
Im Naturdenkmal „Trog“ am Rande des Harzes wurde das erste genetische Erhaltungsgebiet Deutschlands eingerichtet. Damit beginnt eine neue Ära des Naturschutzes, die nicht nur die Artenvielfalt stärkt, sondern auch direkte Bedeutung für die Landwirtschaft von morgen hat.
Ein Schutzgebiet mit strategischer Bedeutung
Mitten im Landkreis Harz, nahe Quedlinburg, ist ein besonderes Stück Natur ins Zentrum der wissenschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt. Auf einer Fläche von rund 25 Hektar wurde dort das erste genetische Erhaltungsgebiet für sogenannte „Wilde Verwandte von Kulturpflanzen“ (WEL) in Deutschland ausgewiesen. Der Standort trägt nicht nur zur Sicherung gefährdeter Wildpflanzen bei, sondern ist Teil einer größeren Strategie, um die genetische Vielfalt der Agrarlandschaft zu sichern.
Genetische Erhaltungsgebiete dienen dazu, Pflanzenarten in ihrem natürlichen Lebensraum zu erhalten – in situ –, anstatt sie lediglich in Samenbanken zu lagern. Der Standort im Harz gilt als Vorreiter: Bundesweit sollen in den kommenden Jahren etwa 60 solcher Gebiete eingerichtet werden, koordiniert durch das Julius-Kühn-Institut (JKI) im Rahmen des Projekts „IsWEL“.
Warum genetische Vielfalt wichtig ist
Die genetische Basis unserer Kulturpflanzen schrumpft. Durch jahrzehntelange Züchtung und Monokulturen wurden viele genetische Merkmale ausgemerzt, die einst für Widerstandskraft gegen Schädlinge, Klimaresilienz oder Nährstoffvielfalt sorgten. Genau hier setzen die genetischen Erhaltungsgebiete an.
Was bedeutet ein genetisches Erhaltungsgebiet im Harz?
Es handelt sich um ein gezielt ausgewiesenes Areal, in dem genetisch wertvolle Wildpflanzen in ihrem natürlichen Habitat geschützt, beobachtet und dokumentiert werden. Die dort vorkommenden Arten sind von besonderer Bedeutung für künftige Züchtungsprogramme in der Landwirtschaft.
Die Pflanzenstars im Naturdenkmal „Trog“
Im Fokus des Schutzgebiets stehen 18 Wildpflanzenarten, die eng mit unseren Kulturpflanzen verwandt sind. Zu ihnen zählen die Wilde Möhre, Gemeiner Spargel, Sand-Thymian, Furchen-Schwingel oder die Vogel-Wicke. Diese Pflanzen sind nicht nur botanisch interessant, sondern potenziell wertvoll für zukünftige Züchtungen.
Welche Pflanzenarten sind im ersten genetischen Erhaltungsgebiet im Harz enthalten?
Die Liste der im Schutzgebiet vorkommenden Arten umfasst Wildformen, die als genetisches Reservoir dienen können. Besonders die Wilde Möhre gilt als genetischer Schlüssel für klimaangepasste Karottensorten.
Wildpflanze | Möglicher Nutzen |
---|---|
Wilde Möhre | Resistenz gegen Krankheiten, höhere Toleranz gegenüber Trockenheit |
Gemeiner Spargel | Genetische Quelle für Aroma- und Wuchsformen |
Sand-Thymian | Inhaltsstoffe mit medizinischer Relevanz |
Furchen-Schwingel | Verbesserung der Winterhärte bei Futtergräsern |
Vogel-Wicke | Stickstoffbindung, genetisches Potenzial für Futtermittelzüchtung |
Naturschutz trifft Landwirtschaft: Eine neue Allianz
Das neue Schutzgebiet ist Teil einer langfristigen Strategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Das Ziel: Eine neue Biodiversitätsreserve schaffen, um auf klimatische, ökologische und agrarische Herausforderungen reagieren zu können. Die Wildpflanzen dort gelten als genetische Reserve für künftige Kulturpflanzen, besonders im Hinblick auf den Klimawandel.
Wer betreibt das genetische Erhaltungsgebiet im Harz?
Das Projekt wird durch das Julius-Kühn-Institut koordiniert und gemeinsam mit regionalen Hochschulen, Naturschutzbehörden und privaten Akteuren wie Schäfern umgesetzt. Eine enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis ist das Rückgrat des Erfolgs.
Die Rolle der Schafe – Naturpflege mit Tradition
Ein entscheidender Faktor für den Erhalt des offenen Landschaftsbildes im „Trog“ ist die Beweidung durch Schafe. Schäfer Dietmar Festerling sorgt mit seiner Herde dafür, dass die typischen Biotopstrukturen erhalten bleiben. Offene Bodenstellen, die durch Tritt und Fraß der Tiere entstehen, fördern die Vermehrung der Wildpflanzen auf natürliche Weise.
Wie wird das genetische Erhaltungsgebiet im Harz gepflegt?
Neben Monitoring und Kartierung spielt die extensive Beweidung eine zentrale Rolle. Sie verhindert die Verbuschung, unterstützt die natürliche Ausbreitung der Zielarten und erhält ein artenreiches Landschaftsmosaik.
Hintergrundwissen: Von Genbanken zu lebendigen Landschaften
Bisher galt die Arbeit von Genbanken als wichtigste Maßnahme zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen. Doch diese bieten nur eine statische Momentaufnahme. In natürlichen Habitaten evolvieren Pflanzen weiter, passen sich laufend an Umweltveränderungen an – ein dynamischer Prozess, den Genbanken nicht leisten können. Genetische Erhaltungsgebiete setzen genau hier an: Sie verbinden Schutz und Weiterentwicklung.
Das IsWEL-Projekt orientiert sich an internationalen Konzepten wie GenResIS und AEGRO, die bereits in mehreren europäischen Ländern umgesetzt wurden. Deutschland zieht mit dem Harzer Modell nach.
Neue Perspektiven aus der Bevölkerung
Auch in sozialen Medien und Foren stößt das Thema auf Interesse. In Fachforen wie r/foraging oder deutschen Wandergruppen wird das Sammeln von Wildpflanzen teils kritisch gesehen – insbesondere wegen der Verwechslungsgefahr mit giftigen Arten wie dem Schierling. Gleichzeitig zeigt sich ein wachsendes Interesse an Wildpflanzenwissen und Citizen Science.
Was muss man beim Sammeln wilder Möhren beachten?
Die Wilde Möhre kann leicht mit dem hochgiftigen Schierling verwechselt werden. Deshalb raten Expert:innen, auf das Sammeln zu verzichten, wenn keine absolute Sicherheit bei der Bestimmung besteht.
Tourismus und Schutz: Eine Herausforderung im Harz
Der Harz ist eine beliebte Urlaubsregion mit ausgeprägtem Wandertourismus. Die zunehmende Freizeitnutzung stellt Schutzgebiete vor besondere Herausforderungen. Wanderwege, Mountainbikerouten und Pilzsammler können empfindliche Pflanzengesellschaften stören oder unbeabsichtigt schädigen. Die Abgrenzung von Schutzzonen und Aufklärung der Öffentlichkeit sind daher zentrale Aufgaben für die kommenden Jahre.
Welche Ziele verfolgt das Projekt „IsWEL“ im Harz und bundesweit?
Neben dem Schutz genetischer Ressourcen im Harz will das IsWEL-Projekt deutschlandweit bis zu 60 Hotspots sichern. Dabei geht es nicht nur um den Artenschutz, sondern um Ernährungssicherheit, Züchtungspotenzial und Klimaanpassung.
Statistik: Der Stand der Dinge
- 1 genetisches Erhaltungsgebiet im Harz („Trog“)
- 18 dokumentierte Zielarten mit agrarischer Relevanz
- 60 Gebiete bundesweit geplant (Stand 2025)
- Kooperation mit 3 Hochschulen und über 10 Fachinstitutionen
Citizen Science: Wissen wächst durch Teilhabe
Die Beteiligung der Bevölkerung ist ausdrücklich gewünscht. Durch Bildungsangebote, Exkursionen und digitale Beteiligungsformen wie Apps und Fotodokumentationen können Bürger:innen aktiv zum Monitoring beitragen. Projekte wie #WildCarrotHarz zeigen, dass moderne Kommunikation auch im Naturschutz eine bedeutende Rolle spielt.
Experten betonen: „Wir brauchen die Bevölkerung als Mitwisser, nicht nur als Besucher.“ Gerade in Zeiten von Biodiversitätsverlust und Klimawandel könne jeder Beitrag zählen – sei es durch das Melden seltener Funde, die Pflege von Flächen oder durch politische Unterstützung.
Abschlussgedanken: Ein Modell für ganz Deutschland
Mit dem genetischen Erhaltungsgebiet im Harz beginnt ein neues Kapitel des Naturschutzes – eines, das tief mit der Zukunft unserer Landwirtschaft, unserer Ernährung und unserer Biodiversität verbunden ist. Die Bedeutung solcher Gebiete geht weit über den Schutz einzelner Pflanzenarten hinaus. Sie eröffnen Räume für wissenschaftliche Forschung, praktische Landwirtschaft und gesellschaftliche Teilhabe.
Wenn sich das Modell bewährt – durch fundierte Pflege, breite Unterstützung und politische Verankerung – könnten ähnliche Gebiete bundesweit zum Rückgrat einer nachhaltigen Agrarstrategie werden. Der Harz hat den Anfang gemacht. Jetzt kommt es darauf an, wie viele andere Regionen folgen werden.