
Wernigerode (Harz), 29. Mai 2025, 10:00 Uhr
Am Dienstagabend, dem 28. Mai 2025, haben rund 135 Beschäftigte der Hasseröder-Brauerei in Wernigerode die Arbeit niedergelegt. Mit dem ganztägigen Warnstreik, der bis Mittwochabend andauerte, wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Zeichen im aktuellen Tarifkonflikt setzen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert deutliche Gehaltssteigerungen und zeigt sich unzufrieden mit dem bisherigen Angebot der Arbeitgeberseite.
Hintergrund des Arbeitskampfs
Die Hasseröder-Brauerei gehört zu den bekanntesten Brauhäusern Deutschlands und ist mit rund 200 Beschäftigten der größte Brauereistandort in Sachsen-Anhalt. Seit Monaten wird zwischen der Gewerkschaft NGG und der Geschäftsführung über einen neuen Tarifvertrag verhandelt. Zentraler Streitpunkt ist die Höhe der Lohnanpassungen.
Forderungen der Gewerkschaft
Die NGG fordert für die Beschäftigten eine Lohnerhöhung in zwei Stufen: 3,0 Prozent ab April 2025 sowie weitere 3,5 Prozent ab April 2026. Damit möchte die Gewerkschaft nicht nur die Inflation ausgleichen, sondern auch den gestiegenen Lebenshaltungskosten und der steigenden Belastung der Mitarbeitenden Rechnung tragen.
„Das Angebot der Arbeitgeber reicht bei Weitem nicht aus“, so NGG-Verhandlungsführerin Katja Derer. „Die Kolleginnen und Kollegen haben in den letzten Jahren unter hohem Druck gearbeitet und verdienen jetzt einen gerechten Ausgleich.“
Angebot der Arbeitgeber
Die Geschäftsführung der Brauerei, die zur internationalen AB InBev-Gruppe gehört, hatte zuletzt eine Erhöhung der Löhne um 5,5 Prozent über einen Zeitraum von 24 Monaten vorgeschlagen. Dieses Angebot wurde von der NGG als unzureichend abgelehnt. Aus Sicht der Gewerkschaft bleibt der Vorschlag deutlich hinter dem zurück, was zur Sicherung der Kaufkraft notwendig sei.
Auswirkungen des Streiks
Der Warnstreik betraf alle drei Schichten – Nacht-, Früh- und Spätschicht – und führte zu einem vollständigen Produktionsstopp in der Brauerei. Die Produktion wurde aufgrund des Feiertags am Donnerstag ohnehin ausgesetzt und soll frühestens am Freitag wieder aufgenommen werden.
Ein Sprecher der Unternehmensleitung betonte, dass ein Teil der Belegschaft weiterhin arbeite. „Wir stellen sicher, dass diejenigen, die arbeiten wollen, dies auch können“, hieß es. Die Versorgung der Märkte mit Hasseröder-Bier sei nach wie vor sichergestellt. Engpässe für Endverbraucher seien derzeit nicht zu erwarten.
Produktionsausfälle und Lieferkette
Obwohl der Streik nur 24 Stunden andauerte, sind die Auswirkungen auf die Produktion deutlich spürbar. Sollte es zu weiteren Streiks kommen, könnte dies auch Lieferketten betreffen. In einem wettbewerbsintensiven Markt wie der Braubranche kann bereits ein temporärer Engpass Auswirkungen auf Handel und Gastronomie haben.
Ein Streik mit Signalwirkung
Der Warnstreik in Wernigerode steht nicht isoliert. Er ist Teil einer umfassenderen Streikbewegung in der norddeutschen Brauindustrie. Bereits zuvor kam es zu Arbeitsniederlegungen bei namhaften Brauereien wie Beck’s, Jever, Carlsberg und Flensburger. Die NGG spricht von einer notwendigen Tarifbewegung, die den gestiegenen Anforderungen und Belastungen in der Branche Rechnung tragen soll.
Wachsende Anforderungen an die Beschäftigten
Die Hasseröder-Brauerei wurde in den letzten Jahren zunehmend in internationale Produktionsprozesse eingebunden. So begann im Mai 2024 die Produktion der Marke „Corona Extra“ in Wernigerode. Diese Erweiterung stellt neue Anforderungen an die Beschäftigten, sowohl was das Arbeitspensum als auch was die Qualifikationen betrifft. Die Gewerkschaft betont, dass diese Veränderungen in der Lohnentwicklung bisher nicht berücksichtigt wurden.
Wirtschaftliche Bedeutung der Brauerei
Als größter Brauereibetrieb in Sachsen-Anhalt ist Hasseröder ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Region. Nicht nur die direkten Arbeitsplätze in der Produktion sind betroffen, auch Zulieferer, Logistikpartner und Gastronomiebetriebe hängen von der stabilen Produktion ab. Ein länger andauernder Arbeitskampf könnte folglich auch über die Brauerei hinausgehende Folgen für die regionale Wirtschaft haben.
Vergangene Kritik an Arbeitsbedingungen
Die Hasseröder-Brauerei stand in der Vergangenheit bereits unter Beobachtung. 2014 gab es Berichte über problematische Bedingungen für osteuropäische Leiharbeiter, die über Subunternehmen beschäftigt wurden. Damals wurde die Brauerei von verschiedenen Seiten aufgefordert, für bessere Kontrollmechanismen bei Dienstleistern zu sorgen. Diese Vorgeschichte spielt auch in der aktuellen Auseinandersetzung eine Rolle, da Beschäftigte sensibel auf soziale Ungleichgewichte und faire Bezahlung reagieren.
Streitpunkte im Überblick
Aspekt | Gewerkschaft NGG | Arbeitgeber |
---|---|---|
Gehaltsforderung | +6,5 % (3,0 % + 3,5 %) | +5,5 % (über 24 Monate) |
Zeithorizont | Ab April 2025 und April 2026 | Gesamtzeitraum 2 Jahre |
Bewertung | „Nicht ausreichend“ | „Marktgerechtes Angebot“ |
Wie geht es weiter?
Der nächste Verhandlungstermin ist für den 9. Juli 2025 angesetzt. Bis dahin ruhen die Gespräche offiziell. Ob eine Einigung erzielt werden kann oder sich der Tarifkonflikt verschärft, bleibt abzuwarten. Die Gewerkschaft hat bereits angekündigt, bei ausbleibender Bewegung auf Arbeitgeberseite weitere Maßnahmen zu prüfen – inklusive längerer Streiks.
Zitat aus Gewerkschaftskreisen
„Unsere Geduld ist nicht unbegrenzt. Wenn die Arbeitgeber nicht auf unsere berechtigten Forderungen eingehen, wird es nicht bei einem einmaligen Streik bleiben“, so eine Vertreterin der NGG am Streiktag.
Fazit: Mehr als nur ein Warnsignal
Der Warnstreik bei Hasseröder ist ein deutliches Signal – an die Unternehmensleitung, aber auch an andere Branchenakteure. Er steht exemplarisch für die wachsende Unzufriedenheit in Teilen der Industrie, wo gestiegene Anforderungen nicht durch entsprechende Lohnerhöhungen kompensiert werden. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob beide Seiten zu einer Einigung finden oder ob die Auseinandersetzung in eine neue Phase tritt.
Für die Region Harz bleibt zu hoffen, dass ein Kompromiss gefunden wird, der sowohl den wirtschaftlichen Erfordernissen als auch den berechtigten Interessen der Beschäftigten gerecht wird.