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Harz | Geplanter Anschlag auf CSD in Wernigerode vereitelt – Polizei findet Munition bei Verdächtigem

Wernigerode, 10. Juni 2025, 09:00 Uhr

Ein möglicher Anschlag auf den Christopher Street Day (CSD) in Wernigerode wurde offenbar durch ein rasches Eingreifen der Polizei verhindert. Die Ermittler stellten bei einem Verdächtigen Munition sicher, nachdem dieser zuvor mit einem bewaffneten Angriff auf Teilnehmende der Veranstaltung gedroht hatte. Der Vorfall rückt nicht nur die Sicherheitslage rund um queere Events in den Fokus, sondern auch die gesellschaftliche Realität wachsender queerfeindlicher Gewalt – besonders in ländlichen Regionen wie dem Harz.

Ein friedliches Fest unter Bedrohung

Am 7. Juni 2025 versammelten sich etwa 360 Menschen unter dem Motto „Liebe wächst im Harz“ zum CSD in Wernigerode. Die Veranstaltung sollte ein Zeichen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Solidarität setzen – und verlief vordergründig friedlich. Doch hinter den Kulissen arbeitete die Polizei mit Hochdruck an der Abwehr einer potenziellen Bedrohung.

Ein Mann soll zuvor angekündigt haben, er wolle mit einer Schusswaffe auf CSD-Besucher:innen schießen. Der Satz „70 Schuss habe ich noch“ wurde in einschlägigen Chatgruppen und sozialen Medien geteilt und ernst genommen. Die Polizei reagierte schnell: Eine Hausdurchsuchung führte zur Sicherstellung von Munition. Ob weitere Waffen oder Komplizen existieren, ist bisher nicht öffentlich bekannt.

Der CSD als Ziel rechter Gewalt

Inzwischen ist klar: Der CSD in Wernigerode war nicht zufällig Ziel der Drohung. In den vergangenen Jahren haben sich die Spannungen rund um queere Veranstaltungen verschärft. Besonders in ländlichen Gebieten nehmen Angriffe, Anfeindungen und Einschüchterungsversuche zu. Während Großstädte zunehmend Schutzkonzepte und Anlaufstellen bieten, fehlt in kleineren Orten oft der institutionelle Rückhalt.

In Wernigerode selbst kam es während der Veranstaltung noch zu einer weiteren homophoben Auseinandersetzung. Laut Polizei wurde ein Teilnehmer verbal angegangen. Die Beamten konnten die Situation deeskalieren, die Personalien der mutmaßlichen Störer wurden aufgenommen.

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Statistiken belegen: Gewalt gegen queere Menschen nimmt zu

Die Bedrohungslage ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Trends. Die aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts zeichnen ein deutliches Bild:

Jahr Queerfeindliche Straftaten Davon Gewalttaten Gegen trans*/nicht-binäre Personen
2023 854 117 ~850
2024 1.765 128 1.152

Die Zahl queerfeindlicher Delikte hat sich somit mehr als verdoppelt. Besonders alarmierend ist der Anstieg bei Angriffen auf trans- und nicht-binäre Menschen – mit einem Zuwachs von über 35 Prozent. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) geht zudem von einer hohen Dunkelziffer aus und fordert seit Jahren eine bundesweite Meldestelle für queerfeindliche Gewalt.

Das ländliche Umfeld: Sichtbarkeit unter Druck

Wernigerode steht beispielhaft für eine Herausforderung, die viele kleinere Städte und Gemeinden betrifft: Queere Menschen haben es dort oft schwerer, offen zu leben. Das Fehlen sichtbarer Strukturen, queersensibler Anlaufstellen und Unterstützungsnetzwerke begünstigt Isolation und Unsichtbarkeit.

Gleichzeitig zeigen Initiativen wie der CSD oder die bundesweite „Dorfpride“-Bewegung, dass auch auf dem Land ein Wandel möglich ist. In zahlreichen Orten haben sich in den letzten Jahren kleine, aber sehr engagierte Pride-Formate etabliert – mit wachsendem Zuspruch und gesellschaftlicher Rückendeckung.

Dorfpride als Symbol der Ermutigung

Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Dorfpride-Initiative in Baden-Württemberg. Seit 2020 organisieren Aktivist:innen in Gemeinden wie Mühlhausen, Oftersheim oder Ladenburg eigene CSD-Veranstaltungen – meist mit wenigen Hundert, teilweise über 1.000 Teilnehmenden. Sie werden von Bürgermeister:innen, Kirchengemeinden und Sportvereinen aktiv unterstützt. Die zentrale Botschaft: Sichtbarkeit schafft Sicherheit.

„Wir wollen, dass niemand mehr Angst haben muss, queer zu sein – auch nicht in Dörfern oder Kleinstädten“.

Polizeiliches Handeln: Prävention statt Reaktion

Dass der mögliche Angriff in Wernigerode verhindert wurde, ist dem schnellen Einschreiten der Ermittlungsbehörden zu verdanken. Immer häufiger setzt die Polizei auf präventive Maßnahmen: Hausdurchsuchungen, Observationen und Sicherstellung von Material, wenn konkrete Bedrohungen gemeldet werden.

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Gewerkschaftlich organisierte Polizist:innen fordern nun aber strukturelle Reformen – etwa speziell geschulte LSBTIQ*-Ansprechpartner:innen, klare Schutzprotokolle für Veranstaltungen und bessere Übergaben von Bedrohungsinformationen zwischen Behörden. Erste Bundesländer haben entsprechende Pilotprojekte gestartet.

Solidarität und Schutz: Zivilgesellschaft in Bewegung

Die Bedrohung von queerem Leben hat auch zur Mobilisierung in anderen Teilen der Gesellschaft geführt. Heterosexuelle Unterstützer:innen – sogenannte „Straight Allies“ – beteiligen sich zunehmend aktiv an Aufklärungskampagnen, öffentlichen Solidaritätsaktionen und Schutzkonzepten.

Ein Beispiel: Die Organisation „Queermed Deutschland“ bietet ein deutschlandweites Verzeichnis queersensibler Arztpraxen an. Auch Schulen, Gewerkschaften und Unternehmen engagieren sich verstärkt mit Schulungen und Diversity-Beauftragten.

  • Informationskampagnen in Schulen und Berufsschulen
  • Workshops für Unternehmen zu inklusivem Verhalten
  • Stärkung queerer Selbsthilfegruppen
  • Vernetzung mit europäischen Bewegungen wie „Polish Pride Alliance“

Diese Maßnahmen zeigen Wirkung: Sichtbarkeit wächst, Empowerment ebenfalls – doch der Gegenwind bleibt spürbar.

Ein Blick über die Grenzen: Internationale Perspektiven

Die Entwicklungen in Deutschland stehen nicht isoliert. Auch in anderen europäischen Ländern formieren sich queere Bewegungen – besonders in Gegenden mit konservativen oder autoritären Tendenzen. Polen etwa erlebt mit der „Polish Pride Alliance“ einen Boom an queeren Initiativen in der Provinz.

Trotz massiver Widerstände, etwa durch sogenannte „LGBT-freie Zonen“, gelingt es Aktivist:innen dort, mit internationalen Partnern Rückhalt zu schaffen – auch durch Austausch mit deutschen Initiativen. Diese grenzüberschreitende Solidarität stärkt die Community und sendet ein starkes Signal gegen Ausgrenzung.

Fazit: Mehr als ein vereitelter Anschlag

Der vereitelte Angriff auf den CSD in Wernigerode steht sinnbildlich für ein gesellschaftliches Spannungsfeld. Einerseits gibt es eine lebendige, wachsende queere Community, die auch in ländlichen Regionen für ihre Rechte eintritt. Andererseits nehmen Drohungen, Gewalt und Einschüchterungsversuche zu – besonders dort, wo Sichtbarkeit neu entsteht.

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Der Schutz queerer Menschen und Veranstaltungen darf nicht nur Aufgabe der Polizei sein. Es braucht ein strukturelles Zusammenspiel von Politik, Bildung, Zivilgesellschaft und Medien. Nur so kann verhindert werden, dass Hass und Gewalt das Leben und die Freiheit einer ganzen Bevölkerungsgruppe bedrohen.

Wernigerode hat gezeigt: Prävention wirkt. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst – mit Aufklärung, mit Unterstützung, mit Haltung.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.