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Harz | Streit um Einwohnerzahlen: Warum immer mehr Harz-Kommunen gegen den Zensus klagen

Streit um Einwohnerzahlen: Warum immer mehr Harz-Kommunen gegen den Zensus 2022 klagen

Im sonst eher beschaulichen Verwaltungsalltag der Harz-Kommunen sorgt eine Zahlenerhebung für Unruhe: Der Zensus 2022 hat für viele Städte und Gemeinden drastisch niedrigere Einwohnerzahlen ergeben als erwartet. Diese Unterschiede sind nicht nur statistisch problematisch – sie bedrohen die finanzielle Basis vieler Kommunen, die sich nun mit juristischen Mitteln zur Wehr setzen.

Ein Zensus mit Folgen: Warum die Erhebung 2022 umstritten ist

Der Zensus 2022 sollte eigentlich nur eine statistische Aktualisierung liefern, doch für viele Kommunen wurde er zur wirtschaftlichen Bedrohung. Die bundesweite Erhebung, die am Stichtag 15. Mai 2022 durchgeführt wurde, brachte teils erhebliche Differenzen zwischen den Ergebnissen des Zensus und den lokalen Melderegisterdaten ans Licht. Für einige Städte und Gemeinden im Harz bedeutete das: mehrere Hundert bis Tausende Einwohner weniger – mit unmittelbaren Folgen für ihre Haushaltsplanung.

Die amtliche Einwohnerzahl ist in Deutschland maßgeblich für viele finanzielle Berechnungen, insbesondere für Schlüsselzuweisungen, Fördermittel, Personalplanung und infrastrukturelle Entscheidungen. Eine nach unten korrigierte Bevölkerungszahl führt also zu weniger Geld vom Land und Bund. Entsprechend groß ist der Unmut unter den Kommunen.

Massive Abweichungen im Harz – und darüber hinaus

Kommunen wie Halberstadt, Northeim oder Burg im Harz meldeten teils drastische Abweichungen. In Halberstadt soll sich die Differenz auf rund 3 % belaufen – das entspricht einem geschätzten jährlichen Haushaltsverlust von über zwei Millionen Euro. In Katlenburg-Lindau liegen die Einbußen bei rund 200.000 Euro jährlich. Die Stadt Burg hat nach eigenen Angaben sogar über 1.280 Einwohner „verloren“.

Diese Zahlen sind kein Einzelfall. Auch außerhalb des Harzes haben Städte wie Halle (Saale), Fulda, Köln oder Schwerin massive Differenzen festgestellt. Halle etwa berichtet von einem potenziellen Einnahmeverlust von 11 Millionen Euro pro Jahr, ausgelöst durch die Korrektur um etwa 15.000 Einwohner.

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Zensus 2022: So wurde er durchgeführt

Der Zensus 2022 setzte auf ein kombiniertes Verfahren: Grundlage waren Daten aus den Melderegistern, ergänzt durch eine stichprobenbasierte Haushaltsbefragung. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung wurden zusätzlich direkt befragt, teilweise durch persönliche Interviews an der Haustür. Auch Gebäude- und Wohnraumbefragungen gehörten zur Methodik.

Diese Methode sollte laut Statistischem Bundesamt besonders effizient sein. Doch viele Kommunen kritisieren sie als fehleranfällig – insbesondere in kleineren Gemeinden, wo selbst kleine Abweichungen prozentual besonders ins Gewicht fallen.

„Unsere Zahlen stimmen, nicht die des Bundes“ – Kommunale Kritik wächst

Die Kritik der Kommunen richtet sich nicht nur gegen die Ergebnisse, sondern auch gegen das Verfahren selbst. Mehr als 62 Gemeinden in Niedersachsen haben bereits Klage gegen ihre jeweiligen Feststellungsbescheide eingereicht. Bundesweit sollen es mehr als 200 sein. Auch im Harz wächst der Widerstand: Über 40 Kommunen haben sich in der „Halberstädter Erklärung“ zusammengeschlossen und fordern ein Umdenken.

„Wir lassen uns unsere Einwohner nicht wegzählen.“ – Kommunaler Sprecher aus Halberstadt

Die zentrale Forderung der Kommunen: Die Finanzzuweisungen sollen sich künftig wieder an den Melderegisterzahlen orientieren – und nicht an den nachträglich hochgerechneten Zahlen des Zensus. Viele Bürgermeister und Stadträte argumentieren, dass ihre Melderegister tagesaktuell gepflegt und daher verlässlicher seien als stichprobenbasierte Erhebungen.

Ein System mit strukturellen Schwächen?

Rückblickend wird deutlich, dass der Zensus 2022 unter besonderen Herausforderungen stand. Technische Schwierigkeiten, mangelndes Personal, pandemiebedingte Verzögerungen sowie die ukrainische Flüchtlingsbewegung erschwerten die Durchführung zusätzlich. In Rheinland-Pfalz erreichten 156 von 170 Gebietskörperschaften die angestrebte statistische Güte nicht.

Besonders kleine Kommunen – unter 10.000 Einwohner – wiesen im Schnitt eine Abweichung von rund –3,8 % auf. In größeren Städten lag dieser Wert bei nur –1,1 %. Ein systemischer Effekt, der statistisch erklärbar sein mag, aber politisch hochbrisant ist.

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Privater Ärger und Misstrauen beim Bürger

Auch in sozialen Medien wie Reddit wurden Probleme diskutiert. Nutzer berichten von undurchsichtigen Prozessen, unklarem Verhalten der Interviewer und einem insgesamt wachsenden Misstrauen gegenüber der staatlichen Datenerhebung. Die Türinterviews stießen vereinzelt auf Skepsis, zum Teil auch aus Sicherheitsgründen. Fälle, in denen Verstorbene zur Auskunft aufgefordert wurden, untergruben zusätzlich das Vertrauen in die Seriosität des Verfahrens.

Was bedeutet das für die Zukunft der kommunalen Finanzen?

Die Konsequenzen der Zensusabweichungen sind weitreichend: Viele Städte und Gemeinden müssen nun ihre Haushalte anpassen, geplante Investitionen verschieben oder Personalentscheidungen überdenken. Parallel läuft der politische Druck hoch: Manche Städte, wie Halle, arbeiten an eigenen Datenerhebungen („Halle zählt selbst!“), andere stellen politische Lobbyarbeit in den Mittelpunkt, um bei Landesregierungen Gehör zu finden.

Wie die Verwaltungsgerichte entscheiden werden, ist derzeit noch offen. Erste Verfahren laufen, aber Entscheidungen stehen noch aus. Fest steht: Die Zensus-Ergebnisse sind nicht einfach nur Statistik – sie haben unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensrealität vieler Bürgerinnen und Bürger.

Fragen und Antworten zum Zensus 2022

Warum klagen Kommunen gegen den Zensus 2022?

Die meisten Klagen richten sich gegen erhebliche Abweichungen zwischen den Ergebnissen des Zensus und den kommunalen Melderegisterdaten. Die betroffenen Städte fürchten massive finanzielle Einbußen durch niedrigere Einwohnerzahlen.

Wie genau ist der Zensus im Vergleich zum Melderegister?

Der Zensus basiert auf Stichproben und Hochrechnungen, während Melderegister täglich aktualisiert werden. Viele Kommunen halten ihre eigenen Register daher für präziser – insbesondere, wenn es um Fördermittel oder Finanzausgleich geht.

Wie lief die Zensusbefragung ab?

Ausgewählte Haushalte erhielten eine Ankündigung per Post und wurden dann persönlich besucht. Dabei wurde ein kurzes Interview geführt, in dem u. a. die Zahl der Haushaltsmitglieder abgefragt wurde. Anschließend konnte ein Online-Fragebogen ausgefüllt werden.

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Welche Städte sind besonders stark betroffen?

Im Harz u. a. Halberstadt, Northeim und Burg. Bundesweit sind Städte wie Halle (Saale), Fulda, Hanau, Köln und Schwerin mit teils gravierenden Differenzen konfrontiert.

Fazit: Ein Streit um Zahlen – mit echtem Einfluss

Was zunächst wie ein rein technischer Vorgang erscheint, entpuppt sich als fundamentale Auseinandersetzung über kommunale Selbstverwaltung, Transparenz und staatliches Vertrauen. Der Zensus 2022 hat nicht nur statistische Kontroversen ausgelöst, sondern auch politische und finanzielle Konflikte befeuert. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Gerichte und Gesetzgeber den Ruf der Kommunen nach einer gerechteren und realitätsnäheren Berechnung erhören – oder ob der Zensus seine Gültigkeit behalten wird, trotz aller Zweifel.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.