
Harzgerode – Die Nachricht kam nicht völlig überraschend, trifft die Region aber dennoch hart: Bohai Trimet, einer der größten Arbeitgeber im Harz, hat Insolvenz angemeldet. Mit über 670 Beschäftigten an zwei Standorten drohen nicht nur Arbeitsplätze zu verschwinden, sondern auch ganze Lieferketten ins Wanken zu geraten. Die Produktion läuft zwar weiter, doch die Zukunft ist ungewiss.
Ein Automobilzulieferer in Schieflage
Seit Jahren gehört Bohai Trimet zu den festen Größen in der deutschen Automobilzulieferbranche. Die Werke in Harzgerode (Sachsen-Anhalt) und Sömmerda (Thüringen) produzierten bislang hochwertige Fahrwerks-, Karosserie- und Getriebeteile für internationale Automarken. Dazu zählen unter anderem Mercedes-Benz, Volkswagen, Skoda und verschiedene italienische Premiumhersteller. Die Produktpalette reicht von Aluminiumdruckgussteilen bis zu komplexen Strukturelementen, die in modernen Fahrzeugarchitekturen eingesetzt werden.
Am 17. April 2025 reichte die Unternehmensgruppe für vier ihrer deutschen Tochtergesellschaften einen Insolvenzantrag ein. Anfang Juli eröffnete das Amtsgericht Halle das Insolvenzverfahren offiziell. Betroffen sind rund 580 Beschäftigte in Harzgerode und weitere 98 in Sömmerda. Doch nicht nur die Angestellten sind alarmiert – auch Zulieferer, regionale Dienstleister und politische Vertreter zeigen sich besorgt über die weitreichenden Folgen.
Hintergründe der Insolvenz
Die Gründe für die finanzielle Schieflage sind vielschichtig und spiegeln die Herausforderungen einer ganzen Branche wider. Seit der Transformation hin zur Elektromobilität geraten zahlreiche mittelständische Zulieferbetriebe unter Druck. Die Nachfrage nach konventionellen Bauteilen ist rückläufig, gleichzeitig steigen Investitionskosten für neue Technologien. Auch Bohai Trimet sah sich diesen Herausforderungen ausgesetzt – allerdings ohne ausreichende finanzielle Rückendeckung.
Ein entscheidender Wendepunkt war der Rückzug der chinesischen Muttergesellschaft Bohai Automotive Systems. Diese hatte zuvor über eine sogenannte Patronatserklärung die finanziellen Verpflichtungen gegenüber den deutschen Gesellschaften abgesichert. Mit der Aufhebung dieser Garantie war klar: Ohne frisches Kapital und Unterstützung von außen drohte die Zahlungsunfähigkeit.
Weitere Belastungsfaktoren
- Rückläufige Auftragslage bei Verbrennungsmotor-Komponenten
- Steigende Energie- und Rohstoffpreise
- Unterbrochene Lieferketten durch internationale Krisen
- Fachkräftemangel und hoher Rekrutierungsdruck
- Fehlende Innovationskraft im Bereich E-Mobilität
Wie es jetzt weitergeht
Trotz der Insolvenz läuft die Produktion an beiden Standorten derzeit weiter – unter der Aufsicht des Insolvenzverwalters Olaf Spiekermann von der Kanzlei Brinkmann & Partner. Dieser lobte in einem ersten Statement die „hohe Motivation der Belegschaft“ sowie die „unkomplizierte Zusammenarbeit mit den Kunden“. Die Löhne der Beschäftigten sind zunächst durch Insolvenzgeld abgesichert. Ab Juli 2025 übernimmt das Unternehmen wieder selbst die Zahlungen – sofern ausreichend Liquidität besteht.
Derzeit wird ein strukturiertes Investorenverfahren vorbereitet. Gespräche mit potenziellen strategischen Partnern laufen. Auch Kunden wie Mercedes oder VW zeigen sich offen, als Kooperationspartner in die Sanierung eingebunden zu werden. In Unternehmenskreisen heißt es, es gebe bereits „ernsthafte Interessenten“, die an einem Einstieg interessiert seien.
Die Situation aus Sicht der Belegschaft
In sozialen Netzwerken wie Facebook oder X berichten Mitarbeitende von wachsender Unsicherheit und Zukunftsängsten. In einer lokalen Gruppe schreibt ein Nutzer:
„Meine Schwester arbeitet dort – Stimmung ist angespannt, viele sorgen sich um nächste Schritte.“
In Foren der IG Metall wird zudem über mangelndes Vertrauen in Investorenprozesse diskutiert. Ein Mitglied schreibt:
„Investoren-Verhandlungen dauern Monate – bis dahin fehlt Klarheit, wie lang Insolvenzgeld greift.“
Auf Business-Netzwerken wie LinkedIn zeigen sich bereits erste berufliche Umorientierungen. Mehrere Mitarbeitende haben ihre Profile aktualisiert und signalisieren Wechselbereitschaft. Ein typischer Post:
„Danke Bohai, 5 Jahre Erfahrung. Jetzt offen für neue Aufgaben im E-Mobility-Umfeld.“
Die Rolle der Region und der Politik
Bohai Trimet ist nicht nur ein Unternehmen – es ist ein struktureller Anker für Harzgerode und Sömmerda. In Harzgerode zählt das Werk zu den größten Arbeitgebern. Laut Insolvenzverwalter hängen weitere 500 indirekte Arbeitsplätze in Zulieferbetrieben und Dienstleistungsunternehmen von der Produktionskette ab. Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären bei einer vollständigen Schließung erheblich.
In politischen Kreisen wird die Insolvenz daher auch als Warnruf verstanden. In sozialen Netzwerken fordern Vertreter kleinerer Parteien bereits industriepolitische Maßnahmen:
- Ein staatlicher Stabilisierungsfonds für kriselnde Zulieferer
- Förderprogramme für den Technologietransfer Richtung E-Mobilität
- Regionale Jobbörsen und Weiterbildungsangebote für Betroffene
Markttrends und Perspektiven der Branche
Die Krise bei Bohai Trimet ist kein Einzelfall. Branchenanalysen zeigen, dass sich die Automobilzulieferindustrie in einer massiven Umbruchphase befindet. Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young prognostiziert bis 2035 den Abbau von bis zu 190.000 Arbeitsplätzen in diesem Sektor – getrieben durch Automatisierung, Digitalisierung und neue Mobilitätsformen.
Besonders betroffen sind kleine und mittlere Zulieferer, die stark auf Komponenten für Verbrennerfahrzeuge spezialisiert sind. Ohne Investitionen in alternative Antriebe, Softwareintegration und Plattformlösungen droht vielen dieser Unternehmen das wirtschaftliche Aus.
Branchenüberblick in Zahlen
Jahr | Rückgang Aufträge (%) | Stellenabbau gesamt |
---|---|---|
2022 | -4,3 % | 10.200 |
2023 | -5,9 % | 13.500 |
2024 | -8,1 % | 19.000 |
Prognose 2035 | – | bis zu 190.000 |
Chancen durch Investoren – oder struktureller Niedergang?
Ob Bohai Trimet gerettet werden kann, hängt maßgeblich von der Investorensuche ab. Dass namhafte Kunden wie Mercedes und VW weiterhin an einer Zusammenarbeit interessiert sind, wird allgemein als gutes Signal gewertet. Dennoch ist klar: Der neue Eigentümer müsste erhebliche Mittel in die Hand nehmen, um die Werke für die Zukunft fit zu machen – etwa durch Digitalisierungsmaßnahmen, Automatisierung und den Umbau der Produktion für Komponenten elektrifizierter Fahrzeuge.
Ein weiterer Erfolgsfaktor: die frühzeitige Einbindung der Belegschaft. Nur wenn Know-how gehalten und Motivation erhalten bleibt, kann die Transformation gelingen. Derzeit jedoch mehren sich in den Werkshallen die Stimmen der Skepsis.
Fazit: Bohai Trimet als Spiegelbild eines systemischen Problems
Die Insolvenz von Bohai Trimet zeigt, wie stark mittelständische Zulieferer unter dem Druck der globalen Transformation stehen. Hohe Kosten, technische Umwälzungen und der Rückzug internationaler Investoren treffen Regionen wie den Harz besonders hart. Trotz laufender Produktion, sicherer Gehälter und positiver Signale aus der Industrie ist die Zukunft des Unternehmens – und vieler ähnlicher Betriebe – ungewiss.
Was bleibt, ist ein Appell an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Es braucht mehr als Sanierungsverwalter und Investoren. Es braucht langfristige Strategien, um die Industrie in strukturschwachen Regionen zu sichern – und gleichzeitig fit für die Zukunft zu machen.