Sachsen-Anhalt

Ausbildung statt Abwanderung: Warum in Sachsen-Anhalt wieder mehr Jugendliche eine Lehre machen wollen

In Sachsen-Anhalt zeichnet sich eine überraschend positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt ab: Immer mehr Jugendliche entscheiden sich bewusst für eine duale Berufsausbildung. Während Unternehmen in den vergangenen Jahren teils händeringend nach Nachwuchs suchten, steigt nun das Interesse junger Menschen – auch dank neuer Wege in der Berufsorientierung und gezielter Kommunikationsstrategien.

Ein Bundesland mit Ausbildungsambitionen

Sachsen-Anhalt war lange Zeit geprägt von demografischem Wandel, Abwanderung und einem drastischen Rückgang der Bewerberzahlen für Ausbildungsplätze. Inzwischen jedoch hat sich das Bild gewandelt: 2025 zeigt sich, dass wieder mehr junge Menschen eine Ausbildung machen wollen – und das aus einer Vielzahl von Gründen.

Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen den Trend: Auf etwa 9.500 gemeldete Ausbildungsplätze kommen nur rund 6.600 Bewerber. Trotz des Angebotsüberhangs ist die Entwicklung der Bewerberzahlen erstmals seit Jahren leicht positiv – ein Indikator für das wachsende Interesse an praxisnaher Berufsausbildung.

Warum gibt es in Sachsen-Anhalt mehr Ausbildungsstellen als Bewerber?

Diese Frage stellen sich viele – nicht nur Eltern und Lehrer, sondern auch Unternehmen. Die Antwort liegt in strukturellen Entwicklungen: Der demografische Wandel hat dazu geführt, dass es weniger Schulabgänger gibt. Zudem konkurriert die duale Ausbildung zunehmend mit Studienangeboten. Gleichzeitig haben viele Unternehmen in den letzten Jahren ihr Ausbildungsangebot ausgebaut, um dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken.

„Wir müssen mehr als früher um Auszubildende werben“, sagt Susanne Wiedemeyer vom DGB Sachsen-Anhalt. Sie betont jedoch auch: „Viele Betriebe sind inzwischen sehr viel offener geworden, was Bewerbungsanforderungen und Zugangswege betrifft.“ Das Resultat ist ein wachsendes Interesse bei Jugendlichen – und ein wachsender Wettbewerb unter Unternehmen.

Neue Wege der Ansprache: Ausbildung wird sichtbar

Die Zeiten, in denen Ausbildung vor allem über gedruckte Flyer und Plakatwände beworben wurde, sind vorbei. Heute setzen viele Kampagnen auf authentische Einblicke und soziale Medien. Ein Beispiel ist die Initiative „JETZT #KÖNNENLERNEN“, bei der Auszubildende selbst zu Markenbotschaftern werden. In Videos, Reels und Storys auf Instagram berichten sie direkt aus ihrem Alltag. Mahalia, Auszubildende zur Pflegefachfrau, erzählt etwa, wie ihr erstes Praktikum ihr ganzes Berufsziel verändert hat.

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Diese Form der Kommunikation kommt an. Jugendliche suchen Informationen über Ausbildungsberufe heute primär über Instagram, YouTube und WhatsApp. Unternehmen, die auf Facebook oder klassischen Karriereseiten setzen, verfehlen oft ihre Zielgruppe.

Welche Kanäle nutzen Jugendliche in Sachsen-Anhalt zur Ausbildungsinfo?

Die Nutzung der Plattformen unterscheidet sich deutlich:

Plattform Nutzung durch Jugendliche Nutzung durch Unternehmen
Instagram hoch hoch
YouTube hoch selten
WhatsApp hoch sehr gering
Facebook niedrig hoch

Einige Unternehmen in Sachsen-Anhalt haben darauf reagiert und überlassen ihren Azubis das Ausbildungsmarketing – mit Erfolg. Wenn Auszubildende selbst Videos oder Erfahrungsberichte posten, steigt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Zahl der Bewerbungen. „Es ist nicht perfekt, aber echt – das zählt“, so ein Kfz-Mechatroniker im ersten Lehrjahr auf TikTok.

Vielfalt der Berufe: zwischen Handwerk, Pflege und Verwaltung

Eine weitere wichtige Entwicklung ist die Vielfalt der angebotenen Ausbildungsberufe. In Sachsen-Anhalt sind Kfz-Mechatronik, Pflegeberufe und Verwaltungsberufe besonders gefragt. Doch gerade im Einzelhandel, im Bau und in der Lagerlogistik bleiben viele Stellen unbesetzt.

Welche Berufe sind in Sachsen-Anhalt besonders nachgefragt?

Junge Menschen interessieren sich besonders für Berufe mit klaren Entwicklungsperspektiven, Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung. Das zeigen auch die Daten aus dem Ausbildungsreport 2025:

  • Kfz-Mechatroniker: hohes Bewerberinteresse, starke Nachfrage
  • Pflegefachkraft: stark wachsend, besonders durch Imagekampagnen
  • Verwaltungsfachangestellte: stabile Nachfrage bei Land und Kommunen

Demgegenüber stehen Branchen mit chronischem Bewerbermangel – etwa im Verkauf oder Bau. Hier mangelt es häufig an positiver Außenwirkung oder flexiblen Arbeitsmodellen.

Persönliche Orientierung: Wie finden Jugendliche den passenden Beruf?

Für viele Schülerinnen und Schüler ist es eine der schwierigsten Fragen: Wie kann ich herausfinden, welcher Ausbildungsberuf zu mir passt? In Sachsen-Anhalt gibt es mittlerweile zahlreiche Ansätze, um Jugendliche bei dieser Entscheidung zu unterstützen: Praktika, Berufserkundungstage, Beratung durch Berufscoaches und digitale Tools zur Selbsteinschätzung gehören dazu.

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Beratungsformate an Schulen und Ausbildungsmessen bieten zusätzliche Impulse. Besonders erfolgreich sind Programme, bei denen Unternehmen frühzeitig Kontakte zu Schulen knüpfen. „Wir beginnen mit der Berufsorientierung in Klasse 8“, berichtet eine Lehrerin aus Dessau. „Dadurch sind die Jugendlichen besser vorbereitet – und motivierter.“

Integration durch Ausbildung: Migrant:innen im Fokus

Ein bemerkenswerter Aspekt ist die gezielte Ansprache junger Migrantinnen und Migranten. Das Land Sachsen-Anhalt verfolgt das Ziel, bis 2026 rund 1.000 junge Menschen mit Migrationsgeschichte in die duale Ausbildung zu integrieren. Maßnahmen wie Sprachförderung, Mentoringprogramme und individuelle Ausbildungsbegleitung sollen helfen, Hürden abzubauen.

Für viele Betriebe ist das eine Chance, dem Fachkräftemangel langfristig zu begegnen – und gleichzeitig gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.

Qualität und Kritik: Wo es noch hapert

So positiv die Entwicklung ist, sie ist nicht frei von Herausforderungen. Auf Plattformen wie Reddit oder kununu berichten Auszubildende auch von negativen Erfahrungen: schlechte Organisation, unzureichende Betreuung oder mangelnde Transparenz in der Bewertung. In Foren häufen sich Kommentare wie: „Ich hatte mehr Chefwechsel als Berufsschultage.“

Solche Stimmen zeigen: Qualitätssicherung bleibt ein zentrales Thema. IHK-Initiativen wie das Gütesiegel „Top-Ausbildungsbetrieb“ setzen hier an und zeichnen Unternehmen aus, die mit guter Betreuung und transparenten Prozessen überzeugen.

Wie zufrieden sind Azubis mit ihrer Ausbildung?

Eine aktuelle Umfrage unter über 5.000 Auszubildenden in Ostdeutschland zeigt ein überwiegend positives Bild:

  • 87 % würden ihren Ausbildungsberuf weiterempfehlen
  • 75 % machen die Ausbildung im Wunschberuf
  • 34 % erhielten den Ausbildungsplatz nach nur einer Bewerbung

Das spricht für eine gute Passung zwischen Erwartungen und Realität – und für eine positive Perspektive auf das duale Ausbildungssystem.

Auch kleine Dinge zählen: Azubi-Vergünstigungen und Mobilität

Bekomme ich als Azubi in Sachsen-Anhalt auch Schülertickets oder Vergünstigungen?

Ja. Viele Azubis profitieren von Schüler- oder Jobtickets, gerade im ländlichen Raum ein wichtiger Faktor. Außerdem bieten viele Kommunen Rabatte auf Kultur-, Sport- und Bildungsangebote. Für Auszubildende ist das ein willkommenes Signal: Ihre Lebensrealität wird gesehen und unterstützt.

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Ausblick: Bleibt Sachsen-Anhalt auf Ausbildungskurs?

Die Zeichen stehen auf Aufbruch: Sachsen-Anhalt hat die Weichen für eine neue Ausbildungskultur gestellt – mit moderner Kommunikation, gezielter Förderung und echter Beteiligung junger Menschen. Damit wird ein Signal gesendet, das weit über die Landesgrenzen hinaus wirkt: Ausbildung ist nicht nur eine Notlösung, sondern ein echter Karriereweg.

Damit dieser Trend anhält, braucht es jedoch weitere Anstrengungen: Die Qualität der Ausbildung muss stimmen, Betriebe müssen sich weiter öffnen – und Jugendliche brauchen Zeit und Raum, ihre Entscheidung reflektiert zu treffen. Dann könnte Sachsen-Anhalt bald zum Vorreiter einer modernen Ausbildungskultur in Deutschland werden.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.