen Problemen sorgen auch unklare Kommunikation, mangelhafte Beratung und aufdringliche Haustürwerbung für Ablehnung. Besonders die Deutsche Glasfaser steht im Zentrum der Kritik:

  • Durchschnittliche Kundenbewertung: 2,18 von 5 Sternen
  • Nur 17 % der Kunden würden den Anbieter weiterempfehlen
  • Beschwerden über Bauverzögerungen von über 3 Monaten
  • Probleme mit vernachlässigten Baustellen, offenen Gräben, beschädigten Gehwegen

In Herzberg sah sich die Stadtverwaltung gezwungen, offiziell auf problematische Verkaufsmethoden hinzuweisen. Auch die Verbraucherzentralen berichten von einer wachsenden Zahl an Beschwerden gegen die Branche – bundesweit vervierfachten sich die Fälle zwischen 2022 und 2023.

Digitale Zukunft mit Hindernissen

Deutschlandweit soll bis 2030 flächendeckend Glasfaser verfügbar sein. Im Harz ist dieses Ziel aus heutiger Sicht ambitioniert. Zwar sind deutliche Fortschritte erkennbar, etwa durch neue Anbieter wie epcan oder durch Förderprojekte des Landkreises. Dennoch bleibt die Realität eine andere: Bauliche Verzögerungen, Rückzüge von Partnern, technische Kompromisse und Bürgerunzufriedenheit prägen das Bild.

Der Landkreis Harz hat ein strukturiertes Konzept. Die Umsetzbarkeit hängt jedoch maßgeblich von vier Faktoren ab:

  1. Attraktivität und Vertrauen in die Anbieter
  2. Nachfragebereitschaft in ländlichen Gebieten
  3. Reibungslose Abwicklung der Fördermittel
  4. Langfristige Strategie mit realistischer Zeitplanung

Digitalisierung auf Raten

Der Glasfaserausbau im Harz ist ein Lehrstück über die Herausforderungen der Digitalisierung im ländlichen Raum. Technischer Fortschritt ist erkennbar – punktuell, differenziert und nicht ohne Reibungsverluste. Was fehlt, ist eine durchgehende, glaubwürdige und bürgernahe Strategie, die Versprechen und Realität in Einklang bringt. Nur so kann die digitale Infrastruktur im Harz jene Grundlage bieten, die für Bildung, Wirtschaft und Lebensqualität im 21. Jahrhundert unabdingbar ist.

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.
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