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Verlassene Skisprungschanze im Harz: Lost Place als Zeitzeugin des Wintersports

Altenau, Harz. Die Überreste einer Skisprungschanze am Glockenberg erzählen heute von einem fast vergessenen Kapitel deutscher Wintersportgeschichte. Versteckt im Wald, unweit der Kristalltherme, finden sich Betonfragmente, ein verfallener Kampfrichterturm und der Hauch vergangener Wettkämpfe. Doch wie kam es dazu, dass eine einst bedeutende Anlage der Region heute als Lost Place gilt?

Ein Blick zurück: Altenaus lange Skisprungtradition

Die Geschichte des Skispringens in Altenau reicht bis ins Jahr 1923 zurück. Damals wurde im Schultal, einem idyllischen Seitental in der Nähe des heutigen Stadtkerns, die erste echte Sprungschanze errichtet – eine 35-Meter-Anlage. Bereits dieser frühe Bau unterstreicht die traditionsreiche Verbindung Altenaus mit dem Wintersport, lange bevor der Harz in den Nachkriegsjahrzehnten zum beliebten Urlaubs- und Wintersportgebiet avancierte.

In den folgenden Jahrzehnten wurden die Anlagen kontinuierlich ausgebaut. Eine große K-65-Schanze wurde 1950 unter Federführung von Carl J. Luther errichtet und mehrfach für nationale Meisterschaften modernisiert – unter anderem für die Deutschen Nordischen Skimeisterschaften 1957. Doch spätestens Ende der 1960er geriet das Engagement ins Stocken. Die K-65-Schanze im Schultal wurde 1977 abgerissen.

Geburtsstunde und Scheitern der Herzynia-Schanze

Im Jahr 1965 entschloss sich der örtliche Ski-Club Altenau zu einem ambitionierten Projekt: dem Bau der Herzynia-Schanze. Die K-50-Anlage sollte eine moderne Trainings- und Wettkampfstätte werden, nachdem sich der Club von seiner kleineren Schanze im Schultal trennen musste. Der Standort wurde bewusst gewählt – am Glockenberg, nahe der Schwefelquelle und mit guter Anbindung an die damalige touristische Infrastruktur.

Doch die neue Schanze hatte keinen langen Atem: Bereits ab 1968 wurde sie kaum noch genutzt. Die Gründe dafür lagen weniger in der baulichen Substanz als in einer Mischung aus rückläufigem Interesse am organisierten Skispringen im Harz, fehlender Nachwuchsarbeit und der geografischen Konkurrenz anderer Wintersportregionen.

Warum wurde die Herzynia‑Schanze in Altenau aufgegeben?

Die Schanze wurde nur kurz genutzt, vermutlich weil der Aufwand für Instandhaltung und Organisation nicht im Verhältnis zur tatsächlichen Nutzung stand. Zudem fehlte langfristig die Basis an Athleten und Veranstaltungen, um die Schanze aktiv zu betreiben. Die Nähe zur großen Schanze im Schultal war dabei möglicherweise ebenso hinderlich wie der allgemeine Rückgang des Wintersports im Oberharz.

Verfall eines Ortes – Der aktuelle Zustand

Heute steht die Herzynia-Schanze still und verlassen im Wald – überwuchert von Moos, eingerahmt von Laub und stillen Erinnerungen. Der ehemalige Kampfrichterturm mit seiner grün-weißen Fassade ist nur noch ein Relikt. Besucher finden ihn nahe der Kristalltherme „Heißer Brocken“, gut sichtbar von einem Wanderweg am Glockenberg aus.

Das Betreten der Anlage ist offiziell verboten – aus Sicherheitsgründen. Dennoch zieht der Ort Fotografen, Wanderer und sogenannte „Urban Explorer“ an, die sich dem Reiz verlassener Orte nicht entziehen können. Auf Social Media wird die Schanze häufig als geheimnisvoller Lost Place inszeniert – mit Hashtags wie #lostplace #harzliebe oder #altenau.

In welchem Zustand ist die verlassene Skisprungschanze am Glockenberg heute?

Die Anlaufstruktur aus Beton ist teilweise erhalten, aber stark verwittert. Der Turm ist einsturzgefährdet und mit Graffiti versehen. Rund um das Areal hat sich die Natur ihren Raum zurückerobert – es wachsen Sträucher, Bäume und Flechten direkt durch ehemalige technische Strukturen.

Eine Schanze unter vielen? – Bedeutung im regionalen Kontext

Im Harz gab es viele Skisprungschanzen, doch keine war so markant wie die in Altenau. Laut einem ehemaligen Wanderführer auf der Plattform Komoot galt die Anlage bis 1977 als die größte Skisprungschanze Norddeutschlands. Eine Aussage, die nicht nur durch Zahlen untermauert wird, sondern auch durch das lokale Selbstverständnis.

War die Schanze in Altenau die größte in Norddeutschland?

Ja, laut Zeitzeugen und Einträgen in historischen Foren galt die K-65-Schanze im Schultal – und später die Herzynia-Schanze – in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren als größte ihrer Art in der norddeutschen Region. Mit dem Abriss der großen Schanze 1977 verlor Altenau allerdings diese Spitzenposition dauerhaft.

Vergleichbare Orte im Harz und anderswo

Altenau ist mit seinem Lost Place nicht allein. Auch in Benneckenstein steht mit der Kurt-Heyder-Schanze ein verlassener Zeuge des DDR-Wintersports. Und selbst große Wintersportorte wie Braunlage mussten sich nach dem Ende der Blütezeit neu orientieren – viele ihrer Anlagen wurden umfunktioniert oder abgerissen.

Doch während andere Orte ihre Skigeschichte in Museen oder modernen Erlebniswelten aufarbeiten, bleibt Altenaus Schanze dem Verfall überlassen. Nur der benachbarte Disc-Golf-Parcours bringt heute sportliche Aktivität in das Areal zurück.

Skywalk-Pläne und touristische Visionen

In der jüngeren Vergangenheit gab es Pläne, das Gebiet rund um die Schanze touristisch zu entwickeln – etwa durch den Bau eines Skywalks oder durch eine Aufwertung der Wanderwege. Diese Ideen sind bis heute nicht umgesetzt worden, stoßen aber in der Bevölkerung auf geteilte Meinungen.

„Ich finde es schade, dass so ein geschichtsträchtiger Ort einfach zerfällt. Mit einem Aussichtspunkt oder einer kleinen Ausstellung könnte man viel erreichen“, schreibt ein Nutzer auf Facebook in der Gruppe „Unsere Heimatstube Altenau-Schulenberg“.

Gleichzeitig gibt es Stimmen, die für den Erhalt des natürlichen Charakters plädieren. Der morbide Charme des Ortes wäre durch neue Bebauung möglicherweise verloren. Der Denkmalwert der Schanze ist bislang nicht offiziell anerkannt.

Der Ski-Club Altenau: Hüter der Erinnerung

Der 1898 gegründete Ski-Club Altenau zählt zu den ältesten Skivereinen Deutschlands. Zwar gibt es heute keine aktiven Springer oder Biathleten mehr, doch der Verein betreibt weiterhin Angebote im Bereich Skilanglauf und Breitensport – besonders für Kinder und Jugendliche. So lebt die Wintersportkultur Altenaus in Teilen weiter.

Wann wurde der Ski‑Club Altenau gegründet und wie ist sein Status heute?

Der Verein besteht seit über 125 Jahren. Nach dem Ende des Sprungbetriebs verlagerte sich der Fokus auf Langlauf, Wandern und Nachwuchsförderung. Der Club engagiert sich auch in der Traditionspflege und der Erinnerung an frühere sportliche Erfolge.

Tourismus trifft Geschichte: Chance oder Widerspruch?

Altenau als heilklimatischer Kurort lebt heute vom Wandertourismus, der Kristalltherme „Heißer Brocken“, dem Kräuterpark und dem Ferienpark Glockenberg. Die alte Schanze könnte ein Ankerpunkt für Geschichtstourismus werden – sofern das nötige Konzept existiert. Bisher ist dies jedoch nicht konkret geplant.

Ein sanfter Tourismus, der Lost Places integriert, bietet Chancen: zum Beispiel als Station eines thematischen Geschichtspfads durch den Oberharz, als Ziel für geführte Wanderungen mit historischen Anekdoten oder als Kulisse für dokumentarische Formate.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Die verlassene Skisprungschanze von Altenau ist mehr als nur ein Haufen Beton im Wald. Sie ist Symbol für vergangene Ambitionen, sportlichen Ehrgeiz und den Wandel einer ganzen Region. Ihre Geschichte zeigt, wie eng Sport, Gesellschaft und Landschaft miteinander verwoben sein können – und wie schnell Infrastruktur veraltet, wenn sich Interessen verschieben.

Heute ruht die Anlage – vergessen, verwittert, aber nicht bedeutungslos. Vielleicht braucht es nicht viel, um diesen Ort wieder ins kollektive Bewusstsein zu rücken: Eine Tafel, ein Podcast, ein Wanderflyer. Denn nur wer weiß, was war, kann verstehen, was ist – und gestalten, was kommt.

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Über den Autor

Berichte und Artikel

Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.