
Die Entsorgungswirtschaft im Landkreis Harz (Enwi) hat sich viel vorgenommen. Bis zum Jahr 2030 sollen nicht weniger als 43 neue oder optimierte Serviceangebote in Kraft treten. Im Mittelpunkt stehen dabei kundenfreundliche Maßnahmen wie der 24/7-Zugang zu Wertstoffhöfen, digitale Neuerungen und Verbesserungen im Bereich der Sperrmüllentsorgung. Der Verwaltungsrat hat das neue Abfallwirtschaftskonzept bereits einstimmig beschlossen. Doch was bedeutet das konkret für Bürgerinnen und Bürger im Harz? Und welche Herausforderungen kommen auf die Enwi zu?
Neue Dimension der Abfallwirtschaft im Harz
Mit dem überarbeiteten Abfallwirtschaftskonzept 2025–2030 setzt die Enwi ein deutliches Signal: Die Entsorgung soll moderner, flexibler und bürgernäher werden. Der Landkreis Harz plant die Einführung eines 24/7-Zugangsmodells zu ausgewählten Wertstoffhöfen, angelehnt an Vorbilder wie dem bestehenden Standort im Gewerbegebiet Am Sülzegraben in Halberstadt. Der dortige Wertstoffhof dient schon heute als Beispiel für durchdachte Infrastruktur, Nutzerfreundlichkeit und digitale Integration.
Der Gedanke hinter dem 24-Stunden-Modell: Bürgerinnen und Bürger sollen künftig auch außerhalb klassischer Öffnungszeiten Altmetall, Elektroschrott und weitere Wertstoffe entsorgen können. Dafür sind Zugangssysteme mit Schranken, Kameras und App-basierten Identifikationsmethoden geplant. Erste Testläufe könnten bereits 2026 beginnen.
Digitalisierung als Schlüsselfaktor
Ein zentraler Baustein der neuen Strategie ist die konsequente Digitalisierung. Die bestehende „enwi“-App soll ausgebaut werden und künftig nicht nur an Müllabfuhrtermine erinnern oder Standorte anzeigen, sondern auch Zugänge zu 24/7-Wertstoffhöfen ermöglichen. Die Anwendung könnte zusätzlich um interaktive Karten, Statusanzeigen über Füllstände und sogar Gamification-Elemente ergänzt werden.
Gamification fördert Nutzerbindung
Erfahrungen aus internationalen Projekten zeigen: Belohnungssysteme in Recycling-Apps steigern die Akzeptanz und Nutzung signifikant. Punkte sammeln für korrektes Trennen, Badges für regelmäßige Nutzung oder Community-Wettbewerbe könnten das Umweltbewusstsein stärken – gerade bei jüngeren Generationen.
Sperrmüll, Schadstoffe und neue Holsysteme
Auch im Bereich der Sperrmüllentsorgung kündigt Enwi weitreichende Veränderungen an. Künftig sollen optimierte Buchungssysteme, besser koordinierte Abholrouten und eine engere Verzahnung mit kommunalen Ordnungsämtern für effizientere Prozesse sorgen. Besonders in Städten wie Wernigerode und Quedlinburg, wo der Wohnraum dichter und Straßen enger sind, besteht dringender Handlungsbedarf.
Darüber hinaus ist geplant, die Schadstoffsammlung mobiler zu gestalten. Mobile Sammelstellen sollen künftig regelmäßig durch die Ortsteile touren, um auch Bürger ohne Auto den Zugang zu einer fachgerechten Entsorgung zu erleichtern.
Kritische Stimmen: Wer zahlt den Preis?
So begrüßenswert viele dieser Vorhaben erscheinen, es regt sich auch Kritik. Denn eine Frage bleibt bislang offen: Wie werden die umfangreichen Maßnahmen finanziert? Bereits heute liegt die Grundgebühr pro Person bei über 30 Euro im Jahr – zusätzliche Entleerungen und Dienstleistungen nicht mitgerechnet. Ab 2026 wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet.
„Innovative Entsorgung hat ihren Preis. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen Bürgerfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu schaffen.“
Vor allem Menschen mit geringem Einkommen oder Familien in ländlichen Gebieten befürchten, dass der Serviceausbau mit steigenden Kosten einhergehen wird, ohne dass sich der unmittelbare Nutzen für alle gleich darstellt.
Soziale Gerechtigkeit im Blick behalten
Ein weiterer Aspekt betrifft die Erreichbarkeit der geplanten Angebote. Zwar wird der Zugang zu Wertstoffhöfen erleichtert, doch nicht jeder verfügt über ein eigenes Fahrzeug oder die digitale Kompetenz, App-basierte Dienste zu nutzen. Hier könnten ergänzende Holsysteme, Partnerschaften mit Sozialträgern oder eine analoge Beratung wichtige Lücken schließen.
Modelle aus Großbritannien, wie das Sozialunternehmen „Recycling Lives“, kombinieren Recycling mit Sozialprojekten – etwa zur Integration von Langzeitarbeitslosen. Ein ähnliches Konzept wäre auch für den Harz denkbar.
Internationale Vorbilder: Smarte Systeme in Nordamerika & Asien
In den USA sind 24-Stunden-Recyclinghöfe in ländlichen Regionen bereits Realität. In Dearborn County oder Missoula wurden unbemannte Anlagen mit Schranken, Überwachung und digitaler Nachverfolgung erfolgreich eingeführt. Auch in Indien und Südkorea setzen Städte auf KI-gestützte Müllsensoren und Rückverfolgungssysteme. Besonders spannend: Recykal, eine indische Plattform, vernetzt Haushalte, Recycler und Behörden digital – inklusive Zahlungsabwicklung und Materialverfolgung.
Eine Übersicht innovativer Technologien:
Technologie | Einsatzbereich | Nutzen |
---|---|---|
KI-Sensorik | Mülltrennung, Behälterüberwachung | Optimiert Leerungen, reduziert Fehlwürfe |
Blockchain-Tracking | Elektroschrott, Schadstoffe | Sicheres Nachverfolgen sensibler Materialien |
Reverse-Vending-Automaten | Flaschen, Altgeräte | Automatisierte Rücknahme mit Belohnung |
Enwi im Kontext: Zahlen, Reichweite, Potenzial
Der Landkreis Harz zählt rund 70.000 Haushalte. Wertstoffhöfe decken typischerweise Einzugsbereiche von 10 bis 15 Kilometern ab. Mit dem geplanten Ausbau und der möglichen Eröffnung neuer Höfe ließe sich die Reichweite auf ländlichere Regionen ausdehnen.
Aktuell nutzen etwa 65 % der Haushalte regelmäßig die Angebote der Enwi, wie interne Umfragen belegen. Durch die 24/7-Verfügbarkeit und den digitalen Zugang wird mit einem Anstieg auf bis zu 80 % gerechnet. Besonders Berufstätige und Familien sollen von der zeitlichen Flexibilisierung profitieren.
Was die Bürger konkret erwarten dürfen
- Ausbau und Modernisierung bestehender Wertstoffhöfe
- Schrittweise Einführung von 24/7-Zugangssystemen
- Integration digitaler Dienste über die Enwi-App
- Neue Abhol- und Schadstoffsammelsysteme
- Bessere Beratungsangebote und Bürgerkommunikation
Die Umsetzung erfolgt schrittweise ab 2026. Bis dahin stehen Ausschreibungen, technische Planungen und Bürgerbeteiligungsverfahren auf der Agenda. Wichtig ist, dass der Fokus nicht nur auf Technik, sondern auch auf Inklusion und soziale Verantwortung gelegt wird.
Zwischen Modernisierung und Mitnahme
Die Enwi verfolgt ambitionierte Ziele – und das mit einem klaren Blick auf die Zukunft. Der geplante Serviceausbau, insbesondere der 24/7-Zugang, setzt Maßstäbe in der deutschen Entsorgungswirtschaft. Gleichzeitig dürfen die Herausforderungen nicht unterschätzt werden: Finanzierung, soziale Gerechtigkeit und digitale Teilhabe müssen ebenso mitgedacht werden wie technische Standards.
Mit internationaler Orientierung, kreativen Partnerschaften und einem offenen Ohr für Kritik könnte der Landkreis Harz ein Vorbild für moderne Kreislaufwirtschaft werden – bürgernah, innovativ und nachhaltig.