
Im Landkreis Harz werden aktuell Wohnzuschüsse für Menschen mit Bürgergeld oder Grundsicherung gekürzt. Die Auswirkungen sind drastisch: Viele Betroffene müssen plötzlich hunderte Euro im Monat selbst aufbringen – oder sie stehen vor der Kündigung. Der Grund dafür ist eine unscheinbare, aber folgenreiche Änderung in der Verwaltungspraxis des Jobcenters.
Ein harter Einschnitt mit weitreichenden Folgen
Seit dem 1. August 2024 gilt im Landkreis Harz eine neue Richtlinie zur Beurteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU). Grundlage dafür ist nicht mehr – wie bisher – ein regional angepasstes, sogenanntes „schlüssiges Konzept“ zur Mietpreisermittlung. Stattdessen orientieren sich die Behörden nun an den Obergrenzen des bundesweit geltenden Wohngeldgesetzes (§ 12 WoGG), ergänzt um einen Sicherheitszuschlag von zehn Prozent. Diese Umstellung hat gravierende Folgen.
Die neuen Grenzen liegen teils deutlich unter den bisherigen Werten. Betroffene berichten von Kürzungen in Höhe von bis zu 80 Euro im Monat. In einer Region, in der die Mieten ohnehin vergleichsweise niedrig sind, kann dieser Betrag über Wohl und Wehe entscheiden – vor allem für Alleinerziehende, chronisch Kranke oder Rentner mit geringer Altersversorgung.
Warum werden Zuschüsse für das Wohnen im Harz gekürzt?
Die Antwort ist komplex: Das bislang verwendete regionale Konzept zur Bewertung der Mietkosten konnte mangels aktueller Daten nicht fortgeführt werden. Ohne ein solches, vom Bundessozialgericht gefordertes Instrument, bleibt den Behörden nur die Rückfalloption: die pauschalen Wohngeldgrenzen plus Sicherheitszuschlag. Diese sind zwar rechtlich zulässig, aber sie bilden die realen Mietpreise vor Ort oft nicht realitätsnah ab. Die Folge: eine systematische Absenkung der als „angemessen“ geltenden Mietkosten.
Die konkreten Auswirkungen: Existenzängste und Unsicherheit
Betroffene aus dem gesamten Landkreis – von Halberstadt über Quedlinburg bis Wernigerode – berichten über plötzlich auftretende Mietlücken. Eine Bürgerin, „Annika“, muss nun 80 Euro monatlich aus ihrem ohnehin knappen Bürgergeld-Budget selbst bestreiten. „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Jeder Euro ist bei mir verplant. Wenn ich das nicht zahlen kann, verliere ich meine Wohnung“, sagt sie.
Der YouTuber Julien Maurer hat sich des Themas angenommen und macht öffentlich auf Fälle wie diesen aufmerksam. Seine Reichweite und sein Engagement helfen, das Problem aus der Verwaltungssphäre in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen. Er organisiert Gespräche mit Betroffenen, dokumentiert deren Situation und ruft zum politischen Handeln auf.
Welche Stadtteile im Harz sind von Kürzungen bei Wohnzuschüssen betroffen?
Die neuen Regelungen gelten für den gesamten Landkreis Harz. Es gibt keine Ausnahme für bestimmte Orte oder Stadtteile – betroffen sind sowohl größere Städte wie Halberstadt und Wernigerode als auch ländliche Gemeinden. Die Umstellung betrifft alle Menschen, die Bürgergeld, Grundsicherung oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.
Verwaltung trifft Realität: Kritik am Verfahren wächst
Die eigentliche Kritik entzündet sich nicht nur an den niedrigen Grenzen, sondern auch am Verfahren selbst. Denn das Gesetz sieht vor, dass Kommunen ein „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung ortsüblicher Mieten erstellen müssen. Dieses muss unter anderem regelmäßig aktualisiert werden und auf repräsentativen Daten beruhen. Da diese Datengrundlage im Harz offenbar nicht mehr gegeben war, blieb der Verwaltung keine andere Wahl, als auf die WoGG-Werte zurückzugreifen.
Juristisch gesehen ist dieser Schritt legal – doch er wird politisch und sozial infrage gestellt. „Das ist eine Kürzung durch die Hintertür“, heißt es in einem offenen Brief eines lokalen Sozialbündnisses. Die Argumentation: Wer keine Ressourcen hat, ein eigenes Konzept zu erstellen, bestraft damit seine Bedürftigen doppelt.
Karenzzeit als rettende Ausnahme – aber nur auf Zeit
Gibt es im ersten Jahr beim Bürgergeld eine Karenzzeit für Mietkosten-Anpassungen?
Ja – eine wichtige Ausnahme besteht für Neuantragsteller beim Bürgergeld. In den ersten zwölf Monaten des Leistungsbezugs wird die Angemessenheit der Wohnkosten nicht überprüft, solange diese nicht „grob unangemessen“ sind. Das bedeutet: In dieser Karenzzeit müssen auch höhere Mieten voll übernommen werden. Doch diese Frist läuft nach einem Jahr ab – und viele Betroffene geraten danach schlagartig in eine finanzielle Schieflage.
Stimmen aus Foren und sozialen Medien: Ein Alltag am Limit
In Internetforen wie urbia.de oder Reddit schildern Betroffene offen ihre Alltagserfahrungen. Eine Mutter schreibt: „Ich bin alleinerziehend mit zwei Kindern. Wenn jetzt noch 60 Euro Mietlücke dazukommen, kann ich kein Schulessen mehr zahlen.“ Andere berichten, dass sie wegen 20 Euro Kürzung über einen Umzug nachdenken – obwohl sie keinen günstigeren Wohnraum finden.
Auch Diskussionen rund um das Bürgergeld zeigen, wie angespannt die Lage ist. In einem Finanzforum heißt es: „Bei Mindestlohn muss man fast 1.000 Euro selbst für Miete & Co ausgeben, um auf das Niveau des Bürgergelds zu kommen.“ Solche Diskussionen zeigen die zunehmende Schieflage zwischen Grundsicherung und realen Lebenshaltungskosten – vor allem beim Wohnen.
Was können Betroffene jetzt tun?
Wie kann ich gegen die Kürzung von Mietzuschüssen im Harz vorgehen?
Wichtigster Schritt ist ein schriftlicher Widerspruch gegen die Entscheidung des Jobcenters. Dieser sollte gut begründet sein – am besten mit Hinweisen auf die fehlende Datengrundlage oder individuelle Härtefälle. Auch die Inanspruchnahme von Rechtsberatung – z. B. über Sozialverbände oder Anwaltsvereine – ist empfehlenswert.
Darüber hinaus gibt es Initiativen, die Betroffene unterstützen. Neben dem bereits genannten Julien Maurer rufen auch soziale Träger zur Selbsthilfe auf. Der Paritätische Gesamtverband fordert mit der Kampagne #100EuroMehrSofort eine sofortige Anpassung der Regelsätze, da diese die reale Teuerung – besonders bei Mieten – nicht mehr abbilden.
Ein systemisches Problem – nicht nur im Harz
Auch über die Grenzen des Harzes hinaus zeigt sich ein beunruhigendes Muster. In Regensburg wurden laut einer Untersuchung bei fast 40 Prozent der Leistungsbezieher die Wohnkosten nicht vollständig übernommen. Im Schnitt fehlten dort rund 79 Euro im Monat – eine Zahl, die der Entwicklung im Harz frappierend ähnelt.
Das Grundproblem bleibt: Mietmärkte unterliegen regionalen Schwankungen. Pauschale Obergrenzen nach dem Wohngeldgesetz sind oft zu niedrig und werden dem Einzelfall nicht gerecht. Gleichzeitig fehlt es vielen Kommunen an Mitteln, eigene Konzepte zu entwickeln. So entstehen Lücken – die am Ende die Schwächsten treffen.
Wohngeld, Bürgergeld, Mietzuschuss – was ist was?
Ein häufiges Missverständnis betrifft die verschiedenen Förderinstrumente. Wohngeld ist ein eigenständiger Zuschuss zur Miete, den auch Menschen mit niedrigem Einkommen beantragen können, die kein Bürgergeld beziehen. Bürgergeld hingegen beinhaltet eine komplette Kostenübernahme der „angemessenen“ Miete – wobei genau diese Angemessenheit nun zur Debatte steht.
Leistung | Zielgruppe | Was wird übernommen? |
---|---|---|
Bürgergeld | Erwerbslose, Aufstocker | Lebensunterhalt + KdU (sofern angemessen) |
Wohngeld | Geringverdiener, Rentner | Teilzuschuss zur Miete |
Grundsicherung im Alter | Rentner mit kleinem Einkommen | Lebensunterhalt + KdU (wie Bürgergeld) |
Schlussgedanken: Wenn Wohnraum zur sozialen Frage wird
Die Kürzungen bei Wohnzuschüssen im Harz sind mehr als eine rein verwaltungstechnische Anpassung. Sie offenbaren ein strukturelles Problem: Die Schere zwischen den gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Realität auf dem Wohnungsmarkt klafft immer weiter auseinander. Wer heute von Grundsicherung lebt, ist nicht nur auf existenzielle Leistungen angewiesen, sondern auch auf eine sozial gerechte und datenbasierte Verwaltungspraxis.
Ob der Landkreis Harz in absehbarer Zeit ein neues „schlüssiges Konzept“ vorlegt, ist offen. Solange bleibt den Betroffenen nur die Hoffnung auf politische Unterstützung, rechtliche Klärung – und den Mut, ihre Stimme zu erheben. Denn Wohnen ist nicht nur ein Grundbedürfnis – es ist ein Menschenrecht.