
Harz – 15. Juni 2025, 13:00 Uhr
Das Brockenplateau im Harz steht vor einem bedeutenden Wandel. Mit dem Eigentümerwechsel an den Landkreis Harz beginnt ein neues Kapitel für das bekannteste Bergmassiv Norddeutschlands. Im Zentrum stehen ambitionierte Pläne zur touristischen und infrastrukturellen Entwicklung, die jedoch in einem hochsensiblen Natur- und Denkmalschutzgebiet verwirklicht werden sollen. Was ist geplant? Wer profitiert? Und wo liegen die Grenzen dieses Projekts?
Ein historischer Eigentümerwechsel
Am 12. Juni 2025 wurde es offiziell: Der Landkreis Harz hat das Brockenplateau von einem Bankenkonsortium für 3,5 Millionen Euro erworben. Ab dem 1. Juli geht das rund 12.937 Quadratmeter große Areal mit Brockenturm, Wetterstation, mehreren Funktionsgebäuden und dem Touristenbereich in kommunale Hand über. Der Landkreis Harz verfolgt damit ein Ziel, das weit über symbolische Besitzverhältnisse hinausgeht: Die Region soll ein touristisches Leuchtturmprojekt erhalten – modern, barrierefrei und ökonomisch tragfähig.
Touristische Aufwertung: Visionen und konkrete Pläne
Im Zentrum der Planungen steht der Umbau des Hauptgebäudes zu einer multifunktionalen Veranstaltungsstätte mit Platz für bis zu 500 Personen. Der Saal soll flexibel für Tagungen, Konzerte, Theaterveranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden. Darüber hinaus ist der Anbau eines barrierefreien Zugangs vorgesehen, der alle drei Ebenen des Gebäudes miteinander verbindet.
Die Erwartungen sind hoch: Neue Zielgruppen sollen erschlossen, die Aufenthaltsdauer der Besucher verlängert und die Attraktivität der Harzer Schmalspurbahn gesteigert werden. Derzeit nutzen jährlich etwa 600.000 Menschen die Brockenbahn – ein enormes Potenzial für touristische Synergien.
Geplante Meilensteine
Zeitpunkt | Meilenstein |
---|---|
Dezember 2024 | Kreistagsbeschluss zum Rückkauf und Konzeptentwicklung |
12. Juni 2025 | Unterzeichnung des Kaufvertrags |
1. Juli 2025 | Offizielle Besitzübernahme durch den Landkreis Harz |
2. Halbjahr 2025 | Konzeptphase und Beteiligung von Akteuren |
Wirtschaftliche Chancen – und kritische Stimmen
Neben touristischen Erwartungen spielen wirtschaftliche Erwägungen eine zentrale Rolle. Ziel ist es, rund 250 Arbeitsplätze in der Region direkt und indirekt zu sichern. Die angestrebte Investitionssumme für die erste Ausbaustufe liegt bei weiteren 3 Millionen Euro. Fördermittel zwischen 60 und 90 Prozent werden angestrebt.
Doch es gibt auch kritische Stimmen: Im Kreistag gab es teils erbitterte Diskussionen über den Nutzen der Maßnahme. Der Landesrechnungshof äußerte Zweifel an der Finanzierbarkeit, insbesondere hinsichtlich langfristiger Betriebskosten. Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis der derzeitigen Angebote auf dem Brocken wurde bemängelt.
„Wir dürfen nicht einfach Geld investieren, ohne zu wissen, ob die Menschen überhaupt kommen“, so ein Kreistagsmitglied während der Debatte im Frühjahr.
Barrierefreiheit als zentrales Anliegen
Ein wesentlicher Bestandteil der Planung ist die Verbesserung der Barrierefreiheit. Der Brocken ist zwar über die Bahn erreichbar, doch viele Bereiche des Plateaus – insbesondere der Weg zum Brockengarten oder der Rundweg – sind für Rollstuhlfahrende bislang nur bedingt nutzbar. Der geplante Umbau des Empfangsgebäudes mit Fahrstuhl und Rampen soll hier Abhilfe schaffen.
Die Bestrebungen finden Unterstützung aus der Bevölkerung und von Behindertenverbänden, die sich seit Jahren für mehr Inklusion im Harzer Tourismus einsetzen. Dennoch bleiben topografische Einschränkungen bestehen: Viele Wege sind uneben, starkem Wind ausgesetzt oder durch Frost schwer passierbar.
Zwischen Denkmalschutz und Naturerhalt
Das Brockenplateau ist nicht nur touristisches Ziel, sondern auch ein empfindliches Ökosystem. Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Jede bauliche Veränderung muss mit der Denkmalpflege abgestimmt werden. Zugleich liegt das Gebiet im FFH-Schutzgebiet des Nationalparks Harz, das für seine Heide- und Flechtenvegetation bekannt ist.
Besondere Rahmenbedingungen
- Renaturierte Flächen seit 1990: Reduktion versiegelter Areale von 53.000 auf 10.000 m²
- Rückkehr von über 30 heimischen Arten durch gezielte Rückbaumaßnahmen
- Klimatisch bedingte natürliche Waldgrenze oberhalb 1100 m
Zahlreiche Umweltverbände mahnen daher zu einem sensiblen Umgang mit der Natur. Die Sorge: Großveranstaltungen könnten das Gleichgewicht zwischen Erholung und Naturschutz stören. Der Landkreis hat zugesichert, alle Maßnahmen in enger Abstimmung mit dem Nationalpark durchzuführen.
Der Brocken als Wissenschafts- und Kulturort
Abseits des Tourismus beherbergt das Plateau eine aktive Wetterwarte, die seit 1836 kontinuierliche Klimadaten liefert. Auch der historische Brockengarten – 1890 gegründet – bietet mit über 1500 Pflanzenarten aus Hochgebirgsregionen weltweit eine seltene botanische Vielfalt.
Hinzu kommen ein Nationalpark-Informationszentrum, das in einem ehemaligen Stasi-Gebäude untergebracht ist, sowie einer der ältesten Fernsehtürme Deutschlands, der heute als Aussichtsturm und Hotel dient. Diese Einrichtungen sind nicht nur Zeugnisse der DDR-Vergangenheit, sondern auch Anknüpfungspunkte für Bildungstourismus.
Emotionale Marke: Der Mythos Brocken
Kaum ein Berg in Deutschland ist so stark mit Mythen und Kulturgeschichte verbunden wie der Brocken – sei es durch das Brockengespenst, Goethes “Faust”, Walpurgisnacht oder die Teilungsgeschichte Deutschlands. Diese symbolische Aufladung macht den Ort zu einem einzigartigen Erlebnisraum, den es zu bewahren gilt.
Die geplanten Veränderungen sollen diesen Charakter nicht zerstören, sondern durch kulturelle Angebote – z. B. Ausstellungen, Vorträge, Konzerte – unterstreichen und stärken. Dabei hilft auch die Anbindung an das UNESCO-Welterbe-System des Harzer Wasserregals, das zunehmend internationale Besucher anzieht.
Internationale Perspektiven und Vergleichsmodelle
Der Brocken ist kein Einzelfall: Auch in anderen Ländern stehen Schutzgebiete vor der Herausforderung, touristisch erschlossen und gleichzeitig erhalten zu werden. Projekte wie „Plateau Perspectives“ in Zentralasien oder die Nationalpark-Strategien in den Rocky Mountains zeigen Wege auf, wie lokale Gemeinschaften in Entwicklung und Schutz eingebunden werden.
Solche partizipativen Modelle könnten auch im Harz diskutiert werden – mit Einbindung von Naturschutz, Kultur, Forschung, Bevölkerung und Wirtschaft. Erste Signale aus dem Kreistag deuten an, dass ein Runder Tisch mit Experten verschiedener Disziplinen eingerichtet werden könnte.
Ein Balanceakt mit Potenzial
Die geplanten Veränderungen auf dem Brockenplateau bergen große Chancen – wirtschaftlich, kulturell und touristisch. Gleichzeitig stehen sie unter enormen Anforderungen: Naturschutz, Denkmalschutz, Finanzierung, Inklusion und Nachhaltigkeit müssen im Einklang stehen. Der Landkreis Harz hat mit dem Kauf einen historischen Schritt gemacht – wie erfolgreich er diesen Weg geht, hängt maßgeblich von der Umsetzung in den kommenden Monaten und Jahren ab.
Klar ist: Der Brocken bleibt ein besonderer Ort. Doch er verlangt besondere Verantwortung. Die Zukunft des Plateaus entscheidet sich nicht in Beton, sondern in Haltung, Kommunikation und nachhaltigem Handeln.