
Harz, 05. Juni 2025, 8:30 Uhr
Inmitten der grünen Landschaft des Harzes zeigt sich ein immer drängenderes Problem: Die öffentlichen Schwimmbäder in Sachsen-Anhalt, insbesondere in der Region Harz, verfallen zusehends. Während einige Städte auf Fördermittel hoffen, kämpfen andere bereits mit Schließungen, verkürzten Öffnungszeiten oder dem vollständigen Verlust von Wasserflächen. Der Sanierungsbedarf hat sich nahezu verdoppelt – und das innerhalb weniger Jahre.
Marode Becken, bröckelnde Fliesen und knappe Kassen
Laut einer aktuellen Erhebung liegt der notwendige Investitionsbedarf für die Sanierung öffentlicher Bäder in Sachsen-Anhalt mittlerweile bei über 148 Millionen Euro. Davon sind mehr als 100 Schwimmbäder im ganzen Land betroffen – viele davon im ländlich geprägten Harz. Der Zustand vieler Einrichtungen lässt kaum noch einen sicheren Betrieb zu: abblätternde Farbe an den Beckenrändern, defekte Filteranlagen, veraltete Heiztechnik und zunehmend unzureichende Wasserqualität sind keine Seltenheit.
Besonders besorgniserregend ist die langsame Umsetzung dringend notwendiger Maßnahmen. Seit 2022 wurden lediglich in 13 Bädern Sanierungen abgeschlossen oder begonnen. In der Mehrheit der Fälle fehlen schlichtweg die Mittel oder die Genehmigungen, um Fördermittel abrufen zu können. Dabei steht viel auf dem Spiel – nicht nur aus touristischer oder sportlicher Perspektive, sondern vor allem in Hinblick auf Bildung und soziale Teilhabe.
Förderprogramme: Hilfe mit Hindernissen
Um dem wachsenden Problem zu begegnen, wurde ein Sonderförderprogramm des Landes Sachsen-Anhalt aufgelegt. Es umfasst 500.000 Euro und erlaubt Zuschüsse von bis zu 50.000 Euro pro Schwimmbad. Doch viele Betreiber kritisieren die Hürden, die mit einer Antragstellung verbunden sind: komplizierte Antragsverfahren, enge Fristen und strikte Ausschlusskriterien lassen zahlreiche potenzielle Antragsteller leer ausgehen.
„Die Unterstützung ist ein Tropfen auf den heißen Stein – wir brauchen langfristige und unbürokratische Lösungen“, sagt ein Schwimmbadleiter aus dem Südharz.
Ein Beispiel für einen erfolgreichen Antrag ist das Waldbad Leuna, das knapp 40.000 Euro für energetische Maßnahmen und Reparaturarbeiten erhielt. Andere Einrichtungen wie das Freizeitbad Thyragrotte in der Gemeinde Südharz profitieren von Bundesmitteln – in diesem Fall flossen über 3,8 Millionen Euro in eine umfassende Sanierung.
Neubauten: Hoffnungsschimmer trotz hoher Kosten
Während vielerorts das Wort „Stilllegung“ kursiert, setzen einige Kommunen auf Neubauten. In Harzgerode zum Beispiel wird derzeit ein modernes Hallenbad mit wettkampftauglichen 25-Meter-Bahnen errichtet. Die Eröffnung ist für den Sommer 2026 geplant. Über neun Millionen Euro werden investiert – ein Projekt, das überregionale Signalwirkung haben könnte.
Ähnlich ambitioniert sind die Pläne zur Wiederbelebung des traditionsreichen Harzbades in Benneckenstein. Die Bevölkerung fordert seit Jahren eine Wiedereröffnung – nun soll es konkrete Machbarkeitsstudien geben. Auch hier sind Investitionen in Millionenhöhe erforderlich.
Fachkräftemangel trifft Schwimmbäder besonders hart
Nicht nur der bauliche Zustand bereitet Sorgen. Auch personell stehen viele Schwimmbäder mit dem Rücken zur Wand. Laut einer branchenspezifischen Umfrage waren im Mai 2024 noch rund 50 Prozent aller offenen Stellen im Bäderbetrieb unbesetzt. Besonders betroffen sind kleinere Kommunen im ländlichen Raum, in denen es weder ausreichend ausgebildetes Personal noch attraktive Arbeitsbedingungen gibt.
Als Notlösung denken einige Betreiber inzwischen über digitale Lösungen nach. KI-gestützte Videoüberwachungssysteme zur Unterstützung der Wasseraufsicht wurden bereits in Pilotprojekten getestet – doch Datenschutzbedenken und fehlende gesetzliche Regelungen bremsen deren flächendeckenden Einsatz.
Auswirkungen auf den Schwimmunterricht
Die Folgen der Bädersituation treffen vor allem Kinder und Jugendliche. Seit der Jahrtausendwende wurden in Sachsen-Anhalt rund 50 Schwimmhallen und Freibäder geschlossen – ein Rückgang, der sich direkt auf die Schwimmfähigkeit der Bevölkerung auswirkt. Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) kann inzwischen jedes fünfte Grundschulkind in Deutschland nach der vierten Klasse nicht sicher schwimmen. In manchen Regionen Ostdeutschlands liegt der Anteil noch höher.
Fehlende Infrastruktur macht es für Schulen nahezu unmöglich, den gesetzlich vorgesehenen Schwimmunterricht regelmäßig und qualifiziert durchzuführen. In vielen Fällen müssen Schüler für den Schwimmunterricht in weit entfernte Städte gebracht werden – was zusätzliche Kosten und organisatorischen Aufwand bedeutet.
Kostensteigerungen und wirtschaftlicher Druck
Neben Sanierungs- und Personalkosten leiden viele Schwimmbäder unter explodierenden Betriebsausgaben. Die Energiekosten haben sich in den vergangenen drei Jahren teils verdoppelt. Gleichzeitig sinken die Besucherzahlen, was die Einnahmeseite belastet. Bereits jetzt planen 35 Prozent der kommunalen Schwimmbäder eine Erhöhung der Eintrittspreise für 2025.
Doch selbst damit lassen sich die Kosten nicht decken: Über 70 Prozent der Betreiber gehen davon aus, dass sich ihre finanzielle Lage in den kommenden fünf Jahren weiter verschlechtern wird. 16 Prozent ziehen laut Branchenumfragen eine dauerhafte Schließung in Betracht.
Innovative Konzepte und nachhaltige Lösungen
Einige Regionen gehen inzwischen neue Wege. So werden bei Neu- oder Umbauten zunehmend ökologische Aspekte in den Fokus gerückt. Im niedersächsischen Osterode wurde das ALOHA-Bad nach einer vierjährigen Umbauphase im März 2025 wiedereröffnet. Das Besondere: Beheizt wird das Becken mit Geothermie, zudem sorgt eine intelligente Lichtsteuerung für Einsparungen beim Stromverbrauch.
Auch im Harzgeröder Neubauprojekt fließt Nachhaltigkeit mit ein: Die Heiztechnik soll Abwärme aus einem benachbarten Energiepark nutzen. Solche Modelle könnten zum Vorbild für weitere Projekte werden – sofern ausreichend Fördermittel zur Verfügung stehen.
Schwimmbäder als soziale Orte
Abseits von Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit darf eines nicht vergessen werden: Schwimmbäder sind nicht nur Sportstätten, sondern auch soziale Orte. Für viele Kinder und Jugendliche ist das örtliche Bad der einzige erreichbare Freizeitort. Senioren nutzen es für Reha-Angebote oder zur Gesundheitsförderung. Familien verbringen hier gemeinsame Zeit, Vereine trainieren den Nachwuchs, Schwimmkurse retten Leben.
Jede Schließung bedeutet auch den Verlust eines öffentlichen Raums, der generationenübergreifend wirkt. Die soziale Bedeutung von Schwimmbädern wird in Debatten oft unterbewertet – dabei ist sie ein zentrales Argument für deren Erhalt.
Fazit: Ohne strukturelle Änderungen keine nachhaltige Lösung
Die Krise der Schwimmbäder in Sachsen-Anhalt – und besonders im Harz – ist ein Spiegelbild kommunaler Infrastrukturprobleme in ganz Deutschland. Sanierungsstau, Fachkräftemangel, Energiekrise und bürokratische Hürden treffen aufeinander und bedrohen eine öffentliche Einrichtung, die weit mehr ist als ein Freizeitangebot.
Es braucht neue Finanzierungsmodelle, vereinfachte Förderverfahren, gezielte Ausbildungsinitiativen für Fachkräfte und innovative Energie- und Nutzungskonzepte, um die Zukunft der Bäder zu sichern. Ohne ein strategisches Umdenken auf Landes- und Bundesebene wird sich der negative Trend fortsetzen – mit Folgen für Gesundheit, Bildung und gesellschaftliches Leben.
Überblick: Fakten zur Lage der Schwimmbäder in Sachsen-Anhalt
Aspekt | Zahl / Status |
---|---|
Sanierungsbedarf (gesamt) | über 148 Mio. Euro |
Aktive Sanierungsprojekte seit 2022 | 13 von über 100 Bädern |
Fördersumme Landesprogramm | 500.000 Euro |
Unbesetzte Stellen in Bädern (Mai 2024) | ca. 50 % |
Geplante Preiserhöhungen 2025 | 35 % der Bäder |
Schließungsgefahr laut Prognose | 16 % der Betreiber |
Die Diskussion um die Zukunft der Schwimmbäder ist damit nicht nur ein kommunalpolitisches Thema – sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wie viele Becken in Zukunft noch gefüllt sein werden, hängt davon ab, ob alle Beteiligten jetzt entschlossen handeln.