Wernigerode

Wernigerode: Neue Konzepte für die Harzer Schmalspurbahnen in Planung

Wernigerode – Die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) stehen vor entscheidenden Weichenstellungen. Angesichts wachsender Defizite, enormer Investitionsbedarfe und politischem Druck beraten Aufsichtsrat, Gesellschafter und Politik über ein umfassendes Zukunftskonzept. Die Diskussion berührt nicht nur die Region, sondern auch das kulturelle und touristische Herz des Harz.

Ein Traditionsbetrieb in der Krise

Die aktuelle Lage der HSB

Die Harzer Schmalspurbahnen sind seit Jahrzehnten ein Wahrzeichen des Harz. Mit über 140 Kilometern Streckennetz, 25 Dampflokomotiven und zahlreichen Triebwagen handelt es sich um das größte zusammenhängende Schmalspurnetz in Deutschland. Doch die romantischen Bilder von Dampfwolken vor der Kulisse des Brockens täuschen nicht darüber hinweg, dass die HSB in einer schweren wirtschaftlichen Krise steckt. 2023 verbuchte das Unternehmen ein Defizit von 2,4 Millionen Euro, 2024 bereits 5,6 Millionen Euro, und auch 2025 zeichnen sich Millionenverluste ab.

Die Gründe sind vielfältig: gestiegene Energiepreise, hohe Instandhaltungskosten, ein Sanierungsstau bei Gleisen und Fahrzeugen sowie der demografische Wandel beim Fachpersonal. Infrastrukturministerin Lydia Hüskens brachte es auf den Punkt: „Nicht jedes Defizit kann künftig einfach ausgeglichen werden.“

Die Forderung nach einem Zukunftskonzept

Angesichts dieser Lage hat die Landespolitik die HSB verpflichtet, ein Zukunftskonzept vorzulegen. Bis Ende des Jahres soll klar sein, wie die Bahn ihre Finanzen stabilisieren und zugleich den Betrieb sichern will. Das Konzept, erarbeitet von der Beratungsfirma SCI Verkehr, umfasst Szenarien zur Modernisierung, mögliche Anpassungen im Fahrplan und sogar die Reduktion einzelner Streckenabschnitte.

Das „Zukunftskonzept 2030“ – Leitlinien und Schwerpunkte

Struktur und Inhalte

Das „Zukunftskonzept 2030“ versteht sich als Entwicklungs- und Konsolidierungsstrategie. Es setzt auf mehrere Säulen:

  • Optimierung der Unternehmensstruktur: effizientere Abläufe, bessere Koordination zwischen den Gesellschaftern und transparente Kostenkontrolle.
  • Modernisierung der Infrastruktur: Instandsetzung des maroden Gleisnetzes, Neubau und Aufrüstung von Werkstätten.
  • Fahrzeugkonzept: Anschaffung neuer Hybrid- oder Dieseltriebwagen als Ergänzung zum Dampfbetrieb.
  • Touristische Positionierung: bessere Taktung, mehr Komfort, stärkere Ausrichtung auf Zielgruppen wie Familien und internationale Gäste.
  • Finanzierungsmodell: klare Aufteilung zwischen Landesmitteln, Gesellschafterbeiträgen und Einnahmen aus Ticketverkäufen.

Investitionsbedarf in Milliardenhöhe

Nach Berechnungen des Gutachtens sind bis 2045 rund 544,1 Millionen Euro für Investitionen sowie 253,2 Millionen Euro für laufende Kosten erforderlich. Insgesamt ergibt sich ein Finanzbedarf von fast 800 Millionen Euro. Dieser Betrag soll nicht allein durch die HSB getragen werden – Länder und Kommunen sind in der Pflicht, ihren Beitrag zu leisten. Sachsen-Anhalt hat bereits Soforthilfen in Höhe von 8,1 Millionen Euro zugesagt, die sich auf die Jahre 2024 und 2025 verteilen.

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Streckenstilllegungen als letztes Mittel?

Immer wieder stellt sich die Frage, ob einzelne Strecken stillgelegt werden müssen. Besonders die Selketalbahn gilt als gefährdet. Das Gutachten stellt Szenarien vor, in denen nur touristisch stark frequentierte Linien, wie die Brockenbahn, in vollem Umfang erhalten bleiben. „Die Existenz der HSB steht infrage, falls es keine weiteren Fördermittel gibt“, warnte der Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Balcerowski. Damit wird ein möglicher drastischer Einschnitt nicht ausgeschlossen.

Fragen aus der Öffentlichkeit

Wie sieht das „Zukunftskonzept 2030“ der HSB konkret aus?

Das Konzept ist ein Bündel aus organisatorischen, technischen und finanziellen Maßnahmen. Im Kern geht es darum, die Strukturen effizienter zu gestalten, die Fahrzeugflotte zu erneuern und eine langfristige Finanzierung sicherzustellen. Die Veröffentlichung erfolgte gegenüber Politik, Gesellschaftern und Belegschaft Mitte 2025, wobei die Details in laufenden Gesprächen konkretisiert werden.

Drohen Streckenstilllegungen oder Einschränkungen im Fahrplan?

Ja, diese Gefahr besteht. Insbesondere bei schwach frequentierten Strecken wie der Selketalbahn wird geprüft, ob ein reduzierter Betrieb oder gar eine Stilllegung wirtschaftlich sinnvoll wäre. Der touristische Hauptmagnet, die Brockenbahn, gilt dagegen als gesichert.

Wie hoch ist der finanzielle Bedarf der HSB und wie soll er gedeckt werden?

Der Bedarf liegt bei knapp 800 Millionen Euro bis 2045. Gedeckt werden soll er durch eine Kombination aus Landeszuschüssen, Fördermitteln, Gesellschafterbeiträgen und möglichen Preissteigerungen bei den Tickets. Erste Hilfen fließen bereits – Sachsen-Anhalt hat über 8 Millionen Euro bereitgestellt.

Wird es Personalabbau geben?

Ein wichtiger Aspekt: Laut Unternehmensführung und Konzept ist kein Personalabbau vorgesehen. Die HSB möchte verlässlicher Arbeitgeber bleiben und setzt auf Effizienzsteigerung und neue Einnahmemodelle statt auf Stellenstreichungen.

Welche Rolle spielen alternative Antriebe?

Im Konzept ist eine deutliche Modernisierung der Fahrzeugflotte vorgesehen. Neben der klassischen Dampflok sollen künftig Hybridtriebwagen zum Einsatz kommen. Zusätzlich wird die Umrüstung von Dampfloks auf Leichtöl diskutiert, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.

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Die Sicht der Belegschaft und Bevölkerung

Stimmen aus Foren und sozialen Medien

In Foren und sozialen Netzwerken diskutieren Eisenbahnfans und Fahrgäste lebhaft die Zukunft der HSB. Dabei wird deutlich, dass es neben der finanziellen und technischen Perspektive auch eine emotionale Komponente gibt. Viele verbinden die Dampfloks mit Kindheitserinnerungen oder sehen sie als identitätsstiftendes Symbol des Harz. Doch es gibt auch kritische Stimmen: Häufige Verspätungen, Schienenersatzverkehr und marode Gleise werden moniert. Zudem herrscht Skepsis, ob die Menschen bereit sind, deutlich höhere Ticketpreise zu zahlen, wenn der Service nicht zugleich verbessert wird.

Touristische Bedeutung

Für die Tourismuswirtschaft im Harz ist die HSB unverzichtbar. Jährlich nutzen Hunderttausende Besucher die Züge, um den Brocken oder andere Attraktionen zu erreichen. Der Harz Tourismusverband sieht die Bahn als „einzigartige Attraktion mit internationaler Strahlkraft“. Ein Ausfall oder eine Reduzierung des Angebots könnte gravierende Folgen für Hotels, Gastronomie und Freizeitwirtschaft haben.

Technische Herausforderungen und Investitionsbedarf

Sanierungsstau bei Gleisen und Werkstätten

Ein zentrales Problem sind die Gleisanlagen, von denen viele dringend erneuert werden müssen. Teilweise mussten bereits Abschnitte gesperrt werden. Auch die Werkstattinfrastruktur ist nicht für moderne Fahrzeuge ausgelegt. Eine neue Werkstatt wurde zwar gebaut, doch deren Kapazität reicht bei weitem nicht aus, um die gesamte Flotte zuverlässig zu betreuen. Ohne eine umfassende Modernisierung droht der Betrieb langfristig zum Erliegen zu kommen.

Der Fuhrpark zwischen Tradition und Zukunft

Die Mischung aus 25 Dampflokomotiven, 12 Dieselloks und 10 Triebwagen macht die HSB einzigartig, aber auch kompliziert im Unterhalt. Besonders die Dampfloks verursachen hohe Kosten für Instandhaltung und Brennstoffe. Gleichzeitig sind sie aber das Herzstück des touristischen Angebots. Hier gilt es, einen Spagat zwischen Tradition und Innovation zu meistern.

Politische und gesellschaftliche Verantwortung

Die Rolle der Landespolitik

Die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen in der Verantwortung, da die HSB weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt ist. Während Sachsen-Anhalt bereits Hilfen zugesagt hat, laufen die Gespräche mit Thüringen noch. Der politische Druck ist hoch, denn ohne staatliche Unterstützung wären tiefgreifende Einschnitte unvermeidlich.

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Gesellschaftliche Debatte

In der Bevölkerung ist die Debatte um die HSB ebenfalls angekommen. Während die einen den Erhalt der Dampfbahn um jeden Preis fordern, sehen andere die hohen Zuschüsse kritisch. Es ist eine Abwägung zwischen Tradition, Kultur, Tourismusförderung und wirtschaftlicher Vernunft.

Wie geht es mit den Fahrgästen weiter?

Für viele Fahrgäste ist nicht entscheidend, ob eine Dampflok oder ein Hybridtriebwagen vor den Wagen hängt – sie erwarten Pünktlichkeit, Sicherheit und ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Zukunftskonzept muss daher nicht nur die Technik, sondern auch das Kundenerlebnis verbessern.

Fazit: Zwischen Dampfromantik und Zukunftsrealität

Die Harzer Schmalspurbahnen stehen sinnbildlich für die Herausforderungen des Harz: Tradition und Identität einerseits, wirtschaftliche Zwänge und Modernisierungsdruck andererseits. Klar ist: Ohne Milliardeninvestitionen, politische Rückendeckung und die Akzeptanz der Bevölkerung wird das „Zukunftskonzept 2030“ nicht ausreichen. Doch ebenso klar ist, dass der Harz seine Dampfbahnen nicht verlieren darf – sie sind mehr als nur ein Verkehrsmittel, sie sind ein kulturelles Erbe und ein Motor für den Tourismus. In den kommenden Monaten werden die Entscheidungen fallen, die über die Zukunft der HSB und damit auch über einen Teil der Identität des Harz bestimmen.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.