
Wernigerode, 07. Juni 2025, 18:00 Uhr
Wernigerode erlebte am 7. Juni 2025 seinen dritten Christopher Street Day. Unter dem Motto „Liebe wächst im Harz – Wir bleiben hier!“ demonstrierten rund 360 Menschen friedlich für die Rechte der LGBTQ+-Community. Trotz einer bedrohlichen Vorlaufphase, politischer Spannungen und eines unschönen Zwischenfalls zeigte die Veranstaltung, wie wichtig die Sichtbarkeit und gesellschaftliche Verankerung queerer Menschen auch in kleineren Städten ist.
Die Veranstaltung wurde von einem breiten Bündnis organisiert: Vertreterinnen und Vertreter von Parteien wie der SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterstützten das Vorhaben ebenso wie zahlreiche lokale Initiativen. Der Demonstrationszug führte über eine neu konzipierte Route durch die Innenstadt – mit Stationen auf dem Marktplatz, der Breiten Straße und der Ilsenburger Straße. Die neue Wegführung sollte nicht nur die Sichtbarkeit erhöhen, sondern auch der Sicherheit dienen.
Ein Zwischenfall überschattet die Vernstaltung
Trotz der durchweg friedlichen Demonstration kam es zu einem Vorfall, der das Geschehen kurzzeitig überschattete. Ein Teilnehmer berichtete von einer aggressiven verbalen Auseinandersetzung mit einem Passanten, der homophobe Äußerungen von sich gab. Die Polizei reagierte prompt, stellte die Personalien des Störers fest und entfernte ihn aus der unmittelbaren Umgebung. Eine Anzeige wurde aufgenommen.
Die Veranstalter äußerten sich betroffen, sahen in dem Vorfall jedoch auch eine Bestätigung dafür, wie notwendig Veranstaltungen wie der CSD weiterhin seien. „Solche Übergriffe zeigen, dass die Realität für viele queere Menschen auch 2025 noch nicht sicher ist – erst recht nicht in ländlichen Regionen“, erklärte eine der Organisatorinnen.
Wachsende Bedrohungslage: Zahlen sprechen eine deutliche Sprache
Die Bedenken kommen nicht von ungefähr. Bundesweit ist ein Anstieg queerfeindlicher Straftaten zu verzeichnen. Laut aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2024 insgesamt 1.765 Straftaten gegen Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gemeldet – ein Anstieg von 18 % im Vergleich zum Vorjahr. Bei trans- und nicht-binären Menschen ist die Lage noch dramatischer: 1.152 Straftaten bedeuten einen Anstieg von rund 35 %.
Jahr | Straftaten gegen sexuelle Orientierung | Straftaten gegen trans*/nicht-binäre Personen |
---|---|---|
2023 | 1.495 | 854 |
2024 | 1.765 | 1.152 |
Diese Entwicklung verleiht den CSDs im ganzen Land – insbesondere in kleineren Städten wie Wernigerode – eine besondere Relevanz. Hier geht es nicht nur um Feierlichkeiten, sondern um Schutz, Sichtbarkeit und gesellschaftlichen Wandel.
Veränderte Route, sichtbare Präsenz
Aufgrund der Bedrohungslage im Vorfeld entschieden sich die Veranstalter für eine neue Streckenführung, die gleichzeitig Sicherheitsaspekte und mediale Sichtbarkeit berücksichtigen sollte. Der Zug bewegte sich durch zentrale Lagen der Innenstadt, begleitet von einem starken Polizeiaufgebot. Die Behörden zeigten sich im Anschluss mit dem Verlauf zufrieden.
Die Polizei setzte zur Absicherung neben uniformierten Kräften auch zivile Einsatzteams ein. Mehrere temporäre Straßensperrungen und Einschränkungen im ÖPNV wurden eingerichtet. Die Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden wurde im Nachgang als „reibungslos und kooperativ“ beschrieben.
Politische Reaktionen: Unterstützung und Skepsis
Der CSD in Wernigerode ist nicht unumstritten. Während Vertreter der SPD und Grünen öffentlich ihre Unterstützung zum Ausdruck brachten, gab es auch zurückhaltendere Stimmen. Einzelne CDU-Vertreter äußerten Sorgen über die Wirkung auf das Stadtimage sowie über potenzielle Lärmbelästigungen.
„Wir stehen für eine offene Gesellschaft, aber das Format der Veranstaltung sollte nicht zu Lasten des innerstädtischen Miteinanders gehen“
Diese ambivalenten Haltungen spiegeln eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung wider: Die Akzeptanz der LGBTQ+-Community ist noch lange nicht flächendeckend vorhanden. Gerade im ländlichen Raum offenbaren sich strukturelle Vorbehalte, die durch offene Dialogformate, wie sie rund um den CSD angeboten wurden, langfristig abgebaut werden sollen.
Stimmen aus der Community
Unter den Teilnehmenden herrschte überwiegend Freude über die gelungene Durchführung. Viele betonten jedoch, dass Sichtbarkeit alleine nicht genüge. Es brauche politische Maßnahmen, besseren Schutz vor Diskriminierung und gezielte Bildungsarbeit, besonders an Schulen und im ländlichen Raum.
Ein Teilnehmer aus Halberstadt formulierte es so: „Wir sind nicht hier, um nur zu feiern. Wir sind hier, weil wir gesehen werden wollen – auch von denen, die unsere Existenz lieber ignorieren würden.“
Die Veranstaltung wurde von zahlreichen Infoständen begleitet. Neben queeren Jugendgruppen waren auch Beratungsstellen, Antidiskriminierungsprojekte und kirchliche Initiativen vor Ort. Es wurde deutlich: Der CSD ist nicht nur Demonstration, sondern auch Bildungs- und Begegnungsort.
Mediale Wirkung und langfristige Bedeutung
Die Berichterstattung über den CSD 2025 in Wernigerode fiel vielfältig aus. Während lokale Medien sich stark auf den friedlichen Verlauf und die neue Routenführung konzentrierten, griffen überregionale Plattformen vor allem das Thema Bedrohungslage und gesellschaftliche Polarisierung auf.
Für Wernigerode selbst hat der CSD eine doppelte Bedeutung: Zum einen positioniert sich die Stadt als Ort der Offenheit und Toleranz, zum anderen findet eine Auseinandersetzung mit realen gesellschaftlichen Spannungen statt. Die Veranstaltung wird so zum Spiegelbild einer Region im Wandel.