
Wernigerode, 13. Juni 2025, 08:00 Uhr
Landkreis Harz übernimmt Brockenplateau – Chancen und Konflikte am höchsten Gipfel Norddeutschlands
Der Landkreis Harz ist seit dem 12. Juni 2025 offizieller Eigentümer des Brockenplateaus. Mit der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrags für das etwa 13.000 Quadratmeter große Areal rund um den Brockengipfel wechselt ein zentrales Symbol deutscher Natur- und Tourismusgeschichte in kommunale Hand. Der Schritt wird von ambitionierten Entwicklungszielen, aber auch von intensiven Debatten und kritischen Stimmen begleitet.
Ein historischer Eigentumswechsel
Über viele Jahre hinweg befand sich das Gipfelareal des Brockens im Besitz eines Bankenkonsortiums bestehend aus der NordLB und der Harzsparkasse. Diese hatten das Grundstück 2008 von der Deutschen Telekom übernommen. Für 3,5 Millionen Euro geht der Gipfel nun in den Besitz des Landkreises Harz über – inklusive Brockenhotel, Goethe- und Touristensaal sowie technischer Gebäude.
Der Brocken, mit 1141 Metern der höchste Berg Norddeutschlands, ist seit Jahrhunderten nicht nur geografisch bedeutend, sondern auch kulturell aufgeladen: Von Goethe über Heine bis hin zu DDR-Grenztruppen reicht seine wechselvolle Geschichte. Der jetzige Erwerb soll die Zukunft des Plateaus maßgeblich gestalten.
Zukunftspläne: Infrastruktur, Tourismus und Veranstaltungen
Der Landkreis verfolgt mit dem Kauf klare Ziele. Die bestehende touristische Infrastruktur soll aufgewertet und neu belebt werden. Geplant ist unter anderem:
- die umfassende Sanierung des Brockenhotels,
- die Umwandlung eines ehemaligen Telekom-Gebäudes in einen Veranstaltungssaal mit Platz für bis zu 500 Personen,
- die Modernisierung bestehender Veranstaltungsstätten wie dem Goethe- und Touristensaal.
Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, den Brocken noch stärker als ganzjährigen Veranstaltungsort zu etablieren – für kulturelle Events, Kongresse und sportliche Großereignisse gleichermaßen.
Touristische Bedeutung und Besucherzahlen
Der Brocken zählt zu den meistbesuchten Naturzielen Deutschlands. Je nach Quelle besuchen jährlich zwischen 700.000 und 2 Millionen Menschen den Gipfel. Besonders populär sind der Goetheweg, ein 16 Kilometer langer Wanderweg von Altenau über Torfhaus, sowie die historische Brockenbahn, die Besucher aus dem Harzvorland auf den Gipfel bringt. Der Brocken ist damit ein wirtschaftlich wichtiger Pfeiler für den regionalen Tourismus.
Finanzierung und Fördermittel – Ein finanzielles Wagnis?
Die Gesamtkosten des Kaufs belaufen sich auf 3,5 Millionen Euro – eine Investition, die vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage des Landkreises Harz nicht unumstritten ist. Mit rund 331 Millionen Euro Schulden steht der Kreis unter finanziellen Druck. Die geplanten Baumaßnahmen, die sich auf weitere Millionenbeträge belaufen könnten, werden durch Fördermittel des Landes Sachsen-Anhalt flankiert.
Geplant ist, bis zu 60 Prozent der Kosten aus öffentlichen Mitteln zu decken. In Kooperation mit weiteren Partnern ist sogar eine Förderung von bis zu 90 Prozent denkbar. Doch der Landesrechnungshof hat Zweifel: Er warnt vor zu optimistischen Kostenkalkulationen und möglichen Folgekosten für Personal, Betrieb und Instandhaltung.
„Eine bloße Kostenübernahme für den Kauf reicht nicht. Entscheidend ist, ob der Kreis die laufenden Kosten langfristig stemmen kann.“
Widerstand und Kritik: Ist der Kauf sinnvoll?
Insbesondere aus der politischen Opposition und Teilen der Bevölkerung kommen kritische Stimmen. In kommunalpolitischen Debatten wurde der geplante Veranstaltungssaal mehrfach als „nicht notwendig“ oder sogar als „idiotisches Ziel“ bezeichnet. Die zentrale Frage lautet: Braucht der Brocken zusätzliche Gebäude, oder sollte der Fokus auf Naturschutz und sanften Tourismus gelegt werden?
Auch der ökologische Fußabdruck der geplanten Baumaßnahmen wird hinterfragt. Der Brocken liegt mitten im Nationalpark Harz, einem der artenreichsten Schutzgebiete Deutschlands. Die Region umfasst über 20 Habitat-Typen, darunter fünf FFH-prioritäre Schutzgebiete. Eingriffe in dieses sensible Ökosystem müssen unter strengen Auflagen erfolgen – ein Aspekt, der bei Planung und Umsetzung höchste Priorität einnehmen muss.
Neue Perspektiven: Forschung, Geopark und Klimawandel
Was in der öffentlichen Debatte oft übersehen wird: Der Brocken ist nicht nur ein Tourismusziel, sondern auch ein bedeutendes Zentrum für Forschung und Naturschutz. Der botanische Brockengarten etwa beherbergt rund 1.500 Pflanzenarten, darunter zahlreiche alpine Arten, die sonst nur in den Hochlagen der Alpen vorkommen. Jährlich besuchen etwa 6.000 Gäste diesen Garten, der nicht nur Schaufläche, sondern auch Forschungsstätte ist.
Zudem ist der Brocken Teil des UNESCO Global Geoparks Harz–Braunschweiger Land–Ostfalen. Dieser internationale Status verpflichtet zu nachhaltiger Entwicklung, ökologischer Bildung und dem Schutz geologischer und kultureller Ressourcen. Künftige Planungen müssen daher auch diese Dimension einbeziehen.
Klimaauswirkungen und Borkenkäferkrise
Seit mehreren Jahren steht der Harz und besonders der Brocken unter dem Einfluss klimatischer Veränderungen. Die Region weist mit einem Jahresmittel von nur 4 °C ein subalpines Klima auf, das mit über 1.800 mm Niederschlag im Jahr als extrem feucht gilt. Gleichzeitig führte der Klimawandel zu einer Ausbreitung des Borkenkäfers, der große Flächen der bisherigen Fichten-Monokultur zerstört hat. Der Nationalpark reagiert mit ökologischer Umstrukturierung, um widerstandsfähige Mischwälder zu fördern – ein Prozess, der Jahrzehnte dauern wird.
Kultur, Technik und Symbolkraft
Der Brocken war jahrzehntelang nicht nur geografisch, sondern auch politisch bedeutend. Während der DDR-Zeit war er militärisches Sperrgebiet, später wurde er für den zivilen Tourismus wieder zugänglich gemacht. Heute ist er Symbolort für deutsche Einheit, für Aufarbeitung, aber auch für Erholung und kulturelle Begegnung.
Technisch ist der Brocken ebenfalls bemerkenswert: Er beherbergt eine Wetterwarte mit über 180 Jahren Messhistorie, leistungsstarke Sendemasten sowie denkmalgeschützte Infrastrukturen wie die Brockenbahn. Künftig könnten diese Einrichtungen stärker in Bildung und Wissenschaft integriert werden – etwa durch ein geplantes Besucherzentrum oder geowissenschaftliche Führungen.
Fazit: Aufbruch oder Risiko?
Der Kauf des Brockenplateaus durch den Landkreis Harz ist ein mutiger Schritt mit Signalwirkung. Er bietet die Chance, das wichtigste Naturziel Sachsen-Anhalts aktiv mitzugestalten – mit kulturellen, ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen. Doch er birgt auch erhebliche Risiken: Finanzielle Überforderung, bauliche Eingriffe in geschützte Ökosysteme und politische Polarisierung.
Ob der Brocken unter kommunaler Regie neue Höhen erklimmt oder am Gewicht seiner Symbolik scheitert, wird die Zukunft zeigen. Der Grundstein ist gelegt – nun folgt die Herausforderung, den Spagat zwischen Naturschutz, touristischer Attraktivität und regionaler Verantwortung erfolgreich zu meistern.
Tabellarische Übersicht: Chancen vs. Risiken
Chancen | Risiken |
---|---|
Direkte Kontrolle über touristische Entwicklung | Hohe Investitions- und Folgekosten |
Ausbau als Veranstaltungs- und Kulturstandort | Kritik an Sinnhaftigkeit von Großprojekten |
Förderung nachhaltiger und regionaler Wertschöpfung | Belastung sensibler Naturräume |
Stärkung von Wissenschaft, Bildung, Forschung | Unsicherheit über langfristige Nutzungskonzepte |
Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Brocken ein Beispiel für nachhaltige Regionalpolitik wird – oder ein Mahnmal für zu große Ambitionen.