
Halberstadt, 13. Juni 2025, 11:50 Uhr
Im nördlichen Harzvorland kam es erneut zu einem versuchten Betrug durch falsche Polizeibeamte. Zwei Männer in blauen Uniformen hielten auf der B79 bei Aspenstedt eine 73-jährige Frau an und forderten ein angebliches Verwarngeld. Die Seniorin reagierte geistesgegenwärtig und konnte Schlimmeres verhindern – doch der Fall ist kein Einzelfall. Betrügerische Machenschaften dieser Art häufen sich deutschlandweit und folgen einem erschreckend professionellen Muster.
Der Fall von Aspenstedt: Eine Szene wie aus einem schlechten Film
Die Autofahrerin befand sich auf dem Rückweg vom Einkauf, als sie von einem Wagen mit Blaulicht gestoppt wurde. Zwei Männer in vermeintlicher Polizeiuniform näherten sich ihrem Fahrzeug und erklärten, es habe Unstimmigkeiten mit dem Kennzeichen gegeben. Im weiteren Gespräch wurde ein „Verwarngeld“ in bar verlangt. Der Ton war höflich, aber bestimmt – die Frau wurde misstrauisch.
„Etwas stimmte nicht – das Auto war kein echter Streifenwagen, und einer der Männer trug keinen Ausweis“, so die Seniorin später gegenüber der Polizei. Sie konnte unter einem Vorwand den Notruf wählen. Die Täter bemerkten dies und flüchteten. Eine sofort eingeleitete Fahndung blieb bislang ohne Erfolg.
Täterbeschreibung liegt vor
- Täter 1: ca. 40 Jahre alt, braune, kurze Haare, sprach akzentfrei Deutsch, trug eine blaue Uniform mit Basecap
- Täter 2: ca. 30 Jahre alt, blonde, gelockte Haare, ebenfalls akzentfreies Deutsch, blaue Uniform, gepflegtes Erscheinungsbild
Ein verbreitetes Phänomen: Die Masche der falschen Polizisten
Der Vorfall im Harz steht exemplarisch für eine bundesweit zunehmende Betrugsform, bei der sich Täter als Polizeibeamte ausgeben. Zielgruppe sind in der Regel ältere Menschen. Dabei variieren die Vorgehensweisen: Mal erfolgt der Erstkontakt per Telefon, mal direkt an der Haustür oder – wie in diesem Fall – im Straßenverkehr.
Typische Merkmale dieser Masche:
- Fingierte Kontrollsituationen mit Polizeiuniformen und gefälschten Ausweisen
- Vortäuschung von Gefahrensituationen (z. B. Einbruchsdrohung, Verwandte in Not)
- Aufforderung zur Bargeldabgabe zur „Sicherstellung“
- Druckaufbau durch angeblich drohende Konsequenzen bei Nichtzahlung
Psychologischer Druck und technische Tricks
Was viele Betroffene nicht wissen: Die Täter sind häufig Teil international agierender Netzwerke, die psychologisch geschulte Call-Center nutzen. Mit sogenannten Spoofing-Technologien können Telefonnummern manipuliert werden, sodass auf dem Display der Opfer tatsächlich „110“ oder andere Polizeinummern erscheint.
Der Täter am Telefon gibt sich dann als Beamter einer Polizeibehörde, des BKA oder sogar von Europol aus. In anderen Fällen erscheinen sie direkt vor der Haustür oder – wie im Harz – auf offener Straße. Dabei wirken sie seriös, höflich und autoritär. Ziel ist immer dasselbe: Die Opfer sollen in eine Lage gebracht werden, in der sie reflexartig Geld oder Wertgegenstände übergeben.
„Es ist die perfekte Illusion. Sie bauen innerhalb von Minuten so viel Druck auf, dass selbst misstrauische Menschen einknicken.“
Europäisches Netzwerk hinter der Betrugswelle
Im Rahmen einer europaweiten Operation namens „PANDORA“ konnten Ermittlungsbehörden kürzlich mehrere Call-Center in Balkanländern ausheben. Dort wurden täglich tausende betrügerische Anrufe koordiniert – auch in Richtung Deutschland. In einigen Fällen gaben sich die Täter sogar als Europol-Ermittler aus und erreichten so besonders hohe Summen. Allein im Sommer 2024 wurden deutschlandweit über 7.600 Beschwerden zu dieser Variante registriert.
Direkte Haustürkontakte: Auch real vor Ort wird getäuscht
Während viele Fälle über das Telefon abgewickelt werden, gibt es auch eine steigende Zahl direkter Kontakte an der Haustür. In Rheinland-Pfalz durchsuchten Täter unter dem Vorwand polizeilicher Ermittlungen Geldbörsen, Schmuckschatullen oder Medikamentenschränke. In einem Fall in Mainz wurden sogar Touristen in Hotels angesprochen und zur Übergabe von Geld aufgefordert.
Statistik: Ausmaß des Schadens
Nach Angaben des Bundeskriminalamts entstehen durch Betrugsdelikte mit falschen Polizisten jährlich Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. In der Spitze beliefen sich Einzelschäden auf bis zu 250.000 Euro. Besonders alarmierend: Oft bleibt es nicht bei einem Vorfall – Betrüger sprechen dieselben Personen mehrfach an.
Jahr | Bekannte Fälle | Gesamtschaden (geschätzt) |
---|---|---|
2022 | über 18.000 | ca. 110 Mio. € |
2023 | über 21.000 | ca. 125 Mio. € |
2024 | über 24.500 | ca. 140 Mio. € |
2025 (Jan–Mai) | bereits 11.000+ | über 70 Mio. € |
Wie schützt man sich? Verhaltenstipps der Polizei
Die Polizei empfiehlt eine Reihe konkreter Maßnahmen, um sich gegen diese Maschen zu wappnen:
- Bei Anrufen mit der Nummer „110“ sofort misstrauisch werden – diese Nummer kann nicht zurückgerufen werden und wird nicht als Absender verwendet.
- Niemals Bargeld oder Wertsachen an unbekannte Personen übergeben – auch nicht an angebliche Beamte.
- Immer nach einem Dienstausweis fragen – und diesen prüfen lassen.
- Im Zweifel selbst die örtliche Polizeidienststelle anrufen oder über die echte 110 nachfragen.
- Familienangehörige, besonders ältere Menschen, über die Masche informieren und sensibilisieren.
Opferhilfe und Prävention: Unterstützung auf mehreren Ebenen
Opfer solcher Betrügereien erhalten heute bundesweit Unterstützung. Neben den polizeilichen Anlaufstellen bieten Opferberatungsstellen psychosoziale Begleitung und rechtliche Beratung. Auch Banken und Pflegeeinrichtungen werden zunehmend geschult, um Warnzeichen zu erkennen.
Die Plattform polizei-beratung.de stellt Broschüren, Videos und sogar Comics zur Verfügung, um besonders ältere Menschen auf unterhaltsame Weise zu informieren. Die Prävention beginnt dabei bereits im Alltag – etwa durch Aufkleber an der Tür („Keine fremden Personen hereinlassen“) oder durch Telefonsperren für bestimmte Nummern.
Cyber-Varianten: Neue Formen der Täuschung
Ergänzend zur realen und telefonischen Masche tauchen auch digitale Betrügereien auf. In letzter Zeit wurden Fälle bekannt, bei denen über gefälschte Webseiten angebliche Polizei-Meldungen eingeblendet wurden, verbunden mit Erpressungsforderungen durch sogenannte Ransomware. Diese Angriffe zielen vor allem auf internetaffine Seniorinnen und Senioren, die Onlinebanking nutzen oder behördliche Kommunikation digital abwickeln.
Die Gefahr ist real – und sie betrifft uns alle
Der Betrugsfall in Aspenstedt ist mehr als eine kuriose Episode. Er zeigt, wie weit Täter gehen, um an Geld zu kommen – und wie glaubwürdig sie sich dabei inszenieren. Die zunehmende Professionalisierung der Täter, kombiniert mit technischen Tricks und psychologischem Druck, macht diese Masche besonders gefährlich. Es braucht flächendeckende Aufklärung, technologische Schutzmechanismen und eine gesamtgesellschaftliche Wachsamkeit, um weitere Opfer zu verhindern.
Die Polizei bittet die Bevölkerung weiterhin um Hinweise zum Fall in Aspenstedt und ruft zur Sensibilisierung im eigenen Umfeld auf. Nur wer informiert ist, kann sich schützen.