
Herzberg am Harz / Bad Lauterberg. Die Nachricht hat viele Gläubige im südlichen Harz überrascht und betroffen gemacht: Zwei evangelische Kirchen – die Christuskirche in Herzberg und die Pauluskirche in Bad Lauterberg – bleiben wegen akuter Einsturzgefahr vorerst geschlossen. Untersuchungen an den Dachkonstruktionen haben mögliche strukturelle Schwächen gezeigt, die an den tragischen Dacheinsturz einer Kirche in Kassel erinnern. Während die Gemeinden nach Ausweichorten suchen, wird über Ursachen, Folgen und den Zustand vieler Kirchenbauten im Harz diskutiert.
Ein plötzlicher Schock für zwei Harzer Gemeinden
Als die Landeskirche Hannover am Montag die Schließung der beiden Gotteshäuser bekannt gab, war die Reaktion in den Gemeinden von Fassungslosigkeit und Sorge geprägt. Sowohl die Pauluskirche in Bad Lauterberg als auch die Christuskirche in Herzberg am Harz gelten als zentrale Orte des kirchlichen und kulturellen Lebens. Seit den 1960er Jahren prägen sie das Stadtbild – moderne Kirchenbauten, die damals in einer Phase architektonischer Erneuerung entstanden sind. Doch genau diese Bauzeit ist heute zum Problem geworden.
Die Entscheidung zur Schließung fiel nicht leicht. „Es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme“, heißt es aus Kirchenkreisen. Akute Gefahr bestehe nicht, aber die Struktur der Dächer müsse überprüft werden, bevor wieder Besucher in die Kirchen dürfen. Bis die Gutachten vorliegen, ruht das Gemeindeleben in den Sakralbauten – Gottesdienste finden in Gemeinderäumen oder anderen Einrichtungen statt.
Warum wurden die Kirchen im Harz geschlossen?
Die Ursache für die Schließung liegt in einem beunruhigenden Verdacht: Beide Kirchen besitzen Dachkonstruktionen, die dem Aufbau der im November 2023 eingestürzten St.-Elisabeth-Kirche in Kassel ähneln. Dort hatte ein Versagen von Holzklebeträgern zum Einsturz geführt – glücklicherweise ohne Verletzte, aber mit erheblichen Schäden. Untersuchungen ergaben, dass die Klebeverbindungen in den Trägern über Jahrzehnte spröde geworden waren. Nach dem Kasseler Unglück wurden bundesweit Kirchenbauten mit ähnlicher Konstruktion überprüft – darunter auch die beiden Kirchen im Harz.
Die Landeskirche bestätigte, dass Gutachter Anzeichen für Materialermüdung gefunden hätten. Noch ist unklar, ob tatsächlich Gefahr besteht, doch die Vorsicht hat Vorrang. „Sicherheit steht über allem“, sagte ein Sprecher der Landeskirche. „Wir möchten keine Risiken eingehen, bis wir die Statik vollständig geprüft haben.“
Was bedeutet das für die Gemeinden?
In Herzberg und Bad Lauterberg ist die Betroffenheit groß. Viele Gemeindemitglieder erinnern sich an Taufen, Hochzeiten oder Konzerte, die in den geschlossenen Kirchen stattfanden. Auf den offiziellen Facebook-Seiten der Kirchengemeinden wird mitgeteilt, dass die Kirchen „bis auf Weiteres nicht nutzbar“ sind. Zugleich bitten die Verantwortlichen um Verständnis und Geduld. Veranstaltungen werden umorganisiert, Jugendgruppen, Chöre und Seniorenkreise erhalten neue Treffpunkte.
In sozialen Medien diskutieren Bürger über die Zukunft ihrer Kirchen. In Gruppen wie dem „Herzberger Blättchen“ zeigen sich Betroffene solidarisch, manche äußern Sorgen um die Zukunft der Gebäude. Besonders häufig wird gefragt, ob Hochzeiten und Konzerte weiterhin stattfinden können. Die Antwort lautet: Ja – aber an anderen Orten.
Gottesdienste im Harz finden weiterhin statt
Die Pauluskirche und die Christuskirche bleiben geschlossen, doch das Gemeindeleben pausiert nicht. Gottesdienste werden in Gemeindehäusern oder anderen Räumen abgehalten. Die Pastorinnen und Pastoren betonen, dass die Gemeinschaft auch ohne Kirchengebäude stark bleibt. „Wir feiern weiterhin – nur an anderen Orten“, heißt es aus der Paulusgemeinde Bad Lauterberg. Das ist ein starkes Zeichen für Zusammenhalt im Harz, wo Kirche oft mehr ist als ein Ort des Gebets: Sie ist Treffpunkt, Erinnerungsort und sozialer Mittelpunkt.
Der Zusammenhang mit dem Kasseler Dacheinsturz
Der Fall in Kassel hat eine bundesweite Welle von Sicherheitsprüfungen ausgelöst. Seit dem Einsturz der St.-Elisabeth-Kirche im Jahr 2023 wurden Dutzende ähnliche Gebäude untersucht. Experten warnen vor den Risiken älterer Holzkonstruktionen mit verklebten Trägern, die in den 1960er und 1970er Jahren häufig verwendet wurden. Diese Bauweise galt damals als modern, heute weiß man: Der Alterungsprozess von Klebstoffen kann statische Schwächen verursachen.
Auch die Landeskirche Hannover beteiligt sich an diesen Prüfungen. Mehr als 70 Gebäude sollen inzwischen untersucht worden sein, mehrere davon mussten vorsorglich geschlossen werden. Die Schließungen in Herzberg und Bad Lauterberg sind also Teil eines größeren Trends – eines, der auch viele andere Regionen betrifft. Besonders der Harz mit seiner Vielzahl an Nachkriegsbauten steht im Fokus.
Wie lange bleiben die Kirchen im Harz geschlossen?
Nach aktuellen Angaben der Landeskirche wird das Gutachten in Kürze erwartet. Erst danach kann entschieden werden, ob Sanierungen notwendig sind oder die Kirchen wieder geöffnet werden können. Bis dahin gelten die Schließungen auf unbestimmte Zeit. Ein offizielles Betretungsverbot besteht nicht, aber alle Veranstaltungen sind ausgesetzt. Nur Gutachter und Bauexperten dürfen die Gebäude betreten, um Messungen und Materialprüfungen vorzunehmen.
Bauliche Risiken im Harz – kein Einzelfall
Der Harz ist reich an Sakralbauten – viele stammen aus den 1950er bis 1970er Jahren. Diese Nachkriegsarchitektur war oft experimentell, geprägt von neuen Materialien wie Spannbeton und Klebelamellen. Jahrzehnte später zeigen sich nun erste strukturelle Probleme. Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen und unzureichende Instandhaltung haben vielerorts Spuren hinterlassen. In Benneckenstein etwa leidet das Dach einer Kirche an Undichtigkeiten und Materialermüdung – ein weiteres Beispiel aus der Region.
Solche Schäden sind nicht nur im Harz zu finden. Bundesweit kämpfen Kirchengemeinden mit ähnlichen Problemen. Experten raten daher zu regelmäßigen statischen Überprüfungen, besonders bei Dächern aus Holz oder verklebten Trägern. Ein Fachingenieur aus der Region fasst es so zusammen: „Viele dieser Bauten wurden unter Annahmen konstruiert, die man heute nicht mehr so akzeptieren würde. Nach 60 Jahren sind viele Klebeverbindungen einfach am Ende ihrer Lebensdauer.“
Finanzielle Herausforderungen für die Kirchen im Harz
Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die finanzielle Situation der Kirchen. Sinkende Mitgliederzahlen und geringere Kirchensteuereinnahmen erschweren aufwendige Sanierungen. Studien wie die Freiburger Prognose zeigen, dass bis 2060 die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland um die Hälfte sinken könnte – ebenso die Einnahmen. Für viele Gemeinden im Harz bedeutet das: Sie müssen Prioritäten setzen.
Zwischen der Pflicht zur Sicherheit und der Verantwortung für das kulturelle Erbe entsteht ein Spannungsfeld. Manche Gemeinden werden sich in Zukunft möglicherweise von Gebäuden trennen müssen, die sie nicht mehr instand halten können. Der Fall Herzberg/Bad Lauterberg zeigt exemplarisch, wie schwierig solche Entscheidungen sein können.
Stimmen aus den Gemeinden
In den sozialen Netzwerken äußern sich viele Gläubige besorgt, aber verständnisvoll. „Es ist traurig, aber Sicherheit geht vor“, schreibt eine Nutzerin aus Herzberg. Ein anderer kommentiert: „Ich wurde in der Christuskirche getauft – hoffentlich kann sie bald wieder öffnen.“ Die emotionale Bindung vieler Menschen an ihre Kirche ist groß, besonders in kleineren Städten des Harzes, wo die Kirche oft das Herz der Gemeinschaft bildet.
Die Verantwortlichen versuchen, transparent zu informieren. Auf den Facebook-Seiten der Gemeinden werden regelmäßig Updates veröffentlicht. Dort finden sich auch praktische Hinweise, etwa wo Gottesdienste stattfinden und welche Veranstaltungen ausfallen. Diese Kommunikation wird von der Bevölkerung positiv aufgenommen – sie schafft Vertrauen in einer unsicheren Zeit.
Wie gefährlich sind alternde Kirchen im Harz wirklich?
Fachleute betonen, dass es sich bei den aktuellen Schließungen um Präventionsmaßnahmen handelt, nicht um akute Einsturzgefahr. Dennoch verdeutlichen sie ein wachsendes Problem: Der Sanierungsstau in vielen Kirchen des Harzes ist erheblich. Jahrzehntelang fehlten Mittel für Instandhaltung, jetzt zeigen sich die Folgen. Hinzu kommt der Klimawandel, der mit stärkeren Temperaturschwankungen und höherer Luftfeuchtigkeit die Alterungsprozesse beschleunigt.
Nach Angaben von Bauingenieuren liegt die durchschnittliche Lebensdauer verklebter Holzträger bei etwa 50 bis 60 Jahren – ein Zeitraum, der für viele Nachkriegskirchen im Harz inzwischen erreicht ist. Ohne rechtzeitige Sanierung drohen weitere Sperrungen. Deshalb plant die Landeskirche eine Prioritätenliste, welche Gebäude zuerst überprüft werden sollen.
Wie geht es jetzt im Harz weiter?
Bis zur Vorlage der Gutachten bleibt die Lage angespannt. In Herzberg und Bad Lauterberg herrscht dennoch Zuversicht. Die Gemeinden organisieren ihr Programm flexibel, und das Engagement der Ehrenamtlichen ist groß. Auch aus Nachbarorten kommt Unterstützung – Kirchenräume werden geteilt, Feste verlegt. Der Zusammenhalt ist spürbar, und er zeigt, dass Kirche im Harz mehr ist als ein Bauwerk: Sie ist Gemeinschaft.
Fazit: Der Fall Herzberg zeigt ein größeres Problem im Harz und darüber hinaus
Die Schließung der Kirchen in Herzberg und Bad Lauterberg ist ein Weckruf – nicht nur für die Region, sondern für viele Gemeinden in Deutschland. Sie zeigt, wie dringlich es ist, den baulichen Zustand von Kirchen regelmäßig zu prüfen und Verantwortung zu übernehmen, bevor Schlimmeres geschieht. Der Harz steht stellvertretend für viele Regionen, in denen alternde Gebäude, schrumpfende Budgets und ein wachsendes Bewusstsein für Sicherheit aufeinandertreffen.
Doch die Reaktionen vor Ort machen Hoffnung: Die Gemeinden halten zusammen, suchen nach Lösungen und zeigen, dass Kirche im Harz nicht nur aus Stein besteht, sondern aus Menschen, die glauben, handeln und bewahren wollen. Ob und wann die Christuskirche und die Pauluskirche wieder öffnen, hängt nun von den Ergebnissen der Gutachten ab. Sicher ist jedoch schon jetzt: Der Zusammenhalt im Harz ist stabiler als jedes Bauwerk.