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Harz | Rückblick auf die Gymnasien-Fusion in Wernigerode: Erfolg oder Fehlentscheidung?

Wernigerode, 15. Juni 2025, 15:00 Uhr

Die schulische Bildungslandschaft in Wernigerode hat in den vergangenen Jahren einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Mit der Zusammenlegung des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums (GHG) und des Stadtfeld-Gymnasiums (SFG) zur neuen „Gymnasium Wernigerode“ wurde eine Entscheidung getroffen, die sowohl Hoffnung als auch massive Kritik hervorrief. Inzwischen ist das erste Schuljahr unter dem neuen Konstrukt fast abgeschlossen – Zeit für eine sachliche Bilanz.

Hintergrund: Warum es zur Fusion kam

Der Landkreis Harz stand vor einer zentralen Herausforderung: rückläufige Schülerzahlen und die Notwendigkeit einer zukunftssicheren Schulentwicklungsplanung. Besonders im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts ist diese Entwicklung kein Einzelfall. Die Schulbehörde reagierte mit einer Strategie der Bündelung von Ressourcen, bei der vor allem Gymnasien betroffen waren.

Das Gerhart-Hauptmann-Gymnasium und das Stadtfeld-Gymnasium wiesen 2020/21 zusammen knapp 1.100 Schüler auf. Die Tendenz war rückläufig. Prognosen zeigten: Eine langfristige Parallelführung beider Standorte sei weder pädagogisch noch wirtschaftlich haltbar. Die Entscheidung zur Fusion wurde im Kreistag – nach Empfehlung des Bildungsausschusses – für das Schuljahr 2023/24 final beschlossen.

Standortregelung: Haupt- und Nebenstelle

Die organisatorische Ausgestaltung sah vor, dass das Gebäude des GHG als Hauptsitz dient, während der Standort des Stadtfeld-Gymnasiums zur Außenstelle wurde. Die Schulleitung wurde zentralisiert, doch der Unterricht verteilt sich weiterhin auf zwei Gebäude. Diese Mehrstandortlösung war von Beginn an ein zentraler Kritikpunkt vieler Beteiligter, insbesondere aus der Schülerschaft des ehemaligen Stadtfeld-Gymnasiums.

Schülerproteste und öffentlicher Widerstand

Schon im Vorfeld der Entscheidung formierte sich ein deutlich vernehmbarer Widerstand. Schülerinnen und Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums äußerten in einem offenen Brief ihre Sorgen:

„Eine Fusion fordert immer Opfer. Doch dass wir als Schüler so wenig mitbestimmen durften und unsere schulische Heimat verlieren, ist schwer zu akzeptieren.“

Eltern, Lehrkräfte und Unterstützer schlossen sich an. Demonstrationen, Petitionen und öffentliche Debatten prägten das Bild der Monate vor der Umstellung. Kritisiert wurde vor allem die mangelnde Transparenz und das Gefühl, dass Alternativen wie eine Fusion mit dem Gymnasium in Osterwieck zu wenig ernsthaft geprüft worden seien.

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Gründe der Politik: Effizienz und Gleichheit

Die Verantwortlichen im Bildungsausschuss betonten hingegen die Notwendigkeit struktureller Anpassungen. Sinkende Schülerzahlen, steigende Kosten pro Schüler und infrastrukturelle Herausforderungen ließen keine andere Entscheidung zu. Ein Ziel war auch die Herstellung gleichwertiger Bildungsangebote im Mittelzentrum Wernigerode, ohne Ungleichgewichte zwischen zwei konkurrierenden Gymnasien.

Integration und Identitätsbildung

Nach der Fusion begann ein Prozess der kulturellen und schulischen Integration. Besonders wichtig war der Versuch, beide Schultraditionen in eine gemeinsame Identität zu überführen. Dazu gehörten:

  • Ein neuer gemeinsamer Schulplaner mit Beiträgen beider früheren Standorte
  • Kooperative Projekte im Kunst-, Musik- und Sportbereich
  • Arbeitsgruppen mit Schülern und Lehrkräften zur neuen Schulordnung

Der Umgang mit der Schülerschaft wurde bewusst offen und partizipativ gestaltet. Dennoch blieb die Skepsis vieler bestehen, insbesondere was das Gefühl von Zugehörigkeit und das Fortbestehen individueller Profile anging.

Pädagogische Herausforderungen im Alltag

Die größte operative Herausforderung bestand in der Organisation des Unterrichts über zwei Gebäude hinweg. Fahrzeiten, Raumkoordination und technische Ausstattung waren nicht immer ideal gelöst. Besonders kritisiert wurde der Umstand, dass das Stadtfeld-Gymnasium während der Corona-Jahre stark auf digitale Tools wie Moodle und BigBlueButton gesetzt hatte – Strukturen, die im neuen Verbund zunächst nur teilweise übernommen wurden.

Auch im Lehrkörper musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Unterschiedliche Unterrichtskonzepte, organisatorische Abläufe und Schulphilosophien prallten aufeinander. Dennoch gab es im Verlauf des ersten Jahres auch Berichte über funktionierende Zusammenarbeit und erste gemeinsame Erfolgserlebnisse.

Vergleich mit anderen Regionen

Ein Blick nach Halberstadt zeigt, dass ähnliche Fusionen bereits vorher durchgeführt wurden – etwa beim Gymnasium Halberstadt, das aus der Vereinigung von Käthe-Kollwitz- und Martineum-Gymnasium hervorging. Auch hier waren die Startbedingungen schwierig, die Zahl der Schüler sank in den Jahren nach der Fusion allerdings langsamer als im Landesdurchschnitt. Entscheidend war dort eine starke Identitätsarbeit über Schulprojekte und regionale Vernetzung.

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Stimmen aus Verwaltung und Bildungspolitik

Vertreter des Kreistags und der Schulbehörde verteidigen die Maßnahme weiterhin. Die langfristige Sicherung des Gymnasialstandorts Wernigerode habe Vorrang vor kurzfristigem Unmut. Auch die wirtschaftliche Perspektive spiele eine Rolle:

Kriterium Vor der Fusion Nach der Fusion
Gesamtschülerzahl ca. 1.100 ca. 1.200
Lehrkräfte gesamt ca. 85 ca. 90
Gebäudenutzungskosten (pro Jahr) getrennt: doppelt vereint: -20 % (geschätzt)

Ein Vertreter der Schulaufsicht formulierte es so:

„Wir müssen Schulen nicht nur erhalten, sondern zukunftsfähig gestalten. Die Fusion war ein Schritt in diese Richtung, auch wenn der Weg dorthin nicht einfach war.“

Ausblick: Wie geht es weiter?

Die „Gymnasium Wernigerode“ steht nun vor der Aufgabe, aus zwei Traditionshäusern ein leistungsfähiges, modernes Bildungszentrum zu formen. Die erste Bewährungsprobe ist überstanden, doch zentrale Fragen bleiben offen:

  • Wie lässt sich die Identität langfristig festigen?
  • Werden die beiden Standorte dauerhaft benötigt – oder folgt mittelfristig eine Zentralisierung?
  • Wie lassen sich digitale Kompetenzen, Infrastruktur und pädagogische Qualität vereinheitlichen?

Die Beteiligten aus Verwaltung, Lehrerschaft und Elternbeirat setzen dabei verstärkt auf Dialogformate, regelmäßige Feedback-Prozesse und transparente Kommunikation. Auch soll die Schülervertretung künftig einen festen Sitz in zentralen Gremien erhalten, um Mitgestaltung aktiv zu fördern.

Fazit

War die Fusion der Gymnasien in Wernigerode eine gute Idee? Diese Frage lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantworten. Klar ist: Der Prozess war von Unsicherheit, Widerstand und organisatorischen Reibungen begleitet. Doch gleichzeitig bietet die Zusammenlegung auch Chancen für eine moderne, ressourcenschonende und integrative Schulentwicklung in der Region Harz.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich die „Gymnasium Wernigerode“ zu einem Vorbild entwickeln kann – oder ob sie ein Mahnmal für überstürzte Reformprozesse bleibt. Die Weichen sind gestellt. Jetzt kommt es auf die Menschen vor Ort an, den Weg mitzugestalten.

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.