
Aschersleben – Auf dem Campus der Polizeischule Sachsen-Anhalt sorgt ein Vorfall bei einer Oktoberfest-Feier für bundesweites Aufsehen. Nach Zeugenaussagen sollen dort rassistische Parolen gefallen sein. Der Staatsschutz ermittelt nun wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Politik, Gesellschaft und Fachstellen diskutieren intensiv über die Konsequenzen und über strukturelle Probleme innerhalb der Polizei.
Der Vorfall an der Polizeischule in Sachsen-Anhalt
Eine Feier mit weitreichenden Folgen
Am 18. September fand auf dem Gelände der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt in Aschersleben eine Feier im Oktoberfest-Stil statt. Organisiert wurde das Fest von einer Polizeigewerkschaft, anwesend waren bis zu 500 angehende Polizistinnen und Polizisten. Ausgelassene Stimmung, Musik und Gemeinschaft standen eigentlich im Vordergrund – doch die Veranstaltung endete mit schwerwiegenden Vorwürfen, die inzwischen bundesweit Schlagzeilen machen.
Zeugenberichte zu rassistischen Parolen
Ein Zeuge meldete sich nach der Feier bei den Behörden und gab an, dass während des Abspielens des bekannten Liedes „L’amour toujours“ ausländerfeindliche Parolen gerufen worden seien. Nach seinen Aussagen sollen Slogans wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ lautstark von mehreren Personen skandiert worden sein. Diese Aussagen führten dazu, dass die Fachhochschule selbst Strafanzeige stellte. Ermittlungen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung wurden eingeleitet.
Rolle von Liedern und Symbolik
Das Lied „L’amour toujours“ ist seit einem Vorfall auf Sylt im Jahr 2023 in der öffentlichen Diskussion, weil es bei rechtsextremen Gruppierungen als Hintergrundmusik für fremdenfeindliche Parolen verwendet wurde. Seither gilt es als Trigger für derartige Vorfälle. Der Zusammenhang zwischen diesem Song und Parolen mit volksverhetzendem Inhalt ist daher besonders brisant und weckt Erinnerungen an ähnliche Fälle in ganz Deutschland.
Die Ermittlungen und rechtlicher Rahmen
Staatsschutz übernimmt die Untersuchung
Die Ermittlungen liegen inzwischen beim Staatsschutz, da der Verdacht auf politisch motivierte Kriminalität besteht. Dabei geht es nicht nur um die Aufklärung, wer konkret beteiligt war, sondern auch darum, ob innerhalb der Polizei ein strukturelles Problem existiert. Besonders schwer wiegt, dass sich dieser Vorfall an einer Institution ereignet hat, die Polizistinnen und Polizisten für ihre berufliche Zukunft ausbildet.
Wie läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ab, wenn Polizist:innen beteiligt sind?
Ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung folgt bestimmten rechtlichen Schritten. Liegt ein Anfangsverdacht vor, wie hier durch Zeugenaussagen, beginnt die Staatsanwaltschaft mit der Beweissicherung. Dazu gehören Zeug:innenbefragungen, Auswertung möglicher Video- oder Audioaufnahmen und gegebenenfalls digitale Spuren. Bei Polizistinnen und Polizisten kommt hinzu, dass parallel disziplinarrechtliche Maßnahmen geprüft werden, die unabhängig von strafrechtlichen Konsequenzen verhängt werden können.
Volksverhetzung im Sinne des Strafgesetzbuches
Damit eine Parole wie „Ausländer raus“ als Volksverhetzung gilt, muss sie nach §130 StGB geeignet sein, Hass gegen Teile der Bevölkerung zu schüren oder den öffentlichen Frieden zu stören. Entscheidend ist dabei nicht nur der Inhalt, sondern auch der Kontext: Wenn eine größere Menschenmenge beteiligt ist, wie bei dieser Feier, ist die Schwelle für strafbare Volksverhetzung schneller erreicht.
Reaktionen aus Politik und Gesellschaft
Politischer Druck auf die Polizeischule
Der Vorfall löste nicht nur bei den Ermittlungsbehörden, sondern auch im Landtag von Sachsen-Anhalt starke Reaktionen aus. Vertreter verschiedener Fraktionen betonten, dass eine Polizeischule eine besondere Verantwortung trage. Es müsse sichergestellt werden, dass rassistische Einstellungen keinen Platz in den Reihen der Polizei fänden. Forderungen nach Transparenz und einer umfassenden Aufklärung sind unüberhörbar.
Stimmen aus der Zivilgesellschaft
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern in sozialen Medien klare Konsequenzen. „Es reicht nicht, Einzelfälle zu prüfen, wir brauchen eine rassismuskritische Ausbildung und strukturelle Prävention in allen Polizeibehörden“, hieß es in einem viel beachteten Beitrag. Auch die Amadeu Antonio Stiftung ordnete den Vorfall als Teil einer wiederkehrenden Problemlage ein und sprach von einem „sichtbaren Muster, das endlich durchbrochen werden muss“.
Diskussion in sozialen Netzwerken
Auf Plattformen wie Reddit wird der Fall teils sarkastisch kommentiert. Nutzer sprachen von einem „Kriminalitätsschwerpunkt Polizeischule“ und forderten eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Polizeikriminalität. Diese Stimmen spiegeln ein wachsendes Misstrauen in Teilen der Bevölkerung wider, wenn es um die Selbstkontrolle von Polizeiinstitutionen geht.
Hintergrund: Rassismus in Polizeistrukturen
Studienlage zum Thema Diskriminierung
Mehrere aktuelle Studien zeigen, dass Diskriminierung in Polizeistrukturen kein singuläres Problem ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2025 eine Untersuchung veröffentlicht, die aufzeigt, dass Diskriminierung nicht nur rassistische Aspekte betrifft, sondern auch Alter, Geschlecht, Religion oder soziale Herkunft. Führungskräfte wurden in der Studie ausdrücklich aufgefordert, ein diskriminierungsfreies Klima vorzuleben. Empfohlen wurden verpflichtende Schulungen, unabhängige Beschwerdestellen und tiefgreifende strukturelle Reformen.
Statistische Einordnung
Eine Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration von 2023 ergab, dass 8 % der Personen, die als „ausländisch wahrgenommen“ werden, im letzten Jahr polizeilich kontrolliert wurden – im Vergleich zu 4 % bei nicht so wahrgenommenen Personen. Der Rassismusmonitor 2025 zeigt zudem, dass 19 % muslimischer Männer von Diskriminierungserfahrungen mit der Polizei berichteten. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Problematik nicht auf Einzelfälle beschränkt ist.
Institutionelle Mechanismen
Eine Studie des Instituts für öffentliche Sicherheit (FOEPS) in Berlin legte dar, dass institutioneller Rassismus in Polizeibehörden durch bestimmte Mechanismen verstärkt wird. Dazu zählen selektive Auswertung von Verdachtsmomenten, In-Group/Out-Group-Denken und dominante Kulturmodelle in Behörden. Ohne externe Kontrolle und gesellschaftliche Transparenz ist eine nachhaltige Lösung schwer zu erreichen.
Vergleiche mit ähnlichen Vorfällen
Die Rolle von „L’amour toujours“ bei Partyrufen
Die Frage taucht immer wieder auf: Wie oft wurden in Deutschland Partyrufe zur Melodie von „L’amour toujours“ bereits strafrechtlich verfolgt? Zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 gab es über 360 Einsatzfälle, in denen diese Parolen in Verbindung mit dem Song dokumentiert wurden. Damit ist klar: Der aktuelle Vorfall in Sachsen-Anhalt ist Teil einer Entwicklung, die längst bundesweit bekannt ist und rechtliche Konsequenzen nach sich zieht.
Strukturelle Lösungsansätze und Forderungen
Welche Rolle spielt der Staatsschutz bei Ermittlungen gegen Polizist:innen?
Der Staatsschutz ist die zuständige Einheit, wenn es um politisch motivierte Kriminalität geht. Er ermittelt unabhängig von der Polizeischule selbst, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Gerade bei Vorwürfen gegen Polizistinnen und Polizisten soll dadurch sichergestellt werden, dass nicht „die Polizei gegen sich selbst“ ermittelt, sondern eine übergeordnete Stelle tätig wird.
Empfehlungen von Fachstellen
Antidiskriminierungsstellen, Forschungsinstitute und NGOs fordern eine Kombination aus konsequenter Strafverfolgung und langfristigen Reformen. Dazu gehören:
- Verpflichtende Fortbildungen zu Antirassismus und Demokratiekompetenz.
- Unabhängige Beschwerdestellen für Bürgerinnen und Bürger.
- Strikte Transparenz bei Disziplinarverfahren innerhalb der Polizei.
- Öffentliche Kommunikation über Vorfälle, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Was haben Bildungs- oder Antidiskriminierungsstellen über strukturellen Rassismus bei der Polizei herausgefunden?
Studien betonen, dass es nicht nur um individuelle Verfehlungen geht, sondern um institutionelle Mechanismen. Selektive Verdachtsbildung, Routinen, die auf vermeintlicher Nationalität basieren, und fehlende externe Kontrolle werden als zentrale Probleme genannt. Führungspersonal wird dabei eine Schlüsselrolle zugesprochen, da es durch sein Verhalten die Kultur innerhalb der Organisation maßgeblich prägt.
Öffentlicher Druck und zivilgesellschaftliche Forderungen
Die aktuelle Diskussion zeigt deutlich, dass sich die Gesellschaft nicht mit bloßen Einzelermittlungen zufriedengibt. Die Forderung nach struktureller Veränderung innerhalb der Polizeibehörden wird lauter. Vorfälle wie in Aschersleben sind nicht nur eine Herausforderung für das Vertrauen in die Polizei, sondern auch ein Prüfstein für die demokratische Kultur in Deutschland.
Abschließender Blick auf die Debatte und ihre Bedeutung
Der Volksverhetzungs-Verdacht bei der Polizei-Feier in Sachsen-Anhalt hat weitreichende Debatten angestoßen. Er wirft die Frage auf, wie ernst Polizei und Politik das Problem rassistischer Haltungen in den eigenen Reihen nehmen. Die große Aufmerksamkeit in Medien, Politik und sozialen Netzwerken zeigt, dass die Öffentlichkeit ein deutliches Signal erwartet. Ob es gelingt, aus diesem Vorfall eine nachhaltige Debatte über strukturelle Reformen zu machen, bleibt offen – doch klar ist, dass die Polizeischule in Aschersleben und die Landesregierung unter genauer Beobachtung stehen.