
In Sachsen-Anhalt verzeichnen die Leitstellen seit Monaten eine wachsende Zahl an Fehlalarmen, ausgelöst durch Smartphones, Smartwatches und automatische Notrufsysteme in Fahrzeugen. Was eigentlich Leben retten soll, bringt die Einsatzkräfte zunehmend an ihre Belastungsgrenze. Besonders die hohe Häufigkeit und der Ressourcenaufwand sorgen für Diskussionen über Ursachen, Folgen und mögliche Gegenmaßnahmen.
Steigende Zahlen: Wenn die Technik zu oft Fehlalarm schlägt
In mehreren Landkreisen Sachsen-Anhalts haben sich die Fehlalarme zu einem echten Dauerthema entwickelt. Allein im Landkreis Wittenberg wurden im Juli 245 Fälle registriert, bei denen ein automatischer Notruf ausgelöst wurde, ohne dass tatsächlich eine Notlage bestand. Im Kreis Anhalt-Bitterfeld summierten sich diese Fehlmeldungen seit Jahresbeginn auf 1.901 Fälle. Im Salzlandkreis wiederum sprechen die Leitstellen von ein bis drei derartigen Alarmen täglich. Die Häufigkeit ist damit deutlich höher als noch vor einigen Jahren.
Verursacher sind vor allem moderne Mobiltelefone, Smartwatches mit Sturzerkennung sowie die gesetzlich vorgeschriebenen eCall-Systeme in Autos, die bei einem Aufprall oder starken Erschütterungen automatisch den Notruf 112 wählen. Diese Systeme arbeiten sensorgesteuert und reagieren nicht selten empfindlich auf Situationen, die für Menschen klar als harmlos erkennbar wären.
Die Hauptursachen im Detail
Die Fehlalarme entstehen aus verschiedenen Gründen:
- Smartwatches: Die Sturzerkennung kann bereits bei ruckartigen Bewegungen oder abruptem Stoppen reagieren, etwa beim Sport, im Freizeitpark oder bei körperlicher Arbeit.
- Smartphones: Notruffunktionen wie der SOS-Modus werden unbeabsichtigt durch Tastenkombinationen ausgelöst, etwa wenn das Gerät in der Hosentasche liegt.
- eCall-Systeme: In Fahrzeugen führt ein starker Ruck oder ein unsanftes Überfahren von Bodenwellen manchmal zu einer Fehlinterpretation als Unfall.
Ein Disponent einer Leitstelle beschreibt es so: „Die Technik ist gut gemeint, aber wir müssen viel Zeit aufwenden, um falsche Notrufe zu verifizieren. In dieser Zeit könnte unsere Aufmerksamkeit dringend woanders benötigt werden.“
Belastung für Einsatzkräfte und Leitstellen
Jeder eingehende Notruf wird ernst genommen. Auch wenn sich im Gespräch oder durch Standortdaten herausstellt, dass kein Notfall vorliegt, bleibt der Ressourcenaufwand hoch. Einsatzkräfte berichten, dass häufig Fahrzeuge ausrücken, wenn keine Sprachverbindung hergestellt werden kann – ein typisches Szenario bei eCall-Fehlalarmen.
In sozialen Medien vergleichen Feuerwehrleute diese Situation mit automatischen Brandmeldeanlagen: „Von hundert Alarmen ist vielleicht einer echt – aber wir müssen alle prüfen“, schreibt ein Mitglied einer Feuerwehr-Community. Diese hohe Zahl an unnötigen Alarmierungen kostet Zeit, bindet Personal und kann zu Ermüdung führen.
Rechtliche Fragen und mögliche Kosten
Viele Bürger fragen sich: Wer zahlt die Kosten bei einem Fehlalarm durch eCall oder Smartwatch? Die Antwort ist nicht einheitlich, da dies von der jeweiligen Landesgesetzgebung abhängt. In einigen Bundesländern, wie etwa Bayern, kann der Verursacher zur Kasse gebeten werden, wenn ein Einsatz durch einen Fehlalarm ausgelöst wurde und dieser vermeidbar gewesen wäre. Die Beträge können mehrere hundert Euro betragen. Bei unbeabsichtigten technischen Auslösungen ohne Fahrlässigkeit werden jedoch oft keine Gebühren erhoben.
Missbrauch des Notrufs, etwa durch absichtliches Auslösen ohne Grund, bleibt strafbar und kann zu empfindlichen Strafen führen.
Alltagssituationen, die zum Problem werden
Die Palette der ungewollten Auslöser ist breit. Besonders auffällig sind Fehlalarme bei Sportarten wie Skifahren oder Mountainbiken, wo starke Erschütterungen oder Stürze ohne Verletzung vorkommen. Skigebiete berichten in Online-Foren von gehäuften Fehlmeldungen in der Wintersaison. Auch bei Achterbahnfahrten in Freizeitparks oder beim intensiven Training im Fitnessstudio wurden schon Notrufe ausgelöst.
Eine Nutzerin schilderte in einem Forum ihre Erfahrung: „Ich fuhr eine Skipiste hinunter, als plötzlich meine Uhr piepte und den Notruf wählen wollte. Ich konnte den Countdown gerade noch abbrechen – sonst wäre wohl ein Rettungshubschrauber gestartet.“
Warum automatische Notrufe dennoch wichtig sind
Trotz der hohen Zahl an Fehlalarmen betonen Einsatzkräfte immer wieder den Nutzen dieser Systeme. In echten Notlagen, bei denen die betroffene Person bewusstlos wird oder nicht mehr in der Lage ist, selbst Hilfe zu rufen, können Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Die automatischen Systeme verkürzen die Reaktionszeit erheblich und übermitteln neben der Notrufmeldung auch Standortdaten an die Leitstellen. EU-weit wird dies durch die Advanced Mobile Location (AML)-Technologie unterstützt, die den Standort auf wenige Meter genau angibt.
Ein Sprecher einer Leitstelle formulierte es so: „Lieber nehmen wir ein paar hundert falsche Alarme in Kauf, als einen einzigen echten Notfall zu übersehen.“
So können Nutzer Fehlalarme vermeiden
Viele Fehlalarme lassen sich durch ein paar einfache Maßnahmen verhindern. Auf die Frage Wie kann man Fehlalarme durch Smartwatches oder eCall vermeiden? geben Experten folgende Empfehlungen:
- Geräteeinstellungen prüfen und bei sportlichen Aktivitäten temporär deaktivieren oder anpassen.
- Countdowns bei Auslösung bewusst abbrechen, wenn kein Notfall vorliegt.
- Geräte regelmäßig auf Updates und Funktionsprüfung kontrollieren.
- Notfallkontakte im Gerät hinterlegen, damit die Leitstelle Rückfragen schneller klären kann.
Hersteller wie Apple, Samsung oder Google bieten detaillierte Anleitungen, wie man die Empfindlichkeit der Sturzerkennung anpassen oder den SOS-Modus bewusst einsetzen kann.
Besondere Herausforderungen bei eCall
Das eCall-System ist seit 2018 in allen neuen Pkw-Modellen Pflicht. Es wählt im Falle eines Aufpralls oder einer starken Erschütterung automatisch die 112 und übermittelt einen Minimaldatensatz inklusive Standort. Wenn keine Sprachverbindung zustande kommt, wird der Einsatz in der Regel trotzdem ausgelöst – aus Sicherheitsgründen. Dies führt allerdings dazu, dass Feuerwehr und Rettungsdienst oft zu leerstehenden Unfallorten ausrücken.
Mehrere Feuerwehren berichten auf Facebook von genau solchen Szenarien: Alarmierung ohne Antwort des Fahrers, Anfahrt mehrerer Fahrzeuge – und am Ende kein Unfall. Diese wiederkehrenden Situationen nähren die Diskussion, ob es technische Filter oder Abfragen geben sollte, bevor ein Vollalarm ausgelöst wird.
Alternativen und zusätzliche Systeme
In Senioren- und Pflegeforen wird oft diskutiert, ob klassische Hausnotrufsysteme für bestimmte Zielgruppen die bessere Lösung sind. Welche Alternativen gibt es zur Sturzerkennung auf Smartwatches – speziell für Senioren? Viele setzen auf stationäre Geräte mit Notrufknopf und direkter Sprachverbindung zur Notrufzentrale. Diese Systeme gelten als weniger fehleranfällig und bieten dennoch schnelle Hilfe, wenn sie benötigt wird.
Gleichzeitig werden mobile Notrufgeräte mit GPS-Ortung für aktive Senioren empfohlen, die mehr Bewegungsfreiheit möchten, aber keine Smartwatch nutzen wollen.
Öffentliche Wahrnehmung und Diskussion
In den sozialen Medien wird das Thema kontrovers diskutiert. Während einige Nutzer betonen, dass ihnen diese Technik Sicherheit gibt und sie im Notfall nicht missen möchten, kritisieren andere den vermeintlichen „Alarmismus“ moderner Geräte. In Foren von Einsatzkräften wird besonders auf den Personalaufwand und die potenzielle Ablenkung von echten Notfällen hingewiesen. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt und praktischer Einsatzrealität.
Ein Forenkommentar bringt es auf den Punkt: „Technik kann Leben retten – aber nur, wenn sie nicht permanent Wolf schreit.“
Politische und technische Lösungsansätze
Behörden und Experten diskutieren verschiedene Optionen, um die Zahl der Fehlalarme zu senken. Darunter sind:
- Verbesserte Sensordatenanalyse, um harmlose Bewegungen von echten Unfällen besser unterscheiden zu können.
- Gezielte Nutzeraufklärung über Funktionsweise und Handhabung der Geräte.
- Optionale Sensitivitätsstufen, die der Nutzer anpassen kann.
- Rechtliche Regelungen zur Kostentragung, um bewusste oder leichtfertige Fehlalarme einzudämmen.
Einige Feuerwehrverbände regen an, Hersteller stärker in die Verantwortung zu nehmen, etwa durch verpflichtende Updates oder standardisierte Bestätigungsprozesse vor dem Auslösen eines Notrufs.
Die wachsende Zahl von Fehlalarmen in Sachsen-Anhalt ist ein Symptom einer modernen Welt, in der Sicherheitstechnologien immer sensibler werden. Smartphones, Smartwatches und Fahrzeuge mit eCall retten zweifellos Leben, wenn jede Sekunde zählt. Gleichzeitig zeigt sich, dass ihre Empfindlichkeit und der Alltag der Nutzer nicht immer harmonieren. Die Herausforderung besteht nun darin, den Nutzen dieser Technik zu bewahren, während ihre Schwächen minimiert werden. Dafür braucht es eine Kombination aus technischer Weiterentwicklung, klaren rechtlichen Rahmenbedingungen und gut informierten Nutzern. Nur so lässt sich sicherstellen, dass im entscheidenden Moment die Technik genau das tut, wofür sie entwickelt wurde – helfen.