
Wernigerode, 07.06.2025, 08:30 Uhr
Im malerischen Harz, wo Tourismus, Berufspendler und Einwohner gleichermaßen auf einen funktionierenden Bahnverkehr angewiesen sind, kommt es in den vergangenen Monaten immer wieder zu massiven Störungen, Verspätungen und Streckensperrungen. Was für Außenstehende wie einzelne Betriebsprobleme erscheinen mag, entwickelt sich für die Region zu einem strukturellen Dauerproblem. Die aktuelle Situation offenbart eklatante Schwächen in Infrastruktur, Planung und Kommunikation – mit erheblichen Folgen für Alltag und Tourismus.
Ein Flickenteppich aus Sperrungen und Ersatzverkehren
Derzeit ist das Streckennetz im Harz stark eingeschränkt. Zwischen Goslar und Bad Harzburg herrscht seit März 2025 Stillstand auf den Schienen: Ein instabiler Bahndamm zwischen Heißum und Dörnten zwang die Deutsche Bahn zur Vollsperrung. Wann genau die Strecke wieder befahrbar sein wird, ist bislang unklar. Ein Schienenersatzverkehr (SEV) mit Bussen wurde eingerichtet, doch dieser verlängert die Fahrtzeiten deutlich und stößt auf Kritik bei Fahrgästen.
Auch auf dem traditionsreichen Netz der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) ist der Betrieb nicht wie gewohnt möglich. Vom 2. bis 5. Juni wurde der Abschnitt zwischen Wernigerode und Drei Annen Hohne vollständig gesperrt, da Modernisierungen an Stellwerk und Bahnübergängen durchgeführt wurden. Die Dampflokomotiven mussten Dieselloks weichen, während Busse als Ersatz verkehrten. Besonders kritisch: Der betroffene Abschnitt ist einer der meistfrequentierten der beliebten Brockenbahn – ausgerechnet zur Hauptreisezeit im Frühsommer.
Weitere Streckensperrungen betreffen die Selketalbahn zwischen Alexisbad und Harzgerode, wo Bauarbeiten bis Ende November andauern sollen. Zudem wird die Strecke Quedlinburg–Thale in den Sommerferien vollständig gesperrt – ein herber Schlag für den Sommertourismus in der Region.
Unpünktlichkeit als Dauerzustand
Auch dort, wo Züge noch verkehren, läuft nicht alles nach Plan. Verspätungen und Zugausfälle gehören für viele Fahrgäste im Harz zum Alltag. Während die Deutsche Bahn bundesweit eine Pünktlichkeitsquote von rund 89,8 % im Regionalverkehr angibt, liegt diese in Regionen wie Sachsen-Anhalt – und damit auch im Harz – deutlich darunter. Die tatsächliche Reisendenpünktlichkeit fällt durch verpasste Anschlüsse und Umwege noch schlechter aus.
„Man hat sich mittlerweile darauf eingestellt, dass man zehn Minuten früher losfährt, um dann doch 20 Minuten zu spät anzukommen.“ – Fahrgast aus Bad Harzburg
Hinzu kommt: Die zahlreichen Ersatzverkehre sorgen nicht nur für verlängerte Fahrzeiten, sondern auch für Unsicherheit. Haltestellen des SEV liegen teils mehrere Kilometer von den Bahnhöfen entfernt – wie etwa in Börnecke, wo der Bus am „Pfeifenkrug“ hält, fast fünf Kilometer vom Ortskern.
Modernisierung im Schneckentempo
Ein Hauptgrund für die vielen Einschränkungen ist der schlechte Zustand der Infrastruktur. Die Deutsche Bahn plant bis 2030 eine sogenannte Generalsanierung des Hochleistungsnetzes. Davon profitieren jedoch vor allem Ballungsräume. Die ländliche Harzregion bleibt vielerorts außen vor oder muss auf spätere Etappen hoffen. Das führt zu wachsender Unzufriedenheit bei Kommunen, Pendlern und Tourismusakteuren.
Ein Hoffnungsschimmer ist die Modernisierung des Bahnhofs Halberstadt. Als sogenannter „Zukunftsbahnhof“ wurde dieser mit neuen Aufzügen, digitalen Infotafeln und barrierefreien Zugängen ausgestattet. Doch der Effekt bleibt begrenzt: Während einzelne Knotenpunkte modernisiert werden, bleibt das Streckennetz vielerorts marode.
Kritik an Planung und Kommunikation
Nicht nur die Infrastruktur, auch die Planung und Kommunikation stoßen auf Kritik. Besonders die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bemängelt, dass viele Sanierungsmaßnahmen zu spät angegangen und nur unzureichend koordiniert würden. Ein Sprecher der GDL bezeichnete das aktuelle Sanierungsprogramm als „Wundsalbe für marode Infrastruktur“, die tiefere strukturelle Probleme nicht löse.
Auch regionalpolitisch ist die Situation angespannt. Im Rahmen des Projekts „SPNV 2030/2040+“ plant die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), das Angebot im Nahverkehr deutlich zu erweitern. Ziel ist es, das Fahrgastaufkommen zu verdoppeln. Doch im Harz befürchtet man, dass dies auf Kosten der Region geschieht: Direkte Verbindungen sollen gestrichen, Umstiege erhöht werden – ein Rückschritt für die ohnehin gebeutelte Region.
Tourismus unter Druck
Der Harz ist nicht nur Lebensraum, sondern auch ein bedeutendes Tourismusziel. Die Harzer Schmalspurbahnen verzeichneten 2024 zwar einen Fahrgastzuwachs auf rund eine Million, doch das Vor-Corona-Niveau von 1,2 Millionen ist noch nicht erreicht. Besonders gravierend: Die Stadt Nordhausen kündigte an, den Wirtschaftsplan der HSB für 2025 nicht mitzutragen. Grund ist ein hohes Defizit ohne klare Perspektive.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Umweltverträglichkeit der Brockenbahn. Nach den verheerenden Waldbränden im Sommer 2024 wird diskutiert, ob die mit Kohle befeuerten Dampfloks eine Gefahr darstellen. Tourismusverbände wehren sich gegen Einschränkungen, Naturschützer fordern Alternativen – ein klassischer Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Ökologie.
Langfristige Perspektiven: Elektrifizierung und Reaktivierung
Einige Lichtblicke am Horizont gibt es dennoch. So plant der Regionalverband Großraum Braunschweig die Elektrifizierung der Strecke Bad Harzburg–Oker. Damit sollen batteriebetriebene Züge auf weiteren Abschnitten eingesetzt werden. Auch Machbarkeitsstudien zur Reaktivierung alter Strecken und zur besseren Anbindung touristischer Ziele wie Braunlage oder Pullman City sind in Arbeit.
Derartige Maßnahmen sind allerdings langfristig angelegt – Ergebnisse werden frühestens Ende der 2020er-Jahre erwartet. Für Pendler und Gäste, die täglich mit Verspätungen, Ausfällen und improvisierten Busverbindungen leben müssen, ist das wenig tröstlich.
Fazit: Struktureller Reformbedarf statt Einzelmaßnahmen
Die Bahnkrise im Harz ist kein temporäres Ärgernis, sondern ein strukturelles Problem. Die Kombination aus veralteter Infrastruktur, schleppender Modernisierung, mangelhafter Kommunikation und regionaler Benachteiligung sorgt für zunehmende Frustration. Auch wenn punktuelle Verbesserungen – wie die Modernisierung einzelner Bahnhöfe oder geplante Elektrifizierungen – Hoffnung geben, braucht es einen grundsätzlichen Wandel in der Bahnpolitik für ländliche Regionen.
Der Harz steht sinnbildlich für viele Regionen in Deutschland, die beim großen Mobilitätsumbau drohen, abgehängt zu werden. Nur wenn Investitionen, Planung und Kommunikation endlich auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt werden, kann aus dem täglichen Bahnfrust wieder Vertrauen in die Schiene entstehen.
Tabelle: Aktuelle Sperrungen und Auswirkungen im Harz (Juni 2025)
Strecke | Zeitraum | Grund | Maßnahmen |
---|---|---|---|
Goslar – Bad Harzburg | seit März 2025 | Dammrutsch | Vollsperrung, SEV mit Bussen |
Wernigerode – Drei Annen Hohne | 2.–5. Juni 2025 | Stellwerksarbeiten | SEV, Diesel statt Dampf |
Alexisbad – Harzgerode | bis November 2025 | Bauarbeiten | SEV mit Linienbussen |
Quedlinburg – Thale | Sommerferien 2025 | Modernisierung | Vollsperrung, Tourismus betroffen |
Für die Region Harz bleibt zu hoffen, dass sie nicht zum Paradebeispiel verpasster Chancen im deutschen Bahnverkehr wird – sondern zu einem Modell, wie moderne Mobilität auch abseits der Ballungsräume gelingen kann.