
Zehn Einbürgerungen wurden in Sachsen-Anhalt abgelehnt, weil Bewerber sich nicht eindeutig zum Existenzrecht Israels bekannten. Ein Erlass des Innenministeriums sorgt für Debatten über Loyalität, Staatsräson und rechtliche Grauzonen.
Ein Erlass mit Signalwirkung
Seit Ende 2023 verlangt Sachsen-Anhalt von Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerbern ein zusätzliches schriftliches Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Damit geht das Bundesland über die bundesrechtlichen Regelungen hinaus und hat deutschlandweit eine Debatte ausgelöst, die weit über Verwaltungsfragen hinausgeht. Die Maßnahme wird politisch, juristisch und gesellschaftlich kontrovers diskutiert – und hat inzwischen erste konkrete Folgen: Zehn Einbürgerungen wurden bisher abgelehnt, in einem Fall wird sogar über den Widerruf eines bereits erteilten Staatsangehörigkeitstitels nachgedacht.
Die rechtliche Ausgangslage: Was sagt das Staatsangehörigkeitsgesetz?
Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Juni 2024 wurde § 10 Abs. 1 Nr. 1a StAG eingeführt. Dieser verpflichtet Bewerber zur Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie zum besonderen Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Auch wenn das Gesetz kein ausdrückliches Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangt, betonen zahlreiche Juristen, dass dies bereits implizit Teil der Loyalitätserklärung sei. Sachsen-Anhalt geht jedoch einen Schritt weiter und verlangt zusätzlich ein konkretes, schriftliches Bekenntnis:
„Ich erkenne ausdrücklich die besondere deutsche Verantwortung für den Staat Israel und das Existenzrecht Israels an. Ich verurteile jegliche antisemitischen Bestrebungen.“ – Runderlass Sachsen-Anhalt, November 2023
Warum Sachsen-Anhalt diesen Sonderweg geht
Laut dem Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt sei das Existenzrecht Israels Bestandteil der deutschen Staatsräson. Diese Formulierung geht zurück auf eine Aussage der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2008 betonte: „Die Sicherheit Israels ist Teil der deutschen Staatsräson.“ Das Innenministerium sieht es daher als gerechtfertigt an, diese Haltung in Einbürgerungsverfahren aktiv einzufordern – insbesondere in Zeiten wachsender antisemitischer Tendenzen.
Wie viele Einbürgerungen wurden abgelehnt?
Wie viele Einbürgerungen wurden bisher in Sachsen‑Anhalt abgelehnt wegen fehlendem Israel-Bekenntnis?
Nach offiziellen Angaben wurden bislang zehn Einbürgerungsanträge abgelehnt, weil die Antragsteller sich nicht zum Existenzrecht Israels bekannt hatten. In einem besonders brisanten Fall wird derzeit über einen möglichen Widerruf einer bereits erteilten Einbürgerung entschieden. Dabei geht es um einen Bewerber, der das Bekenntnis zwar formal abgegeben hatte, sich aber später öffentlich in einem antisemitischen Kontext äußerte.
Fall Abu Shaqra: Der erste Widerruf?
Ein prominenter Fall betrifft den Rapper Abu Shaqra, der aus Halle stammt und die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, obwohl er öffentlich antisemitische Inhalte verbreitete. Der Fall löste eine Welle der Empörung aus und führte dazu, dass das Innenministerium prüft, ob die Einbürgerung rückgängig gemacht werden kann. Hier stellt sich die zentrale Frage, wie belastbar ein schriftliches Bekenntnis wirklich ist – und ob Behörden über ausreichende Mittel verfügen, um die Authentizität solcher Erklärungen zu überprüfen.
Was sagen Gerichte dazu?
Ein wichtiges Signal kam im Oktober 2024 vom Verwaltungsgericht Regensburg. In einem dort verhandelten Fall entschied das Gericht, dass ein Einbürgerungsbewerber auch ohne Erlass auf Landesebene dazu verpflichtet sei, sich zum Existenzrecht Israels zu bekennen. Das Urteil stärkt die Position jener Bundesländer, die ein solches Bekenntnis als unverzichtbaren Teil der Loyalitätsprüfung ansehen.
Wie gehen andere Bundesländer mit der Frage um?
Welche Bundesländer verlangen ein Israel-Bekenntnis bei der Einbürgerung?
Derzeit haben nur Sachsen-Anhalt und Brandenburg explizite Regelungen erlassen, die ein schriftliches Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangen. Berlin prüft derzeit eine ähnliche Initiative, während die Mehrheit der Bundesländer – darunter Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen – auf das allgemeine Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung vertraut und auf zusätzliche Erklärungen verzichtet.
Einbürgerung in Zahlen: Wie relevant ist das Thema?
Die Diskussion um das Israel-Bekenntnis betrifft zwar nur einen kleinen Teil der Einbürgerungsverfahren, steht aber stellvertretend für eine tiefere gesellschaftliche Frage: Wie geht Deutschland mit Loyalität, Integrationsanforderungen und historischer Verantwortung um?
Jahr | Einbürgerungen gesamt | Herkunftsländer (Top 3) |
---|---|---|
2023 | 200.095 | Syrien, Türkei, Irak |
2024 | 291.955 | Syrien, Afghanistan, Türkei |
Was sagen Betroffene? Einblicke aus sozialen Netzwerken
Auf Plattformen wie Reddit berichten Einbürgerungsbewerber von ausführlichen Gesprächen mit Behörden. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit der Bewerber, sondern zunehmend auch um politische Grundhaltungen. Ein Nutzer schrieb:
„They asked about German responsibility for WW2 and what it means wrt to Israel… then detailed questions about the current conflict between Israel and Palestine.“
Andere empfehlen, sich in den Gesprächen möglichst neutral zu verhalten, um Missverständnisse zu vermeiden. Solche Erfahrungsberichte werfen die Frage auf, wie objektiv und fair das Verfahren tatsächlich abläuft.
Einbürgerungstest als neues Werkzeug?
Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit an einer Reform des Einbürgerungstests. Vorgesehen ist die Einführung von bis zu zehn neuen Fragen, die sich explizit mit dem Holocaust, Antisemitismus und dem Existenzrecht Israels befassen. Ziel ist es, frühzeitig integrationsfeindliche Haltungen zu erkennen. Ein Beispiel:
- „Welche Handlung mit Bezug auf den Staat Israel ist in Deutschland verboten?“
- „Warum trägt Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber jüdischem Leben?“
Diese Entwicklung zeigt, dass das Thema längst nicht mehr nur in Sachsen-Anhalt virulent ist, sondern auf Bundesebene an Bedeutung gewinnt.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Gibt es Gerichtsurteile zum Bekenntnis zum Existenzrecht Israels bei Einbürgerung?
Mit dem Urteil aus Regensburg und dem Beispiel Sachsen-Anhalt hat das Thema eine neue juristische und politische Dimension erreicht. Es ist absehbar, dass weitere Länder über ähnliche Regelungen nachdenken – sei es durch Erlasse, Gesetzesinitiativen oder Änderungen im Einbürgerungstest. Die FDP etwa hat bereits angekündigt, antisemitische Äußerungen gesetzlich als Ausschlussgrund verankern zu wollen.
Wird die Einbürgerung politisiert?
Kritiker werfen Sachsen-Anhalt vor, ein eigentlich verwaltungsrechtliches Verfahren politisch aufzuladen. Die Forderung nach einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels sei zwar moralisch nachvollziehbar, jedoch juristisch fragwürdig und praktisch schwer überprüfbar. Der Verfassungsblog warnte vor „tagespolitischer Gesinnungsprüfung“ und sieht in der Maßnahme einen Präzedenzfall mit unklaren rechtlichen Folgen.
Ein Thema, das bleibt
Das Thema Israel-Bekenntnis bei der Einbürgerung wird die deutsche Innenpolitik auch in Zukunft beschäftigen. Es berührt fundamentale Fragen: Wie viel ideelle Zustimmung darf ein Staat fordern? Wo verläuft die Grenze zwischen Loyalität und Meinungsfreiheit? Und wie können Behörden echte Überzeugungen von formalem Lippenbekenntnis unterscheiden?
Der Fall Sachsen-Anhalt ist dabei mehr als eine regionale Maßnahme – er ist ein Testfall für das Spannungsfeld zwischen Integration, historischer Verantwortung und der Suche nach einer gemeinsamen Wertebasis. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung dürfte diese Diskussion weiter an Relevanz gewinnen – auch über die Grenzen Deutschlands hinaus.