
Stadt Goslar zieht Konsequenzen aus zunehmender Gefahr
Die Stadtverwaltung teilte mit, dass der Friedhof Hildesheimer Straße ab sofort jede Nacht von 18 Uhr bis 9 Uhr morgens gesperrt bleibt. Diese Maßnahme soll verhindern, dass Besucher in Kontakt mit Wildschweinen geraten, die in den letzten Wochen mehrfach auf dem Gelände gesichtet wurden. In einer offiziellen Mitteilung betonte die Stadt, dass während der Sperrzeiten auch der Einsatz von Schusswaffen möglich sei. Entsprechend wurde der Zutritt für die Öffentlichkeit strikt untersagt.
Die Entscheidung fiel nach mehreren Vorfällen, bei denen Wildschweine die Böden aufgewühlt, Pflanzen beschädigt und sogar Gräber in Mitleidenschaft gezogen hatten. Laut Stadtsprecherin handelt es sich nicht um eine kurzfristige Reaktion, sondern um eine „gezielte Gefahrenabwehrmaßnahme“, die auf einer umfassenden Bewertung der Situation beruht. Warnschilder wurden am Eingang angebracht, um auf die akute Lebensgefahr hinzuweisen.
Koordinierte Maßnahmen mit Forst und Jagd
Parallel zur Sperrung wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt, an dem Fachstellen aus Forst, Jagd und öffentlicher Sicherheit beteiligt sind. Bürgerinnen und Bürger können über eine eigens eingerichtete E-Mail-Adresse Beobachtungen zu Wildschweinaktivitäten melden. Die Stadt betont jedoch, dass diese Meldungen ausschließlich der Information dienen und keine Schadensmeldungen ersetzen. Zusätzlich ist eine Informationsveranstaltung geplant, um Anwohner über Risiken und Präventionsmaßnahmen zu informieren.
In einer begleitenden Stellungnahme heißt es, die Problematik sei „kein lokales Einzelereignis, sondern Teil einer landesweiten Entwicklung“. Tatsächlich berichten zahlreiche Kommunen in Niedersachsen von einer Zunahme der Wildschweinpopulation in städtischen Gebieten.
Warum die Gefahr so ernst genommen wird
Nach Angaben des Niedersächsischen Landesjagdverbands ist die Bejagung von Schwarzwild grundsätzlich ganzjährig erlaubt, sofern Sicherheitsvorgaben und der Schutz von Muttertieren eingehalten werden. Damit verfügt die Stadt Goslar über eine rechtliche Grundlage, gezielt auf akute Gefahrenlagen zu reagieren. Der mögliche Einsatz von Schusswaffen auf einem Friedhof klingt drastisch – wird aber von Fachleuten als „ultima ratio“ bezeichnet, wenn herkömmliche Maßnahmen nicht mehr greifen.
„Wildschweine können besonders in der Dämmerung und nachts unberechenbar reagieren“, erklärt ein Sprecher des Forstamts Clausthal. „Wenn Menschen sie überraschen oder Jungtiere in der Nähe sind, kommt es leicht zu Angriffen.“ Das Risiko sei real, insbesondere auf unübersichtlichen Flächen wie einem Friedhof.
Hintergrund: Warum Wildschweine immer häufiger in Städte vordringen
Wissenschaftliche Untersuchungen des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung zeigen, dass sich Wildschweine zunehmend an das Leben in urbanen Räumen anpassen. In Städten wie Berlin oder Hannover finden sie nicht nur reichlich Nahrung – etwa durch Müll oder Kompost –, sondern auch Schutz vor natürlichen Feinden. Genetische Analysen belegen sogar Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Populationen. Diese Entwicklung gilt inzwischen europaweit als stabiler Trend.
Eine Schweizer Studie der ZHAW kommt zu ähnlichen Ergebnissen: In dicht besiedelten Gebieten wirken klassische Jagdmethoden nur begrenzt. Erfolgversprechend seien Kombinationen aus akustischen Abschrecksystemen und gezielter Bejagung an definierten Punkten – ein Ansatz, den auch Goslar derzeit prüft.
Stimmen aus der Region: Angst, Ärger und Verständnis
In den sozialen Medien diskutieren viele Bürger über die Sperrung. Während einige Verständnis zeigen („Sicherheit geht vor – lieber kurz gesperrt als ein Unfall“), äußern andere Unmut über die Einschränkungen. Auf der Facebook-Seite der Stadt Goslar schreiben Anwohner von zerstörten Gärten, durchwühlten Vorgärten und nächtlichen Sichtungen. In einem Kommentar heißt es: „Ich habe noch nie so viele Wildschweine mitten im Ort gesehen – das ist kein Spaß mehr.“
Besonders alarmierend ist ein Vorfall aus dem benachbarten St. Andreasberg, wo Medienberichte von einem tödlichen Angriff eines Wildschweins sprechen. Auch in Braunlage sollen laut Schätzungen des Landkreises bis zu 30 Tiere regelmäßig durch die Straßen ziehen. Diese Vorfälle verstärken den Druck auf Behörden, rasch zu handeln.
Fragen der Bürger – Antworten der Behörden
Viele Goslarer wollten wissen, ob Beerdigungen trotz der Sperrung weiterhin stattfinden dürfen. Die Stadt stellte klar, dass Bestattungen möglich bleiben, sofern sie in Begleitung der Verwaltung stattfinden. Auch wurde betont, dass die Maßnahme zunächst befristet gilt – eine Aufhebung erfolgt, sobald keine Gefahr mehr besteht.
Darüber hinaus wurde eine Allgemeinverfügung erlassen, die das Füttern von Wildschweinen verbietet. Offene Mülltonnen und Kompoststellen müssen gesichert werden, Verstöße können mit Bußgeldern bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Damit soll verhindert werden, dass Tiere weiter in Siedlungsnähe gelockt werden.
Schäden und wirtschaftliche Folgen
Nach Schätzungen aus landwirtschaftlichen Studien können Wildschweine auf Grünflächen Schäden in Höhe von mehreren Tausend Euro pro Hektar verursachen. Neben zerstörten Rasenflächen auf Friedhöfen entstehen auch Kosten für Wiederbepflanzungen und Sicherheitsmaßnahmen. Schon im Vorjahr musste der Friedhof Hildesheimer Straße vorübergehend geschlossen werden – damals wegen ähnlich massiver Verwüstungen.
Ausblick: Wie es in Goslar weitergeht
Die Stadtverwaltung kündigte an, die Lage fortlaufend zu beobachten und in enger Abstimmung mit Forst und Polizei über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Ob die nächtliche Sperrung von Dauer sein wird, hängt davon ab, ob die Tiere zurückkehren. Ziel sei, die Sicherheit für Besucher dauerhaft wiederherzustellen, ohne den Friedhof langfristig unzugänglich zu machen.
„Wir verstehen die Sorge vieler Bürger, aber Sicherheit hat Vorrang“, so die Stadtsprecherin. „Sobald sich die Situation stabilisiert, wird die Sperrung aufgehoben.“
Ein Ort der Ruhe im Ausnahmezustand
Der Friedhof, sonst ein Ort der Stille, ist derzeit Symbol für ein wachsendes Problem: die schwindende Grenze zwischen Wildnis und Stadt. Was in Goslar geschieht, steht stellvertretend für viele Regionen Deutschlands, in denen Mensch und Tier immer enger zusammenrücken. Bleibt zu hoffen, dass aus dieser Begegnung keine dauerhafte Konfrontation wird – sondern ein besseres Verständnis dafür, wie empfindlich das Gleichgewicht zwischen Natur und Stadtleben geworden ist.







