
Wernigerode, 4. November 2025. Die Nacht war still, nur das Zischen einer Spraydose durchbrach die Dunkelheit am Hauptbahnhof von Wernigerode. Zwei junge Silhouetten arbeiteten hastig an der Tunnelwand, als plötzlich Taschenlampenstrahlen aufflackerten – Sekunden später stand die Bundespolizei vor ihnen.
Bundespolizisten überraschen Jugendliche am Bahnhof Wernigerode
In der Nacht zum 2. November 2025 stellten Beamte der Bundespolizeiinspektion Magdeburg zwei Jugendliche am Hauptbahnhof Wernigerode auf frischer Tat. Gegen 0:05 Uhr bemerkte eine Streife zwei dunkel gekleidete Gestalten im Bereich des Tunnels am Ausgang Feldstraße. Die jungen Täter – beide 15 Jahre alt – waren mit Sturmhauben maskiert und gerade dabei, ein rund vier Quadratmeter großes Graffiti an die Betonwand zu sprühen.
Als sie die Polizei erkannten, nahmen sie ihre Masken ab und stoppten. Die Beamten reagierten sofort, stellten die Identität fest und sicherten umfangreiche Beweismittel: Fünf Spraydosen, drei sogenannte „Dripsticks“, zwei Mobiltelefone sowie eine Skizzenvorlage des geplanten Schriftzugs wurden beschlagnahmt. Nach Abschluss der Maßnahmen übergab die Polizei die Jugendlichen an ihre Erziehungsberechtigten. Eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung wurde eingeleitet.
Die rechtliche Lage: Graffiti ist kein harmloser Streich
Das Sprühen von Graffiti auf fremdes Eigentum gilt in Deutschland als Straftat nach § 303 StGB. Es handelt sich um eine Sachbeschädigung, die mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Laut Angaben der Polizei- und Präventionsstellen wird Jugendlichen häufig erst nach der Tat bewusst, dass sie neben einem Strafverfahren auch zivilrechtlich haften – etwa für die Reinigungskosten oder die Instandsetzung der betroffenen Flächen.
Nach Einschätzung der Polizei Sachsen-Anhalt ist die Zahl solcher Vorfälle in der Harzregion in den letzten Jahren leicht gestiegen. Besonders Bahnhöfe, Unterführungen und Tunnel zählen zu den bevorzugten Orten für illegale Graffitis. Die Reinigungskosten für solche Schäden summieren sich bundesweit auf rund 200 Millionen Euro jährlich. Auch im Harz müssen Kommunen und Bahnunternehmen regelmäßig viel Geld investieren, um Flächen zu säubern.
Warum Jugendliche im Harz zur Spraydose greifen
Doch warum greifen Jugendliche überhaupt zur Spraydose? Viele von ihnen suchen laut einer Untersuchung der Universität Tübingen Anerkennung in ihrer Peergroup oder die Spannung des Verbotenen. Nur ein sehr kleiner Teil – rund 1,9 Prozent der Befragten – gab an, regelmäßig zu sprayen, doch die Motivation ist oft dieselbe: Ausdruck, Rebellion und Zugehörigkeit. Polizei-Sozialberater betonen, dass Jugendliche die Risiken, insbesondere an Bahnanlagen, stark unterschätzen.
Ein Präventionsbeauftragter formulierte es einmal so: „Was als Kunst empfunden wird, endet im schlimmsten Fall in einer Strafakte.“ In der Harzregion setzen sich viele Schulen und Jugendzentren inzwischen für legale Graffiti-Flächen ein. Sie sollen Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Kreativität auszuleben, ohne Schaden anzurichten oder sich in Gefahr zu bringen.
Gefahren am Bahnhof – unterschätzte Risiken im Gleisbereich
Was Außenstehende oft übersehen: Das Sprühen an Bahnanlagen ist nicht nur verboten, sondern auch lebensgefährlich. Stromführende Oberleitungen, Gleise und der enge Raum in Tunneln bergen erhebliche Risiken. In mehreren Fällen kam es bundesweit zu schweren Unfällen, als Jugendliche Züge oder Bahneinrichtungen besprühten. Laut Polizei werden diese Gefahren besonders von Ersttätern oft unterschätzt.
Der Fall von Wernigerode zeigt exemplarisch, wie knapp riskante Situationen vermieden werden können. Hätten die Beamten die Jugendlichen nicht rechtzeitig bemerkt, hätten sie sich möglicherweise in den Gleisbereich begeben – eine Situation, die schnell lebensbedrohlich werden kann.
Gesellschaftliche Wahrnehmung: Zwischen Kunst und Vandalismus
In Foren und sozialen Medien spaltet das Thema weiterhin die Meinung. Auf Plattformen wie Reddit oder in deutschen Bahnforen wird heftig diskutiert, ob Graffiti Kunst oder Vandalismus sei. Viele Nutzer sehen die oft lieblos angebrachten Tags als reinen Schaden an öffentlichen Einrichtungen. Einer schrieb: „Legally it is vandalism – I don’t find a lot of things that nice.“ Andere fordern härtere Strafen, um Nachahmer abzuschrecken.
In Städten wie Wernigerode, Quedlinburg oder Halberstadt im Harz setzen Kommunen zunehmend auf Prävention statt Repression. Durch legale Wände, Workshops und Jugendprojekte sollen Jugendliche Verantwortung und Respekt gegenüber öffentlichem Raum lernen. Diese Programme zeigen laut Erfahrungsberichten erste Erfolge, auch wenn Einzelfälle wie der aktuelle Vorfall zeigen, dass der Weg noch lang ist.
Graffiti-Schäden im Harz – Zahlen und Tendenzen
| Jahr | Gemeldete Fälle (Harz) | Geschätzter Schaden | 
|---|---|---|
| 2022 | 145 | ca. 65.000 € | 
| 2023 | 167 | ca. 72.000 € | 
| 2024 | 174 | ca. 80.000 € | 
Die Zahlen stammen aus kommunalen Berichten und spiegeln den kontinuierlichen Anstieg kleinerer Sachbeschädigungen wider. Besonders betroffen sind Bahnhöfe, Schulgelände und Stromkästen in den Harzer Städten. Auch Tourismusbetriebe im Harz beklagen zunehmende Schäden an Gebäuden in der Nähe von Bahnhöfen und Sehenswürdigkeiten.
Die Reaktion der Bundespolizei: Konsequentes Vorgehen und Prävention
Die Bundespolizeiinspektion Magdeburg kündigte nach dem Vorfall an, ihre Streifen in den Bahnhofsbereichen der Harzregion weiter zu intensivieren. Ziel sei es, einerseits Straftaten zu verhindern, andererseits aufzuklären. Regelmäßige Schulbesuche und Informationskampagnen sollen Jugendlichen die Gefahren und rechtlichen Folgen nahebringen. Dabei geht es weniger um Abschreckung als um Aufklärung und Verantwortungsbewusstsein.
Ein Sprecher der Polizei betonte, dass solche Einsätze keine Seltenheit mehr seien: „Unsere Beamten treffen immer häufiger auf Jugendliche, die mit Spraydosen unterwegs sind – oft ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.“
Was passiert mit den ertappten Tätern?
Im aktuellen Fall wurden die beiden Jugendlichen nach der Identitätsfeststellung ihren Eltern übergeben. Das Jugendgericht wird nun prüfen, ob eine Diversionsmaßnahme – also eine außergerichtliche Erledigung wie Sozialstunden oder ein Täter-Opfer-Ausgleich – infrage kommt. In der Regel ist dies bei Ersttätern im Jugendalter üblich, sofern keine Vorstrafen vorliegen.
Die betroffenen Bahnanlagen werden in den kommenden Tagen gereinigt. Über die genaue Schadenshöhe machte die Bundespolizei bislang keine Angaben. Die Ermittlungen dauern an.
Nachdenklicher Ausblick: Zwischen Neugier, Mutprobe und Verantwortung
Die Nacht von Wernigerode ist nur eine von vielen in der Harzregion, in der Jugendliche an Grenzen stoßen – buchstäblich und im übertragenen Sinn. Graffiti bleibt ein Ausdruck von Kreativität, aber auch ein Symbol für die Suche nach Aufmerksamkeit und Selbstbestimmung. Gerade im Harz, wo viele Orte zwischen Tradition, Tourismus und jugendlicher Lebenswelt schwanken, sind solche Vorfälle mehr als nur Randnotizen im Polizeibericht.
Vielleicht sind sie ein Spiegel dafür, wie wichtig es ist, jungen Menschen Räume zu geben – sichere, legale und sichtbare Orte, an denen sie sich ausdrücken können. Die beiden 15-Jährigen aus Wernigerode werden ihre Nacht an der Tunnelwand wohl nicht so schnell vergessen. Und vielleicht ist genau das die Lehre, die über eine einfache Tat hinausweist: Verantwortung wächst dort, wo Konsequenzen spürbar werden.







