
Wernigerode, 6. Juni 2025, 18:00 Uhr
Am heutigen Freitagmorgen herrscht Stillstand auf den Straßen vieler ländlicher Regionen Sachsen-Anhalts. Der Grund: Ein ganztägiger Warnstreik der Busfahrer hat den öffentlichen Nahverkehr nahezu vollständig zum Erliegen gebracht. Betroffen sind vor allem Regionen wie der Harz, der Salzlandkreis, die Altmark und das Jerichower Land. Organisiert wurde der Streik von der Gewerkschaft ver.di, die damit auf bestehende Ungleichheiten in der Bezahlung aufmerksam machen will. Während vielerorts kein einziger Bus mehr fährt, wächst die Unzufriedenheit unter den Beschäftigten – und auch bei den Fahrgästen.
Gleiche Arbeit, ungleiche Bezahlung
Der zentrale Auslöser für den Warnstreik ist die bestehende Lohnungleichheit innerhalb Sachsen-Anhalts. Obwohl Busfahrer in ländlichen Regionen wie Stendal, Halberstadt oder dem Harz dieselbe Arbeit verrichten wie ihre Kollegen in Großstädten wie Magdeburg, verdienen sie zum Teil mehrere Hundert Euro weniger im Monat. Diese Diskrepanz sorgt seit Jahren für Frustration.
Ein Busfahrer aus Stendal bringt es auf den Punkt: „Wir leisten exakt die gleiche Arbeit wie die Kollegen in der Stadt – warum bekommen wir dann nicht das gleiche Gehalt?“ Diese Frage treibt viele Beschäftigte um und ist zur Kernforderung der aktuellen Tarifrunde geworden.
Konkrete Gehaltsunterschiede
Ein Blick auf die durchschnittlichen Bruttogehälter verdeutlicht die Situation:
Region | Durchschnittliches Bruttogehalt (monatlich) |
---|---|
Magdeburg | 2.312 € |
Stendal | 1.988 € |
Halberstadt | ca. 2.000 € |
Diese Unterschiede sind für viele Fahrer nicht nachvollziehbar – insbesondere nicht vor dem Hintergrund gestiegener Lebenshaltungskosten, auch im ländlichen Raum.
Forderungen der Gewerkschaft ver.di
Die Gewerkschaft ver.di hat klare Vorstellungen davon, wie der Tarifkonflikt gelöst werden soll. Die wichtigsten Forderungen lauten:
- Einkommenssteigerungen zwischen 8 und 14 Prozent, abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Eine monatliche Sonderzahlung von 50 Euro für Gewerkschaftsmitglieder
- Eine Laufzeit des Tarifvertrags von 12 Monaten
Ver.di verweist dabei nicht nur auf den Bedarf an Lohngerechtigkeit, sondern auch auf die schwierige Lage bei der Personalgewinnung. Viele Busunternehmen klagen über Fahrermangel – doch mit vergleichsweise niedrigen Löhnen im ländlichen Raum bleiben qualifizierte Bewerbungen oft aus.
Position der Arbeitgeberseite
Die Arbeitgeberseite zeigt sich hingegen zurückhaltend. Der Arbeitgeberverband Nahverkehr (AVN) bietet derzeit lediglich Tariferhöhungen von 2 bis 2,3 Prozent jährlich – und das über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder lehnt der Verband rundweg ab.
„Wir befinden uns in einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeld“, heißt es aus Kreisen des AVN. Man habe Verständnis für die Forderungen, müsse aber auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Verkehrsgesellschaften im Blick behalten. Der Warnstreik sei angesichts der bisher konstruktiv verlaufenen Verhandlungen „verfrüht“.
Betroffene Regionen und Unternehmen
Der Warnstreik betrifft am 6. Juni 2025 eine Vielzahl an Verkehrsgesellschaften in Sachsen-Anhalt. Unter anderem stehen folgende Unternehmen vollständig oder teilweise still:
- Harzer Verkehrsbetriebe GmbH (HVB)
- Halberstädter Verkehrs-GmbH
- BördeBus Verkehrsgesellschaft mbH
- Personennahverkehrsgesellschaft Altmarkkreis Salzwedel mbH
- Personennahverkehrsgesellschaft Merseburg-Querfurt mbH
In manchen Regionen wurde der Schülerverkehr noch aufrechterhalten. In anderen hingegen – wie im Harz – kam es zu einem vollständigen Ausfall. Eltern mussten auf Fahrgemeinschaften zurückgreifen oder ihre Kinder selbst zur Schule bringen.
Stimmen aus der Belegschaft
Der Unmut unter den Busfahrern ist groß. Viele sprechen von einer jahrelangen Geringschätzung ihrer Arbeit. Besonders der Begriff „Busfahrer zweiter Klasse“ fällt in Interviews und Statements immer wieder. Die Stimmung ist angespannt – aber entschlossen.
„Ich arbeite seit 14 Jahren im Nahverkehr. Was sich in dieser Zeit geändert hat? Der Stress ist mehr geworden, die Verantwortung auch. Aber beim Lohn passiert kaum etwas – zumindest nicht bei uns auf dem Land.“
Die Beschäftigten betonen, dass es ihnen nicht nur um mehr Geld geht. Es gehe vor allem um Anerkennung und Respekt für ihre Arbeit – und darum, nicht länger schlechter gestellt zu werden als ihre Kollegen in urbanen Regionen.
Auswirkungen für Pendler und Wirtschaft
Der ganztägige Streik hat erhebliche Auswirkungen für die Bevölkerung. Viele Pendler konnten ihren Arbeitsplatz nicht oder nur verspätet erreichen. In kleineren Gemeinden ohne Bahnanschluss gibt es oft keine Alternativen zum Busverkehr. Besonders hart traf es Schülerinnen und Schüler sowie ältere Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.
Auch Unternehmen beklagten Produktionsverzögerungen, weil Beschäftigte zu spät oder gar nicht zur Arbeit kamen. In Gesprächen mit lokalen Betrieben zeigte sich zudem, dass kurzfristige Ausfälle wie dieser in ohnehin angespannten Zeiten problematisch sind – etwa in der Logistikbranche oder bei Dienstleistern im Pflegebereich.
Verhandlungsausblick: Kompromiss oder Eskalation?
Die nächste Verhandlungsrunde zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverband ist für den 10. Juni 2025 angesetzt. Vieles wird davon abhängen, ob die Arbeitgeberseite sich bewegt und zumindest eine teilweise Angleichung der Löhne in Aussicht stellt.
Ver.di hat bereits angedeutet, dass bei ausbleibenden Zugeständnissen weitere Streiks nicht ausgeschlossen sind. Denkbar wäre auch ein unbefristeter Arbeitskampf. Die Gewerkschaft sieht sich durch die hohe Streikbeteiligung in ihrer Position gestärkt.
Was steht auf dem Spiel?
Der Tarifkonflikt im Nahverkehr Sachsen-Anhalts ist weit mehr als ein lokaler Lohnstreit. Er ist Ausdruck eines strukturellen Problems: Die Ungleichbehandlung ländlicher Regionen im öffentlichen Dienst – sowohl bei Infrastrukturinvestitionen als auch bei der Entlohnung.
Ein gerechter Tarifabschluss könnte ein Signal für andere Bundesländer sein, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen. Gleichzeitig droht der öffentliche Nahverkehr auf dem Land weiter an Attraktivität zu verlieren, sollte keine Lösung gefunden werden. Für viele Busfahrer wäre dies ein weiteres Zeichen dafür, dass ihre Arbeit politisch und gesellschaftlich nicht ausreichend gewürdigt wird.
Fazit
Der Warnstreik im Harz und weiteren ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts legt den Finger in eine offene Wunde. Busfahrer fordern nicht nur bessere Bezahlung, sondern vor allem Anerkennung und Gleichstellung. Die Lohnunterschiede zwischen Stadt und Land sind real – und sie sind spürbar. Während die Arbeitgeberseite auf wirtschaftliche Grenzen verweist, verlangen die Beschäftigten faire Bedingungen für gleichwertige Arbeit.
Ob es am 10. Juni zu einer Einigung kommt, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Der Druck steigt – sowohl auf die Arbeitgeber als auch auf die Politik. Denn ein dauerhaft instabiler Nahverkehr trifft am Ende nicht nur die Fahrer, sondern auch die Gesellschaft insgesamt.