
Seesen (Landkreis Goslar), 16. Juni 2025, 07:04 Uhr
Bild exemplarisch
Ein tödlicher Verkehrsunfall erschütterte am Wochenende die Region Harz: Ein 40-jähriger Mann kam bei einem Überholmanöver mit seinem Quad ums Leben, nachdem er mit einem abbiegenden Auto kollidierte. Der Vorfall ereignete sich am späten Samstagnachmittag auf der vielbefahrenen Bundesstraße 243 zwischen Seesen und Bornhausen im Landkreis Goslar. Der Unfall wirft nicht nur Fragen zum genauen Hergang auf, sondern lenkt auch den Blick auf grundsätzliche Sicherheitsprobleme im Umgang mit Quads auf deutschen Straßen.
Unfallhergang: Überholen auf freier Strecke endet tödlich
Nach ersten Informationen der Polizei Seesen befuhr der 40-jährige Quadfahrer gegen 17 Uhr die B243 in Fahrtrichtung Bornhausen. Dabei versuchte er, mehrere Fahrzeuge zu überholen. Zeitgleich setzte ein entgegenkommender Pkw-Fahrer zu einem Linksabbiegen an – offenbar ohne den Quadfahrer rechtzeitig zu bemerken. Es kam zur Kollision, bei der der Mann auf dem Quad so schwer verletzt wurde, dass er noch an der Unfallstelle verstarb. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen konnten die Einsatzkräfte nichts mehr für ihn tun.
Die Bundesstraße wurde für mehrere Stunden voll gesperrt, um Unfallaufnahme und Spurensicherung durchzuführen. Ein Team von Sachverständigen wurde hinzugezogen, um den genauen Ablauf des Unfalls zu rekonstruieren.
Quadfahren auf öffentlichen Straßen: Gefährliches Vergnügen?
Der Unfall in Seesen reiht sich ein in eine Serie schwerer Verkehrsunfälle mit Quads, die bundesweit Schlagzeilen machen. Fachleute warnen seit Jahren vor den unterschätzten Risiken, die mit der Nutzung dieser Fahrzeugklasse einhergehen. Obwohl sie auf den ersten Blick leicht zu fahren erscheinen, stellen sie fahrdynamisch eine besondere Herausforderung dar – vor allem im öffentlichen Straßenverkehr.
Technische Besonderheiten von Quads
Quads unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Autos oder Motorrädern. Sie verfügen über:
- Kein Differenzial an der Hinterachse (beide Räder drehen sich gleich schnell)
- Eine Daumengas-Steuerung statt eines herkömmlichen Drehgriffs
- Meist keine elektronischen Assistenzsysteme wie ABS oder ESP
Diese Faktoren machen das Fahrverhalten vor allem in Kurven oder bei schnellen Ausweichmanövern schwer berechenbar. Besonders riskant sind Überholvorgänge, wie sie auch beim Unfall in Seesen eine zentrale Rolle spielten.
Statistische Einordnung: Quadunfälle mit überdurchschnittlich hoher Todesrate
Laut Unfallforschung der Versicherer (UDV) beträgt das Risiko, bei einem Unfall mit einem Quad tödlich verletzt zu werden, ein Vielfaches dessen bei einem Pkw. Während Quads in Deutschland mit etwa 150.000 registrierten Fahrzeugen nur einen Bruchteil des Gesamtbestands ausmachen, ist ihre Beteiligung an schweren Verkehrsunfällen überproportional hoch.
Eine tabellarische Übersicht verdeutlicht das:
Fahrzeugtyp | Registrierte Fahrzeuge (Deutschland, ca.) | Tödliche Unfälle pro 100.000 Fahrzeuge |
---|---|---|
PKW | 48 Mio. | 1,1 |
Motorräder | 4,7 Mio. | 7,4 |
Quads | 150.000 | 12,6 |
Hinzu kommt: Bei etwa 85 % der gemeldeten Quadunfälle ist der Fahrer selbst der Verursacher – meist durch Übermut, mangelnde Fahrpraxis oder schlicht falsche Einschätzung der Situation.
Führerschein und Fahrtraining: Lockerer Zugang mit ernsten Folgen
Ein weiterer kritischer Punkt ist die rechtliche Einstufung von Quads. In Deutschland genügt der Besitz eines Pkw-Führerscheins der Klasse B, um ein Quad zu führen – unabhängig von dessen Leistung oder Aufbau. Eine spezielle Schulung oder Fahrsicherheitstraining ist nicht vorgeschrieben.
Immer wieder fordern daher Verkehrsexperten und Versicherer eine Reform. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bringt es auf den Punkt:
„Wir brauchen verpflichtende Einweisungen für das Führen von Quads. Diese Fahrzeuge sind keine Spielzeuge.“
Auch technische Nachrüstungen wie Differenziale oder Assistenzsysteme sollten laut GDV in der Zulassung verbindlich gemacht werden.
Komplexe Unfallrekonstruktion: Quads fordern Gutachter heraus
Die Rekonstruktion von Quadunfällen stellt Sachverständige vor besondere Herausforderungen. Durch das spezielle Fahrverhalten – etwa das Kippen bei hoher Kurvengeschwindigkeit oder das ungleiche Verhalten bei Vollbremsungen – sind Standardmethoden der Unfallanalyse nur bedingt anwendbar. Inzwischen kommen vermehrt digitale 3D-Simulationen und Drohnenvermessung zum Einsatz, um den Unfallhergang zu klären.
Psychische Belastung der Unfallbeteiligten: Ein unterschätztes Thema
Während sich die mediale Berichterstattung oft auf Todesopfer und Sachschäden konzentriert, geraten die psychischen Folgen für Ersthelfer, Zeugen und Angehörige häufig in den Hintergrund. Traumaforscher warnen jedoch, dass insbesondere bei plötzlichen, tödlichen Unfällen im öffentlichen Raum eine gezielte psychologische Nachsorge erforderlich ist.
In Seesen wurden nach ersten Angaben auch Anwohner und nachfolgende Verkehrsteilnehmer Zeugen des tragischen Unfalls. Ob ein psychosoziales Notfallteam vor Ort war, ist bislang nicht bekannt.
Europäische Perspektive: Diskussion um strengere Regeln für Quads
Nicht nur in Deutschland, auch auf europäischer Ebene gibt es Überlegungen, den Umgang mit Quads neu zu regeln. In mehreren EU-Gremien wird derzeit diskutiert, ob Quads künftig ähnlich wie Leichtfahrzeuge oder Klein-Lkw behandelt werden sollen. Zur Debatte stehen unter anderem:
- Einführung einer eigenständigen Führerscheinklasse
- Technische Mindestausstattung mit Sicherheitssystemen
- EU-weit einheitliche Zulassungs- und Schulungspflichten
Bislang liegt jedoch kein konkreter Gesetzesentwurf vor. Branchenvertreter zeigen sich zurückhaltend und verweisen auf den Freizeitwert und die Popularität von Quads – insbesondere im ländlichen Raum.
Der Unfall von Seesen steht exemplarisch für eine unterschätzte Gefahr
Der tödliche Quadunfall im Landkreis Goslar ist mehr als ein tragisches Einzelereignis. Er verdeutlicht strukturelle Schwächen im Umgang mit einer Fahrzeugklasse, die technisch anspruchsvoll, aber rechtlich nur unzureichend reguliert ist. Ohne verpflichtende Schulungen, ohne Sicherheitsstandards und mit einem Führerscheinzugang, der keinerlei Praxisnachweis verlangt, bleibt das Risiko für Fahrfehler hoch – vor allem in komplexen Verkehrssituationen wie beim Überholen.
Die Kombination aus mangelnder Fahrpraxis, ungeschütztem Fahrzeugdesign und schwieriger Technik macht Quads zu einem der gefährlichsten Verkehrsmittel auf deutschen Straßen. Der Fall Seesen könnte Anlass sein, die Debatte um Reformen neu zu beleben – sowohl in Berlin als auch in Brüssel.