
(Symbolbild)
Goslar – In der historischen Altstadt entbrennt erneut eine Debatte über das Radfahren in der Fußgängerzone. Zwischen Absteige-Pflicht, Schrittgeschwindigkeit und dem Wunsch nach einer fahrradfreundlichen Innenstadt stehen sich Bürger, Verwaltung, Handel und Touristeninteressen gegenüber. Neue Entwicklungen, Initiativen und Kontrollen bringen Bewegung in ein Thema, das längst nicht nur Radfahrer betrifft.
Historische Altstadt als Verkehrsknotenpunkt
Die Goslarer Innenstadt ist nicht nur UNESCO-Weltkulturerbe, sondern auch ein lebendiger Treffpunkt für Einheimische und Gäste. Mit ihren engen Gassen, dem belebten Marktplatz und touristischen Highlights wie dem Glockenspiel zieht sie täglich hunderte Besucher an. Dieses hohe Fußgängeraufkommen stellt die Stadt vor die Frage, wie Radverkehr hier sicher und regelkonform integriert werden kann.
Rechtslage: Fußgängerzone und „Radfahrer frei“
Grundsätzlich gilt in Fußgängerzonen in Deutschland ein Fahrverbot für Radfahrer. Nur wenn ein Zusatzschild „Radfahrer frei“ angebracht ist, darf dort gefahren werden – und selbst dann ausschließlich mit Schrittgeschwindigkeit. Diese ist nicht exakt gesetzlich festgelegt, wird jedoch in der Praxis meist mit 4 bis 7 km/h, gelegentlich bis zu 10 km/h, definiert. Der Vorrang der Fußgänger ist dabei unantastbar.
Missverständnisse um das Schild „Radfahrer absteigen“
Ein häufiger Irrtum betrifft das Schild „Radfahrer absteigen“. Rechtlich ist es keine zwingende Anordnung, sondern hat eher den Charakter einer Empfehlung. Fehlt ein „Radfahrer frei“-Schild, gilt ohnehin ein Fahrverbot, und Radfahrer müssen absteigen und schieben. Umgekehrt bedeutet das Zusatzschild „Radfahrer frei“ nicht, dass ungebremst gefahren werden darf – vielmehr bleibt die Schrittgeschwindigkeit verbindlich.
Die Situation in Goslar
Das Radverkehrskonzept der Stadt Goslar aus dem Jahr 2020 sieht vor, die Fußgängerzone zeitlich einheitlich für den Radverkehr freizugeben, rät aber von einer Ausweitung auf weitere reine Fußgängerbereiche ab. Ziel ist es, klare, leicht verständliche Regeln zu schaffen, die sowohl Einheimischen als auch Gästen Orientierung geben.
In der Praxis ist die Beschilderung jedoch ein Flickenteppich: Einige Abschnitte sind ganztägig gesperrt, andere nur zu Stoßzeiten, wieder andere mit dem Zusatz „Radfahrer frei“ versehen. Diese Uneinheitlichkeit führt zu Unsicherheiten und Diskussionen – nicht nur unter Radfahrern, sondern auch bei Fußgängern und Geschäftsleuten.
Kontrollen und Bußgelder
Regelmäßige Kontrollen der Polizei und des Ordnungsamtes sollen die Einhaltung der Vorgaben sicherstellen. Bereits 2020 gab es Schwerpunktaktionen, bei denen Radfahrende verwarnt wurden, die zu schnell oder unerlaubt durch die Fußgängerzone fuhren. Viele Geschäftsleute begrüßen solche Maßnahmen, da sie nach eigenen Angaben zu einer entspannteren Situation für ihre Kundschaft beitragen.
Neue Entwicklungen: Fahrradlobby und Infrastruktur
Im April 2025 wurde der ADFC-Kreisverband Goslar gegründet. Damit gibt es nun eine organisierte Interessenvertretung für Radfahrer, die sich aktiv in Diskussionen einbringen will – auch bei Fragen der Absteige-Pflicht und Schrittgeschwindigkeit. Parallel investiert die Stadt in Radinfrastruktur, etwa mit der Eröffnung der ersten Fahrradstraße im Landkreis auf der Strecke Immenrode–Wöltingerode.
Gleichzeitig gibt es in den sozialen Medien Diskussionen um neue Fahrradboxen in Innenstadtnähe, deren Aufstellung teils auf Widerstand stößt. Kritiker bemängeln den Wegfall von Pkw-Stellplätzen, Befürworter sehen darin einen wichtigen Schritt zu mehr Radfreundlichkeit.
Fragen aus der Praxis
Viele Bürger stellen sich ganz konkrete Fragen, wenn sie durch Goslars Innenstadt radeln oder schieben:
- Muss ich in der Fußgängerzone in Goslar wirklich absteigen? – Nur wenn kein „Radfahrer frei“-Schild vorhanden ist oder wenn die Beschilderung dies ausdrücklich fordert.
- Gilt in der Goslarer Innenstadt trotz Zusatzschild „Radfahrer frei“ Schrittgeschwindigkeit? – Ja, und zwar ausnahmslos.
- Wie schnell ist Schrittgeschwindigkeit für Radfahrer? – Etwa 4–7 km/h, abhängig von der Situation und Fußgängeraufkommen.
Die Rolle des Tourismus
Goslar lebt vom Tourismus. In Spitzenzeiten, besonders bei Veranstaltungen oder zur Glockenspiel-Aufführung, füllen sich die Gassen mit Besuchern. Hier kommt es naturgemäß zu Konflikten, wenn Radfahrer trotz „Radfahrer frei“ schneller als Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind. Aus Sicht der Stadtverwaltung spricht vieles dafür, zeitlich gesteuerte Freigaben zu prüfen, um zu Stoßzeiten für Entlastung zu sorgen.
Argumente für und gegen die Absteige-Pflicht
Pro Absteige-Pflicht | Contra Absteige-Pflicht |
---|---|
Maximale Sicherheit für Fußgänger | Unnötige Einschränkung bei geringem Fußgängeraufkommen |
Klarheit für alle Verkehrsteilnehmer | Verlangsamt Radverkehr erheblich |
Tourismusfreundliches Stadtbild | Fördert Umwege und potenziell riskante Ausweichrouten |
Stimmen aus der Bevölkerung
In Foren und sozialen Medien gehen die Meinungen auseinander. Manche fordern eine durchgehende Absteige-Pflicht, um jegliche Konflikte zu vermeiden. Andere verweisen darauf, dass viele Radfahrer verantwortungsvoll fahren und ein generelles Verbot alle über einen Kamm scheren würde. Ein Forennutzer formulierte es so: „Radfahrer haben auch auf freigegebenen Gehwegen mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Macht keiner, ist aber eigentlich eine Ordnungswidrigkeit.“
Regionale Vergleiche
Blickt man in die Nachbarstädte, zeigt sich: Die Problematik ist nicht auf Goslar beschränkt. In Einbeck beispielsweise wurden 2024 bei Schwerpunktkontrollen innerhalb kurzer Zeit 47 Radfahrende in der Fußgängerzone angehalten. Auch hier gilt Schrittgeschwindigkeit – und auch hier ist die Diskussion um klare Regeln präsent.
Planung und Ausblick
Die Stadt Goslar steht vor der Aufgabe, den Radverkehr in der Altstadt so zu gestalten, dass Sicherheit, Attraktivität und Verkehrsfluss im Gleichgewicht bleiben. Das Radverkehrskonzept bietet dafür einen Rahmen, der jedoch an aktuelle Entwicklungen und Bedürfnisse angepasst werden muss. Die Zusammenarbeit mit dem neuen ADFC-Kreisverband und die Nutzung von Bürgerbeteiligungsplattformen könnten helfen, tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Potenzielle Maßnahmen
- Einheitliche Beschilderung in allen Altstadtbereichen
- Klare Definition und Kommunikation der Freigabezeiten
- Mehr Kontrollen und Sensibilisierungskampagnen
- Technische Hilfen wie Bodenschwellen oder visuelle Markierungen zur Temporeduzierung
Die Diskussion um die Absteige-Pflicht für Radfahrer in Goslars Innenstadt zeigt, wie komplex die Balance zwischen verschiedenen Interessen sein kann. Die historische Kulisse, das hohe Besucheraufkommen und der wachsende Wunsch nach einer fahrradfreundlichen Stadt bilden ein Spannungsfeld, das differenzierte Lösungen erfordert. Ob am Ende einheitliche Freigaben, zeitlich begrenzte Regelungen oder eine strengere Absteige-Pflicht stehen – entscheidend wird sein, dass die Regeln klar, verständlich und für alle nachvollziehbar sind. Nur so kann die Altstadt auch künftig ein Ort bleiben, an dem sich Fußgänger und Radfahrer gleichermaßen wohlfühlen.