
Goslar – Mitten im historischen Herzen der UNESCO-Welterbestadt Goslar sorgt der überraschende Rückzug des Investors Hans-Joachim Tessner für Aufsehen. Das geplante 70-Millionen-Euro-Projekt „Kaiserpfalzquartier“, das Tagungshotel, Veranstaltungshalle und neue Parklösungen vereinen sollte, steht damit vor einer ungewissen Zukunft. Der Ausstieg folgt auf monatelange Kritik von Naturschutz- und Heimatverbänden, die das Vorhaben als Gefahr für das Welterbe sahen.
Ein Großprojekt mit historischem Standort
Das „Kaiserpfalzquartier“ war als Leuchtturmprojekt in unmittelbarer Nähe zur Kaiserpfalz geplant – einem der bedeutendsten Bauwerke des Mittelalters und zentralem Bestandteil des UNESCO-Welterbes in Goslar. Ziel war es, die Stadt für Kongresse, Tagungen und größere Veranstaltungen attraktiver zu machen. Herzstück sollten ein modernes Tagungshotel, eine multifunktionale Veranstaltungshalle sowie eine neue Parklösung sein, die den erwarteten Besucherandrang bewältigen könnte.
Der Investor, Hans-Joachim Tessner, hatte das Projekt maßgeblich vorangetrieben. Seine Vision: Goslar als Standort für hochwertige Events etablieren, den Tourismus auch außerhalb der klassischen Saison stärken und die Wirtschaftskraft der Stadt erhöhen.
Warum steigt der Investor aus?
Die entscheidende Frage, die sich viele Bürgerinnen und Bürger stellen, lautet: Warum zieht sich der Investor beim 70-Millionen-Euro-Projekt in Goslar zurück? Die Antwort liegt in einer Mischung aus öffentlichen Auseinandersetzungen, langjährigen Konflikten und zuletzt sehr deutlicher Kritik an zentralen Elementen der Planung.
Insbesondere die geplante „Parkwall“ – ein modernes Parkhaus im Bereich des historischen Stadtwalls – stand im Fokus der Kritik. Naturschutz- und Heimatverbände wie BUND, NABU und der Niedersächsische Heimatbund warnten vor einer massiven Beeinträchtigung des Stadtbildes und der Sichtachsen auf die Kaiserpfalz. Auch die Nähe zu sensiblen archäologischen Bereichen wurde problematisiert, verbunden mit der Forderung, vor jeglichem Bau umfangreiche Grabungen vorzunehmen.
„Die Darstellung, der Investor wolle Kosten zu Lasten der Steuerzahler abwälzen, ist falsch und ehrverletzend“, betonte Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner.
Demokratische Rückendeckung – und doch ein Rückzug
Das Projekt war nicht ohne demokratische Legitimation. Beim Bürgerentscheid am 7. April 2024 stimmten 54,55 % der Wähler für eine finanzielle Beteiligung der Stadt an der geplanten Veranstaltungshalle. Diese Zusage war eine Bedingung des Investors, um das Projekt weiterzuführen.
Doch auch dieses Votum konnte die Kontroversen nicht entschärfen. Zwischen Bürgerwillen, Welterbeschutz und wirtschaftlichen Ambitionen klaffte eine Lücke, die sich bis zum Sommer 2025 nicht schließen ließ.
Kritikpunkte aus verschiedenen Lagern
Naturschutz und Welterbe
Ein zentraler Vorwurf der Gegner: Der Bau der Parkwall sei mit dem Welterbestatus unvereinbar. Goslars Altstadt und die Kaiserpfalz sind nicht nur national, sondern auch international geschützt. Änderungen an der Bebauung in der Kern- und Pufferzone müssen strenge UNESCO-Vorgaben erfüllen, um Sichtachsen und historische Strukturen zu bewahren.
Verkehr und Alltag
In sozialen Medien äußerten Anwohner konkrete Sorgen: mehr Verkehr in der Altstadt, steigender Parkdruck in den umliegenden Straßen und fehlende nachhaltige Mobilitätskonzepte. Diese alltagsnahen Aspekte wurden besonders auf Facebook-Diskussionen lebhaft debattiert und trugen zum negativen Stimmungsbild bei.
Historische und archäologische Bedenken
Der Bereich um die geplante Parkwall gilt als sensibel, da hier historische Stadtmauern und möglicherweise noch unentdeckte archäologische Funde vermutet werden. Mehrere Gruppen forderten, vor jedem Spatenstich intensive Ausgrabungen durchzuführen.
Was war genau geplant?
Das Kaiserpfalzquartier sollte mehrere Bausteine vereinen:
- Ein Tagungshotel mit gehobener Ausstattung
- Eine multifunktionale Veranstaltungshalle
- Ein Parkhaus in Form einer „Parkwall“-Lösung
- Grünflächen und Aufenthaltsbereiche zur Aufwertung des Domplatzumfeldes
Besonderer Wert sollte auf eine optische Integration in das historische Umfeld gelegt werden. Dennoch blieb die Frage, ob moderne Architektur in unmittelbarer Sichtweite zur Kaiserpfalz harmonisch wirkt, umstritten.
Welche Alternativen zur Parkwall wurden diskutiert?
Die öffentliche Diskussion brachte mehrere Vorschläge hervor:
- Tiefgarage im Hangbereich außerhalb der Kernzone
- Reduzierte Hotel-Tiefgarage mit begrenzten Stellplätzen
- Verzicht auf große Parkanlagen zugunsten von Grünflächen
- Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und Park-&-Ride-Systeme
Trotz dieser Ideen konnte keine Variante den Konflikt vollständig auflösen, da wirtschaftliche Machbarkeit, Denkmalschutz und Verkehrskonzepte schwer vereinbar schienen.
Touristische und wirtschaftliche Dimension
Die Zahlen sprechen für sich: 2024 verzeichnete Goslar rund 251.989 Gäste und 660.072 Übernachtungen. Die Harz-Region insgesamt kam 2023 auf etwa 8,1 Millionen Übernachtungen, mit einer Bettenbelegung, die im Jahresvergleich um rund sieben Prozent stieg.
Ein modernes Tagungs- und Veranstaltungszentrum hätte diese Zahlen vermutlich deutlich anheben können – vor allem in den weniger besuchten Monaten außerhalb der Hochsaison. Befürworter argumentierten daher, das Projekt könne als Motor für den Ganzjahrestourismus wirken.
Internationale Dimension des Widerstands
Nicht nur lokale Gruppen äußerten Bedenken. Die Organisation „World Heritage Watch“ kritisierte das Projekt ebenfalls. Aus ihrer Sicht stellten bestimmte Entwurfsvarianten, insbesondere die Parkwall, einen potenziellen Angriff auf das Welterbe dar. Diese internationale Kritik verlieh den Einwänden zusätzliche Schlagkraft und erhöhte den Druck auf die Stadt und den Investor.
Wie geht es nach dem Rückzug weiter?
Offiziell ist klar: Mit dem Rückzug Tessners ist die bisherige Planung nicht mehr umsetzbar. Die Stadt steht nun vor mehreren Optionen:
- Suche nach einem neuen Investor mit ähnlicher Vision
- Überarbeitung des bestehenden Bebauungsplans mit Anpassungen an die Kritikpunkte
- Verzicht auf das Projekt in der geplanten Form
Alle Optionen würden Zeit kosten und erfordern möglicherweise neue Beteiligungsverfahren. Angesichts der bereits langen Planungsdauer könnte dies bedeuten, dass ein fertiges Konzept frühestens in einigen Jahren vorliegt.
Hinhaltetaktik oder Konsequenz?
In manchen sozialen Medien wurde dem Investor vorgeworfen, durch Verzögerungen auf Zeit zu spielen – möglicherweise, um bessere Rahmenbedingungen auszuhandeln. Befürworter des Projekts sehen den Rückzug hingegen als konsequente Reaktion auf eine Situation, in der sich wirtschaftliche Interessen und Denkmalschutzauflagen nicht vereinbaren lassen.
Bedeutung der Kaiserpfalz
Die Kaiserpfalz Goslar ist seit 1992 Teil des UNESCO-Welterbes und gilt als das bedeutendste weltliche Bauwerk der Salierzeit. Gemeinsam mit der Altstadt und dem ehemaligen Erzbergwerk Rammelsberg bildet sie ein einzigartiges historisches Ensemble. Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umgebung sind deshalb besonders sensibel und werden national wie international genau beobachtet.
Fragen der Bürger – und Antworten der Verwaltung
Während der Debatten kamen immer wieder konkrete Fragen aus der Bürgerschaft auf, wie etwa: „Welche Naturschutz- und Heimatverbände kritisierten das Projekt in Goslar?“ Die Stadt beantwortete solche Anfragen öffentlich, nannte die beteiligten Organisationen und verwies auf die Ergebnisse der Bürgerbeteiligungen und Planungsverfahren.
Auch Fragen wie „Welche Alternativvorschläge gab es zur Parkhaus-Lösung?“ wurden in den Beteiligungsrunden diskutiert, blieben jedoch ohne mehrheitsfähige Lösung.
Die Rolle der Politik
Die politische Bewertung ist nicht einheitlich. Während einige Ratsmitglieder das Projekt als Chance sahen, um Goslar zukunftsfähig aufzustellen, forderten andere ein strengeres Festhalten an den UNESCO-Vorgaben. Interne Parteidialoge, wie sie etwa im SPD-Ortsverein geführt wurden, zeigen, dass die Diskussion parteiintern ebenso kontrovers war wie in der Öffentlichkeit.
Ein langwieriger Konflikt
Die Auseinandersetzung um das Kaiserpfalzquartier begann nicht erst in den letzten Monaten. Bereits in frühen Planungsphasen gab es Debatten über Standort, Parkraumkonzepte und architektonische Gestaltung. Foren- und Fachdiskussionen dokumentieren, dass der Konflikt über Jahre gewachsen ist und nie eine für alle Seiten tragfähige Lösung gefunden wurde.
Der Rückzug des Investors markiert einen Einschnitt in der Stadtentwicklung Goslars. Ob das Kaiserpfalzquartier in veränderter Form doch noch realisiert wird, hängt von politischen Entscheidungen, möglicher Investorensuche und der Fähigkeit ab, Denkmalschutz und wirtschaftliche Interessen miteinander zu verbinden. Fest steht, dass die Debatte um die Zukunft dieses Areals auch in den kommenden Jahren die Stadtpolitik und Bürgerschaft beschäftigen wird.
Die Auseinandersetzung hat gezeigt, wie komplex die Balance zwischen Fortschritt und Bewahrung in einer UNESCO-Welterbestadt ist. Goslar steht nun vor der Aufgabe, diese Balance neu zu definieren – im Interesse der Bewohner, der Wirtschaft und des kulturellen Erbes.