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Vom tropischen Meer zum Granitmassiv Die wahre Geschichte des Harzes: So entstand das Mittelgebirge wirklich

Frühnebel hängt über den dichten Wäldern, feine Tropfen perlen an den knorrigen Zweigen. Wer heute über die Höhenzüge des Harzes blickt, ahnt kaum, dass hier einst ein tropisches Meer rauschte, Korallenriffe wuchsen und tektonische Kräfte gewaltige Gesteinsmassen aufeinanderpressten. Das Mittelgebirge, das heute als Herz Mitteldeutschlands gilt, ist das Ergebnis von Hunderten Millionen Jahren geologischer Bewegung, Erosion und klimatischer Umbrüche.

Ein Blick tief in die Erdgeschichte

Die Entstehung des Harzes begann lange bevor Menschen überhaupt existierten. Vor rund 400 Millionen Jahren lag das Gebiet, das wir heute als Harz kennen, unter einem urzeitlichen Meer. Hier sammelten sich Sedimente aus Ton, Sand und Kalk – Schichten, die später unter Druck und Hitze zu Tonschiefer, Grauwacke und Kalkstein wurden. Der Geologe R. Linnemann beschreibt den Harz in aktuellen Fachpublikationen als geologisches „Fenster“ in die Vergangenheit, durch das wir bis zu den Kontinentalbewegungen von „Cadomia“ und „Avalonia“ zurückblicken können – zwei uralte Landmassen, deren Kollision den Grundstein für Mitteleuropas Gebirge legte.

Etwa 350 Millionen Jahre vor unserer Zeit, im Oberkarbon, begannen sich die Sedimentschichten zu falten. Diese Phase wird als variszische Gebirgsbildung bezeichnet. Gewaltige Kräfte drückten die Gesteinsschichten zusammen, Granite stiegen als Magma aus der Tiefe auf und erstarrten langsam im Untergrund. Diese Granitkörper – sogenannte Plutone – bilden bis heute den massiven Kern des Oberharzes. In dieser Zeit entstand die sogenannte „Harzschwelle“, ein erster Gebirgszug, der aus dem umgebenden Land hervorstieg.

Vom tropischen Meer zum Hochgebirge

Die Region war damals Teil eines weitläufigen Gebirgsgürtels, vergleichbar mit dem heutigen Himalaya. Durch Erosion und Klimaeinflüsse wurden die Spitzen über Millionen Jahre wieder abgetragen. Die Reste dieses Urgebirges bilden das, was wir heute als Grundgerüst des Harzes sehen. Im Verlauf der Erdgeschichte kam es zu mehreren tektonischen Ruhephasen, in denen sich neue Sedimente ablagerten. Doch das Gleichgewicht blieb nie lange bestehen.

Die zweite Hebung: Die Kreidezeit formt den Harz neu

Während der Kreidezeit – vor etwa 80 bis 70 Millionen Jahren – wurde der Harz erneut von geologischer Aktivität erfasst. Entlang der Harznordrandverwerfung hob sich der gesamte Harz-Block um bis zu sieben Kilometer an. Diese tektonische Verschiebung ist bis heute an den markanten Felswänden des Nordharzes sichtbar. Der Geologe Hetzel beschreibt diesen Prozess als „eine der intensivsten Hebungsphasen Mitteleuropas“. Dabei schob sich der Harz über jüngere Gesteinsschichten, die in der Folge teilweise geneigt oder sogar umgestülpt wurden – ein Phänomen, das Besucher noch heute an geologischen Aufschlüssen wie der Teufelsmauer bei Weddersleben erkennen können.

Formung durch Wasser, Wind und Zeit

Nach dieser Hebung begann eine Phase massiver Erosion. Im Tertiär – also vor etwa 65 Millionen Jahren – herrschte in Mitteleuropa ein subtropisches Klima. Starke Regenfälle, wechselnde Flussläufe und Verwitterung prägten die Landschaft. Harte Granite blieben als Höhenzüge bestehen, weichere Schiefer- und Kalkschichten wurden abgetragen. So entstanden Täler, Hochflächen und Schluchten, die das Relief des heutigen Harzes bestimmen.

Neuere geomorphologische Studien, wie die Arbeiten von Diercks et al. (2021) und Hetzel et al. (2024), belegen, dass die Erosion bis heute andauert. Mit Hilfe von ¹⁰Be-Messungen konnten Wissenschaftler feststellen, dass die Oberflächen des Harzes jährlich um wenige Millimeter abgetragen werden. Je nach Hangneigung variiert die Erosionsrate zwischen 24 ± 2 mm und 55 ± 3 mm pro tausend Jahre. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Gebirgslandschaft alles andere als statisch ist – sie verändert sich, wenn auch in Zeiträumen, die menschliche Wahrnehmung kaum erfassen kann.

Die Frage nach dem „Wann“: Letzte große Hebungsphase

Viele Interessierte fragen sich, wann die letzte große Hebung des Harzes stattfand. Geologen datieren diese Phase klar in die späte Kreidezeit, als durch tektonische Spannungen der Harzblock entlang seiner Nordkante emporgehoben wurde. Seitdem bestimmen langsame, aber stetige Kräfte von Erosion, Verwitterung und Klimaschwankungen die Form des Gebirges. Das Relief, das wir heute kennen – mit seinen abgerundeten Gipfeln, Granitklippen und tief eingeschnittenen Tälern – ist also das Ergebnis eines unaufhörlichen Zusammenspiels von Auf- und Abtragung.

Ein Gebirge mit vielen Gesichtern

Wer den Harz heute besucht, begegnet einer Landschaft im Wandel. Nicht nur die geologische Geschichte, auch die ökologische Gegenwart erzählt von Veränderung. Nach Jahrhunderten intensiver Nutzung für Bergbau und Holzgewinnung ist der Harz geprägt von menschlichem Einfluss. In Foren und sozialen Medien wird häufig darüber diskutiert, wie stark der Wald leidet. Nutzer auf Reddit beschreiben ganze Berghänge als „postapokalyptisch“, nachdem Borkenkäfer und Trockenheit die großflächigen Fichtenwälder zerstört haben.

Historisch gesehen sind diese Monokulturen allerdings kein natürliches Phänomen. Über Jahrhunderte wurden die ursprünglichen Mischwälder abgeholzt, um Holz für Bergwerke, Schmieden und den Wiederaufbau nach Kriegen bereitzustellen. Schnellwachsende Fichten wurden als Ersatz gepflanzt – doch sie erwiesen sich als anfällig für Sturm, Trockenheit und Schädlinge. Die Forstinitiative „Der Wald ruft“ bezeichnet diesen Wandel als eine „zweite Entstehungsphase des Harzes“, in der aus menschengemachter Krise langfristig neue, stabilere Ökosysteme entstehen könnten.

Das geologische Gedächtnis des Harzes

Die Gesteinsvielfalt des Harzes spiegelt diese lange Entwicklung wider. Granite, Diabase, Grauwacken und Schiefer erzählen von urzeitlichen Meeren, Gebirgsbildungen und vulkanischen Aktivitäten. Besonders im Oberharz dominiert der Brocken-Pluton – ein gewaltiger Granitkörper, der einst tief im Erdinneren schmolz und langsam auskristallisierte. Im Gegensatz dazu stehen die sanfteren Landschaften des Unterharzes, in denen Kalkstein und Schiefer häufig sind und die an die früheren Meeresablagerungen erinnern.

Diese Gesteinsstrukturen sind nicht nur Zeugnisse der Vergangenheit, sondern auch wertvolle Informationsquellen für die Forschung. Geologen können an ihnen die Bewegungen uralter Kontinentalplatten nachvollziehen. So zeigt etwa die Verteilung der Granit- und Metamorphitgesteine, dass der Harz einst Teil eines viel größeren Gebirgssystems war, das sich von den heutigen Ardennen bis nach Polen erstreckte.

Geologische Hauptphasen der Harzentstehung

Zeitraum Geologische Aktivität Ergebnis
Devon (vor 400 Mio. Jahren) Ablagerung mariner Sedimente Bildung von Schiefer und Kalkstein
Oberkarbon (350 Mio. Jahre) Variszische Gebirgsbildung Faltung, Granitintrusionen, metamorphe Gesteine
Kreidezeit (80–70 Mio. Jahre) Hebung entlang der Harznordrandverwerfung Bildung des heutigen Harz-Blocks
Tertiär bis Quartär Erosion, Verwitterung, Flussumlagerungen Formung der Hochflächen und Täler

Wissenschaft und Wahrnehmung: Der Harz als Forschungsgebiet

In jüngeren Jahren haben sich zahlreiche internationale Forschungsteams dem Harz gewidmet. Wissenschaftler der Universitäten Göttingen und Hamburg untersuchen mithilfe modernster Methoden, wie Hebung, Erosion und Klima zusammenwirken. In der Studie „Millennial-scale erosion rates in the Harz Mountains“ zeigen sie, dass das Gebirge über Jahrtausende hinweg erstaunlich stabil blieb – aber dennoch in langsamen Zyklen erodiert. Diese Erkenntnisse sind nicht nur geologisch relevant, sondern auch für den Umgang mit Wasser, Boden und Vegetation von Bedeutung.

Parallel dazu erforschen Sozialwissenschaftler, wie Menschen den sichtbaren Wandel im Harz erleben. Eine Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2025 zeigt, dass viele Besucher den Zustand der Wälder mit Sorge betrachten, ihn aber zugleich als Chance für einen naturnäheren Neuanfang sehen. Emotion und Geologie treffen hier aufeinander – der Harz bleibt ein Symbol für Wandel, Beständigkeit und die Macht der Natur.

Ein Gebirge, das sich ständig neu erfindet

Die Geschichte des Harzes ist die Geschichte von Bewegung, Wandel und Wiederkehr. Vom tropischen Meeresboden über Gebirgsketten bis hin zu den heutigen Hochflächen – kaum ein anderes deutsches Mittelgebirge zeigt so deutlich, wie lebendig die Erde ist. Seine Gesteine speichern Hitze, Druck und Zeit in mikroskopischen Strukturen. Seine Täler erzählen von Wasser und Wind, seine Wälder von menschlichem Eingriff und Naturgewalt.

Heute, da Klimawandel und Waldsterben neue Herausforderungen bringen, erlebt der Harz erneut eine Phase der Transformation – eine, die an seine tiefsten Ursprünge erinnert. Geologisch betrachtet war der Harz nie fertig, und das wird er wohl auch nie sein. Seine Landschaft bleibt ein offenes Kapitel in der langen Chronik der Erde – beständig im Wandel, gewaltig in ihrer Geschichte und voller Zeugnisse einer Zeit, die weit vor uns begann.

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Über den Autor

Berichte und Artikel

Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.