Wernigerode

Misshandlung von Schutzbefohlenen Widersprüchliche Aussagen im Kita-Prozess in Wernigerode

Wernigerode, 6. November 2025 – Es ist still im Sitzungssaal, als die ehemalige Erzieherin der Kita „Musikus“ den Raum betritt. Keine Regung, kein Blick in die Zuschauerreihen. Vor ihr: Richterin Heike Hennig, hinter ihr: Wochen der Schlagzeilen und der Angst. Was in der kleinen Harzstadt geschehen sein soll, erschüttert viele Familien – und spaltet die Wahrnehmung von Kollegen, Eltern und Öffentlichkeit gleichermaßen.

Vorwürfe und Ermittlungen

Vor dem Jugendschöffengericht in Wernigerode muss sich eine 40-jährige Erzieherin verantworten, der schwere Vorwürfe gemacht werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Halberstadt soll sie in mehreren Fällen Kleinkinder – teilweise unter drei Jahren – körperlich und seelisch misshandelt haben. Der Zeitraum der mutmaßlichen Taten reicht laut Akten von März bis September 2023.

Betroffen sind drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge. Ihnen soll die Angeklagte unter anderem den Kopf in Kissen gedrückt, sie herumgezerrt oder durch die Luft geworfen haben. In mehreren Fällen seien auch beleidigende oder rassistische Bemerkungen gefallen – etwa „Na, du fettes Schwein“ oder „Hexe“. Eine frühere Kollegin berichtet: „Ich war neu in der Einrichtung und hatte Angst vor ihr. Ich leide heute noch darunter, dass ich nicht früher etwas unternommen habe.“

Wir – der Herzer-Roller – berichteten bereits hier:

 

Der Prozessverlauf: Zwischen Aussage und Erinnerung

Im Gerichtssaal prallen unterschiedliche Schilderungen aufeinander. Während einige Zeugen erschütternde Szenen beschreiben, zeichnen andere ein weniger drastisches Bild der Angeklagten. Diese selbst schweigt bislang zu den Vorwürfen und zeigt – so mehrere Beobachter – kaum Regung. Das Gericht muss nun prüfen, inwieweit die einzelnen Aussagen übereinstimmen und ob sich aus ihnen eine eindeutige Beweislage ergibt.

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Die Stadt Wernigerode, Trägerin der Kita „Musikus“, hatte den Fall im Herbst 2023 angezeigt, nachdem erste Hinweise auf Fehlverhalten bekannt wurden. Die Beschuldigte wurde daraufhin sofort freigestellt. Eine interne Überprüfung ergab, dass es zuvor bereits Spannungen im Team gegeben haben soll. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft führten schließlich zur Anklage nach § 225 StGB – „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ –, die im schwersten Fall Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vorsieht.

Warum Verfahren in solchen Fällen oft so lange dauern

Die Verzögerungen des Prozesses haben in sozialen Netzwerken für Kritik gesorgt. Eltern beklagten, dass sie lange im Unklaren gelassen wurden. Fachleute erklären, dass Verfahren dieser Art häufig Monate oder gar Jahre dauern. Kleinkinder sind in der Regel nicht vernehmungsfähig, sodass das Gericht auf Zeugenaussagen, pädagogische Dokumentationen und psychologische Gutachten angewiesen ist – ein aufwendiger und sensibler Prozess.

Kindeswohlgefährdung in Deutschland: Zahlen und Dimensionen

Laut dem Statistischen Bundesamt meldeten die Jugendämter im Jahr 2021 rund 67.700 Fälle von Kindeswohlgefährdung – ein weiterhin hoher Wert. Studien belegen, dass emotionale und körperliche Misshandlung keine Einzelfälle sind: 2,6 Prozent der Befragten in einer bundesweiten Untersuchung berichteten von schwerer seelischer Gewalt in der Kindheit, 3,3 Prozent von körperlicher Misshandlung. Auch in Betreuungseinrichtungen kommen Übergriffe vor, wie eine internationale Review-Studie bestätigt: Besonders gefährdet sind Kinder unter drei Jahren, die sich sprachlich kaum wehren können.

In Wernigerode beschäftigt dieser Aspekt viele Eltern: Wie lässt sich verhindern, dass so etwas erneut geschieht? Pädagogen betonen, dass Prävention und Supervision entscheidend seien. Regelmäßige Schulungen, interne Beschwerdewege und eine Kultur des Hinschauens können dazu beitragen, Missbrauch und Übergriffe frühzeitig zu erkennen.

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Die Stimmen aus der Bevölkerung

In den Kommentarspalten der Lokalzeitungen wird deutlich, wie emotional das Thema ist. „Wann wird endlich Klarheit geschaffen?“, fragt eine Mutter öffentlich. Andere fordern strengere Kontrollen und mehr Transparenz von Kita-Trägern. Auch Erzieherinnen und Erzieher selbst äußern sich: Viele fühlen sich durch die öffentliche Debatte pauschal unter Generalverdacht gestellt, wünschen sich aber klare Standards im Umgang mit Beschwerden und Teamkonflikten.

Reaktion der Stadt und der Einrichtung

Die Stadtverwaltung Wernigerode hat bereits angekündigt, das Schutzkonzept in ihren Einrichtungen zu überprüfen. Nach Angaben aus dem aktuellen Kita-Leitfaden steht das Ziel eines „gewaltfreien Erfahrungsfeldes“ im Mittelpunkt. Geplant sind zusätzliche Fortbildungen zur Gewaltprävention sowie regelmäßige Supervisionsgespräche für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Rechtlicher Hintergrund und mögliche Konsequenzen

Die Anklage wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen ist juristisch komplex. Neben körperlicher Gewalt können auch seelische Misshandlungen oder Demütigungen strafbar sein. Entscheidend ist, ob die Angeklagte ihre Schutzpflicht gegenüber den Kindern verletzt hat. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass die Vorwürfe zutreffen, droht eine empfindliche Freiheitsstrafe – und ein dauerhaftes Berufsverbot im Erziehungswesen.

Der Prozess vor dem Jugendschöffengericht wird voraussichtlich mehrere Verhandlungstage umfassen. Dabei werden neben Kolleginnen auch Eltern und pädagogische Gutachter gehört. Die öffentliche Aufmerksamkeit bleibt groß, nicht zuletzt wegen der gesellschaftlichen Bedeutung des Falls: Er steht exemplarisch für die Frage, wie sicher Kinder in frühpädagogischen Einrichtungen tatsächlich sind.

Ein Verfahren, das weit über Wernigerode hinausweist

Der Fall der Erzieherin aus Wernigerode geht über die Grenzen der Stadt hinaus. Er macht sichtbar, wie sensibel der Alltag in Kitas ist, wie viel Vertrauen Eltern täglich in Fachkräfte legen – und wie tief der Bruch sein kann, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird. Unabhängig vom Urteil hat der Prozess bereits jetzt Folgen: Er zwingt Träger, Politik und Fachverbände, über bessere Strukturen, Transparenz und Schutzmaßnahmen nachzudenken. Denn jede Kita, so heißt es in der Leitlinie der Stadt, soll ein Ort sein, „an dem Kinder sicher, geborgen und respektiert aufwachsen“ können.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.