
Ein Sachsen-Anhalter an der Spitze der Bergwacht
Heiner Jentsch, geboren und aufgewachsen in Halberstadt, ist seit Jahrzehnten fest mit der Bergwacht verbunden. Schon seine Eltern waren in den frühen 1950er-Jahren Teil der Bergwacht in Sachsen-Anhalt. Dieses familiäre Fundament legte den Grundstein für ein lebenslanges Engagement.
Nach seinem Studium in Dresden und der Rückkehr in die Heimat übernahm Jentsch bald Führungsverantwortung in der Ortsgruppe Halberstadt. Von 2010 bis 2022 leitete er die Bergwacht Sachsen-Anhalt auf Landesebene. Nun hat er den Sprung an die Spitze geschafft – als neuer Bundesleiter der Bergwacht Deutschland.
Bemerkenswert ist vor allem, dass er als erster Ostdeutscher dieses Amt übernimmt. Die Wahl galt in Fachkreisen als Überraschung, weil sich Jentsch gegen Kandidaten aus den traditionellen Bergwacht-Hochburgen in Bayern und Baden-Württemberg durchsetzte. Für die Region Harz ist dies ein deutliches Signal: Die Arbeit und die Herausforderungen in den Mittelgebirgen werden auf Bundesebene ernster genommen als je zuvor.
Die Dimension der Bergwacht in Deutschland
Um die Bedeutung der Wahl besser einordnen zu können, lohnt ein Blick auf die Struktur der Bergwacht in Deutschland. Bundesweit engagieren sich rund 14.500 Mitglieder ehrenamtlich. Jährlich werden mehr als 13.000 Menschen durch die Bergwacht versorgt – sei es bei Wanderunfällen, alpinen Notlagen oder Rettungen im unwegsamen Gelände.
Das bedeutet im Schnitt über 35 Einsätze pro Tag, die durch freiwillige Helfer bewältigt werden.
Besonders im Harz, der als touristisch stark frequentiertes Mittelgebirge gilt, sind diese Zahlen greifbar. Allein in Sachsen-Anhalt zählt die Bergwacht 186 Mitglieder, davon 49 aktive Einsatzkräfte. Im letzten Jahr wurden hier 129 Einsätze gefahren – eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass es sich fast ausschließlich um Ehrenamtliche handelt.
Hinzu kommen die Gruppen in Niedersachsen, sodass die Bergwacht Harz insgesamt zehn Standorte umfasst.
Ein neuer Kurs für den Harz
Mit Jentsch als Bundesleiter wird erwartet, dass die Interessen der Mittelgebirgsregionen stärker vertreten werden. Denn bisher lag der Fokus vieler bundesweiter Entscheidungen vor allem auf den alpinen Regionen.
Der Harz mit seiner wachsenden touristischen Bedeutung, aber auch seinen spezifischen Herausforderungen, könnte nun deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Die Herausforderungen sind vielfältig: steigende Einsatzzahlen durch den anhaltenden Tourismusboom, wachsende Mountainbike- und Kletterszenen sowie extreme Wetterlagen auf dem Brocken. Gerade im Winter, wenn der Goetheweg vereist oder bei stürmischem Wetter unpassierbar wird, muss die Bergwacht schnell und zuverlässig reagieren. Hier setzt Jentsch auf moderne Lösungen und eine bessere Zusammenarbeit der Einsatzkräfte.
Neue Technik im Einsatz: Drohnen und E-Mountainbikes
Ein Beispiel für die Anpassung an neue Gegebenheiten ist die Einführung von E-Mountainbike-Staffeln im Harz. Diese Einheiten können schnell in Bikeparks oder auf schmalen Trails eingesetzt werden, wo Rettungsfahrzeuge nicht hinkommen. Ebenso werden Drohnen zunehmend zur Personensuche oder Lageerkundung genutzt.
Die Finanzierung erfolgt oftmals durch Spendenaktionen – ein Hinweis darauf, wie sehr die Bergwacht auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen ist.
In sozialen Medien teilen die lokalen Bergwacht-Gruppen regelmäßig Einsatzberichte, darunter spektakuläre Szenen von Rettungen im vereisten Brockenbereich. Diese Transparenz zeigt nicht nur die Gefahren im Harz, sondern verdeutlicht auch den wachsenden Anspruch an die Professionalität der Ehrenamtlichen.
Nachwuchs – das größte Problem im Harz
Eine der zentralen Aufgaben, die Jentsch nun als Bundesleiter angehen will, betrifft den Nachwuchs. Schon seit Jahren leidet die Bergwacht in Sachsen-Anhalt und damit auch im Harz unter Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu gewinnen.
Während die Einsatzzahlen steigen, sinkt die Zahl der Freiwilligen – eine Entwicklung, die durch den demografischen Wandel noch verstärkt wird.
Viele junge Menschen ziehen für Ausbildung oder Studium in andere Regionen, und die Konkurrenz durch vielfältige Freizeitangebote macht es schwer, Ehrenamtliche langfristig zu binden.
Die Bergwacht versucht daher, Jugendliche gezielt über den Sport zu erreichen – etwa durch Klettern oder Bergsteigen. Auch Berufseinsteiger oder Menschen, die gerade eine Familie gründen, sind Zielgruppen, die besonders angesprochen werden.
Fragen aus der Community
- Wer ist Heiner Jentsch und warum wurde er zum Bundesleiter der Bergwacht gewählt?
Jentsch engagiert sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich, war zwölf Jahre Landesleiter in Sachsen-Anhalt und hat mit seiner Erfahrung und seinem Moderationsstil überzeugt. - Welche Bedeutung hat die Wahl eines Ostdeutschen für die Bergwacht?
Erstmals in der 105-jährigen Geschichte übernimmt ein Vertreter aus dem Osten die Leitung. Das stärkt die Stimme der Mittelgebirgsregionen wie dem Harz. - Warum ist die Nachwuchsgewinnung gerade im Harz so schwierig?
Der Harz leidet besonders unter dem Wegzug junger Menschen und dem hohen Ausbildungsaufwand für Bergwacht-Mitglieder. - Was sind die größten strukturellen Probleme für Ehrenamtliche?
Anders als bei Feuerwehr oder THW können Bergwacht-Mitglieder ihren Arbeitsplatz für einen Einsatz nicht immer problemlos verlassen – das erschwert schnelle Hilfe.
Arbeitsrechtliche Hürden
Genau hier setzt ein weiterer Kritikpunkt an, den Jentsch als Bundesleiter ansprechen will. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk haben rechtliche Absicherungen, wenn sie während der Arbeitszeit zu Einsätzen gerufen werden.
Für die Bergwacht gilt das nur eingeschränkt, da viele Einsätze nicht als Katastrophenschutz eingestuft sind. Das bedeutet, dass Ehrenamtliche Gefahr laufen, arbeitsrechtliche Probleme zu bekommen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen.
Diese Situation ist ein Dauerthema, das dringend geklärt werden muss, damit die Einsatzbereitschaft im Harz nicht gefährdet wird.
Herausforderungen und Chancen für die Zukunft
In seiner neuen Rolle versteht sich Jentsch weniger als autoritärer Leiter, sondern vielmehr als Moderator und Impulsgeber. Er will die unterschiedlichen Interessen der Landesverbände zusammenführen und Lösungen gemeinsam erarbeiten.
Gerade für den Harz bedeutet dies, dass die besonderen Rahmenbedingungen der Mittelgebirge nicht länger im Schatten der Alpenregionen stehen.
Neben der Nachwuchsgewinnung und den rechtlichen Rahmenbedingungen wird es auch darum gehen, die Ausstattung der Bergwacht-Gruppen zu verbessern.
Moderne Ausrüstung, digitale Kommunikation und Kooperationen mit anderen Rettungsdiensten sind entscheidend, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.
Der Harz ist ein Beispiel dafür, wie stark Freizeit- und Tourismusentwicklung die Arbeit der Rettungsdienste beeinflussen.
Statistiken im Überblick
Kennzahl | Deutschland | Harz (Sachsen-Anhalt) |
---|---|---|
Mitglieder gesamt | 14.500 | 186 |
Aktive Einsatzkräfte | ca. 12.000 | 49 |
Jährliche Einsätze | 13.000+ | 129 |
Stimmen aus dem Harz
In den sozialen Medien und in den lokalen Gruppen wird die Wahl von Heiner Jentsch überwiegend positiv aufgenommen.
Viele sehen darin ein starkes Zeichen für die Region. Ein Helfer der Bergwacht Clausthal-Zellerfeld formulierte es so:
„Dass jemand aus dem Harz die Bundesleitung übernimmt, gibt uns Rückenwind und zeigt, dass unsere Arbeit auf Bundesebene gesehen wird.“
Gleichzeitig bleibt die Sorge, dass ohne strukturelle Verbesserungen die Belastung für die Ehrenamtlichen weiter steigen könnte.
Insbesondere die wachsende Zahl von Einsätzen in den Touristenzentren des Harzes stellt die Bergwacht vor immer größere Herausforderungen.
Ausblick für den Harz
Der Harz hat in den letzten Jahren gezeigt, dass er nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel ist, sondern auch eine Region mit komplexen Rettungsaufgaben.
Mit Jentsch an der Spitze der Bergwacht besteht die Chance, dass diese Besonderheiten nun auf Bundesebene mehr Gewicht erhalten.
Ob es um bessere Nachwuchsförderung, rechtliche Absicherung oder den Einsatz moderner Technik geht – die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um die Zukunftsfähigkeit der Bergwacht im Harz zu sichern.
Für die Menschen im Harz bedeutet die Wahl von Heiner Jentsch mehr als nur ein personelles Signal: Sie eröffnet die Aussicht auf eine nachhaltige Stärkung der Rettungsstrukturen in der Region.
Damit könnte sich die Wahl des neuen Bundesleiters langfristig als Meilenstein erweisen – nicht nur für die Bergwacht, sondern für den gesamten Harz.