Goslar

Tourismus kontra Naturschutz Grünes Licht für Eingriffe in die Natur: Kreistag Goslar stimmt Maßnahmen im Harz zu

Goslar. Der Kreistag Goslar hat beschlossen, mehrere Flächen im Landschaftsschutzgebiet Harz für touristische Projekte freizugeben. Während die Entscheidung wirtschaftliche Chancen eröffnet, sehen Naturschützer eine gefährliche Weichenstellung. Der Konflikt zwischen Naturerhalt und Tourismusentwicklung erreicht damit im Harz eine neue Dimension.

Ein Kreistagsbeschluss mit Tragweite

Im Oktober 2025 hat der Kreistag des Landkreises Goslar eine Entscheidung getroffen, die weit über die Grenzen des Landkreises hinaus Bedeutung hat. Mit der Genehmigung sogenannter „Natureingriffe“ öffnet die Politik die Tür für neue touristische Projekte in Braunlage, Bad Harzburg und Hahnenklee. Diese Orte gelten als touristische Aushängeschilder des Harzes – doch sie liegen zugleich in einem der größten Landschaftsschutzgebiete Niedersachsens. Die Spannung zwischen ökonomischen Interessen und ökologischem Schutz wird damit sichtbarer denn je.

Geplant sind insbesondere drei Projekte: In Braunlage soll das bestehende „Hearts Hotel“ um ein naturnahes „Nature Home“ mit bis zu 24 Wohneinheiten erweitert werden. In Bad Harzburg steht ein Ausbau im Bereich „Kaltes Tal“ bevor – hier soll eine neue Wipfel-Erlebniswelt entstehen. Und in Hahnenklee wurde das Entlassungsverfahren am Bocksberg gestartet, um eine touristische Aufwertung des Geländes zu ermöglichen. Alle Projekte erfordern Eingriffe in den Landschaftsschutz – und stoßen damit auf Zustimmung wie auf Kritik.

Warum Eingriffe in Schutzgebiete möglich sind

Viele Bürger fragen sich: Wie ist das rechtliche Verfahren, wenn Flächen aus einem Landschaftsschutzgebiet entlassen werden können? Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit bei der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises. Diese prüft, ob die Eingriffe rechtlich vertretbar und durch Ausgleichsmaßnahmen kompensierbar sind. Genehmigt werden dürfen Projekte nur dann, wenn der Eingriff „nicht vermeidbar“ ist und der Eingriff durch Maßnahmen wie Aufforstung, Renaturierung oder Habitataufwertung ausgeglichen werden kann. Erst danach dürfen Bauvorhaben innerhalb des Schutzgebiets beginnen.

Diese juristische Grundlage erklärt, warum der Beschluss des Kreistags kein Automatismus ist, sondern Ergebnis eines komplexen Verwaltungsverfahrens. Dennoch: Die Kritik bleibt. Naturschützer werfen dem Landkreis vor, den Schutzstatus zu verwässern und langfristig eine Aushöhlung des Landschaftsschutzes zu riskieren.

Der Harz zwischen Wirtschaft und Wildnis

Der Harz ist mit rund 38.975 Hektar Landschaftsschutzgebiet eine der ökologisch vielfältigsten Regionen Deutschlands. Das Gebiet umfasst Moore, Bergwiesen, Fließgewässer, Schluchtwälder und beherbergt seltene Tierarten wie den Schwarzstorch, den Luchs und die Wildkatze. Diese Vielfalt steht im Spannungsfeld wachsender touristischer Nachfrage. Rund 2,5 Millionen Gäste besuchen den Harz jährlich – Tendenz steigend.

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Schon heute sind viele Harz-Orte stark vom Tourismus abhängig. Das wirtschaftliche Argument ist daher schlagkräftig: Mehr Besucher bedeuten mehr Einnahmen für Gastronomie, Hotels und Freizeitbetriebe. Befürworter des Kreistagsbeschlusses betonen, dass neue Attraktionen die Region modernisieren und zukunftsfähig machen. Doch Gegner warnen, dass der Harz als Naturraum zum „Eventpark“ zu werden droht.

Touristische Projekte im Überblick

Ort Projekt Geplanter Eingriff
Braunlage Erweiterung des Hearts Hotel („Nature Home“) Bau von 20–24 naturnahen Ferienhäusern
Bad Harzburg Neue Wipfel-Erlebniswelt im „Kalten Tal“ Ausweitung touristischer Infrastruktur
Hahnenklee Bocksberg-Projekt Teilweise Entlassung aus dem Landschaftsschutzgebiet

Bad Harzburg im Fokus: Kaltes Tal als Brennpunkt

Das „Kalte Tal“ in Bad Harzburg ist ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen Erlebnisorientierung und Naturschutz. Hier befindet sich der berühmte Baumwipfelpfad Harz, der Besucher über 26 Meter hohe Stege durch die Baumkronen führt. Mit jährlich rund 230.000 Besuchern hat sich der Pfad zur wichtigsten Attraktion der Region entwickelt. Wirtschaftlich ein Erfolg, ökologisch jedoch ein Balanceakt. Viele Gäste erwarten Ruhe und Naturerlebnis – doch die steigende Besucherzahl belastet Flora und Fauna.

Unterhalb des Pfades wurde kürzlich eine Schranke installiert, um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Offiziell dient sie dem Amphibienschutz, steht aber noch offen, weil technische Abstimmungen und Restarbeiten laufen. Das Beispiel zeigt, wie sensibel Eingriffe in den Harz abgewogen werden müssen, um den Schutzgedanken zu wahren.

Erlebniswelt und Umweltbildung: Zwei Seiten einer Medaille

Direkt neben dem Baumwipfelpfad liegt der „Baumwurzelpfad“, ein 800 Meter langer Naturerlebnispfad, der Besucher unter die Erde führt. Hier können sie Wurzelsysteme, Insekten und Bodenschichten hautnah entdecken. Das Konzept gilt als gelungenes Beispiel für Umweltbildung im Harz – ein Ansatz, der zeigt, dass Tourismus und Naturschutz durchaus Hand in Hand gehen können, wenn er pädagogisch begleitet wird.

Konflikte und Akzeptanzprobleme

Studien zur Akzeptanz von Großschutzgebieten zeigen, dass Konflikte häufig nicht aus mangelndem Naturschutzverständnis, sondern aus Kommunikationsdefiziten entstehen. Viele Bürger fühlen sich unzureichend informiert oder nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Im Harz äußert sich das etwa in Bürgerinitiativen, die fordern, dass Tourismusprojekte nachhaltiger und partizipativer geplant werden.

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Was sagen Umweltverbände?

Der NABU und andere Umweltorganisationen warnen seit Jahren vor der Übernutzung des Harzes. In einer bundesweiten Studie wird bemängelt, dass personelle Engpässe in Naturschutzbehörden die Umsetzung europäischer Schutzgebietsziele gefährden. Wenn Projekte wie im Landkreis Goslar schneller genehmigt als kontrolliert werden, droht langfristig der Verlust ökologischer Qualität. „Wir sehen ein strukturelles Defizit im Vollzug des Naturschutzes“, heißt es dort.

Tourismus als Wirtschaftsmotor – aber zu welchem Preis?

Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist unbestritten. Der Baumwipfelpfad in Bad Harzburg wurde mit EU-Mitteln (EFRE) gefördert und hat die Besucherzahlen verdoppelt. Neue Projekte sollen diese Erfolgsgeschichte fortsetzen. Doch ökologisch sensible Bereiche geraten zunehmend unter Druck. Experten betonen, dass der Harz nur dann zukunftsfähig bleibt, wenn die Balance zwischen Schutz und Nutzung gelingt. Nachhaltige Besucherlenkung, CO₂-neutrale Bauweise und konsequente Renaturierungsauflagen könnten ein Mittelweg sein.

Stimmen aus der Bevölkerung und sozialen Medien

In den sozialen Netzwerken ist die Debatte lebendig. Auf Facebook-Seiten lokaler Tourismusverbände überwiegt die Zustimmung – viele sehen in den Projekten eine Chance, den Harz moderner zu präsentieren. Kritische Stimmen hingegen warnen vor einer „Eventisierung der Natur“. In Foren wie Tripadvisor loben Besucher den Baumwipfelpfad als „beeindruckendes Naturerlebnis“, fordern aber gleichzeitig mehr Rückzugsräume und weniger Kommerzialisierung.

Ein Nutzer schreibt: „Ich liebe den Harz, aber manchmal fühle ich mich mehr wie in einem Freizeitpark als in einem Naturparadies.“ Diese Wahrnehmung unterstreicht das zentrale Spannungsfeld: Wie viel Erlebnis verträgt die Natur?

Ausgleichsmaßnahmen als Schlüssel

Eine häufige Bürgerfrage lautet: Welche Ausgleichsmaßnahmen sieht der Landkreis Goslar vor, wenn Natureingriffe genehmigt werden? Die Antwort: Jede Genehmigung wird an konkrete Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen gekoppelt. Dazu gehören Pflanzungen heimischer Baumarten, Wiederherstellung von Feuchtbiotopen oder ökologische Aufwertungen in benachbarten Gebieten. Diese Maßnahmen müssen dokumentiert und langfristig gepflegt werden. Doch Kritiker zweifeln, ob die Umsetzung tatsächlich ausreichend kontrolliert wird.

Hintergrund: Der rechtliche Rahmen

Das niedersächsische Naturschutzgesetz erlaubt Eingriffe in Schutzgebiete nur, wenn das „überwiegende öffentliche Interesse“ gegeben ist. Tourismusförderung kann darunterfallen, wenn sie Arbeitsplätze schafft oder regionale Entwicklung stärkt. Die Entscheidungshoheit liegt bei den Landkreisen. Für Goslar bedeutet das: Der Kreistag trägt Verantwortung, die Interessen von Umwelt, Wirtschaft und Bevölkerung auszubalancieren – ein Spagat, der selten konfliktfrei gelingt.

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Harz im Wandel: Zwischen Vision und Verantwortung

Insgesamt zeigt sich, dass der Harz vor einer Richtungsentscheidung steht. Die Region will modern und attraktiv bleiben, gleichzeitig aber ihre einzigartige Natur bewahren. Projekte wie in Bad Harzburg oder Braunlage verdeutlichen, dass Tourismusentwicklung und Naturschutz nicht zwangsläufig Gegensätze sein müssen – sofern Planung, Kommunikation und Kontrolle stimmen.

Erfahrungen aus dem Nationalpark Harz und internationalen Schutzgebieten wie Yosemite zeigen, dass Akzeptanz und Transparenz entscheidend sind. Wo Bürgerinnen und Bürger frühzeitig eingebunden werden, entstehen tragfähige Lösungen. Fehlt diese Beteiligung, wachsen Misstrauen und Widerstand.

Fazit: Der Harz braucht Mut zur Balance

Die Entscheidung des Kreistags Goslar markiert einen Wendepunkt für den Harz. Sie ist ein Signal für wirtschaftliche Ambition – aber auch ein Prüfstein für den Naturschutz. Der Harz lebt von seiner natürlichen Schönheit, seinem Artenreichtum und seiner kulturellen Identität. Werden diese Werte zu Gunsten kurzfristiger Gewinne geopfert, droht der Verlust dessen, was den Harz einzigartig macht.

Gleichzeitig bietet die aktuelle Entwicklung auch Chancen: Mit nachhaltigem Tourismus, transparenter Bürgerbeteiligung und verbindlichen ökologischen Standards kann der Harz ein Modell für zukunftsfähige Regionalentwicklung werden. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Region diesen Weg mit Verantwortung beschreitet – oder ob wirtschaftlicher Druck die Grenzen des Möglichen übersteigt.

Der Harz steht damit sinnbildlich für eine Frage, die weit über Niedersachsen hinausreicht: Wie lässt sich Natur bewahren, wenn ihre Schönheit zugleich ihr größter Wirtschaftsfaktor ist?

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.