
Bad Harzburg, 24. November 2025 – In der historischen Kurstadt am Harz regt sich neues zivilgesellschaftliches Engagement: Zwischen Fachwerkhäusern, Kuranlagen und alten Alleen wächst ein Projekt heran, das still an die lautlose Gewalt des Nationalsozialismus erinnern soll. Erste Gespräche wurden geführt, Biografien recherchiert, Allianzen geschmiedet – Bad Harzburg macht sich bereit für die Verlegung von Stolpersteinen.
Ein Projekt mit Gewicht: Was hinter den Stolpersteinen steckt
Stolpersteine – das sind kleine, quadratische Messingtafeln im Straßenpflaster, eingelassen vor den letzten frei gewählten Wohnorten von NS-Opfern. Initiiert vom Künstler Gunter Demnig, entwickelten sie sich zum größten dezentralen Mahnmal Europas. Mehr als 116.000 dieser Gedenktafeln wurden bisher in über 1.860 Kommunen in 31 Ländern verlegt – nun könnte auch Bad Harzburg Teil dieser Bewegung werden.
Anders als zentrale Mahnmale sind Stolpersteine unmittelbar im Alltag sichtbar. Sie zwingen nicht zur Andacht, sondern laden zur Auseinandersetzung ein. Genau darin liegt ihre Stärke, wie die Bundeszentrale für politische Bildung betont: „Die Erinnerung wird dorthin zurückgeholt, wo die Menschen einst lebten – aus Museen in die Straßen.“
Initiative mit Vision: Erinnern in Bad Harzburg
Die Initiative zur Verlegung von Stolpersteinen in Bad Harzburg geht auf mehrere zivilgesellschaftliche Impulse zurück. Bereits Ende 2022 hatte die Ratsgruppe SPD/FDP den Antrag gestellt, ein Gremium aus Ehrenamtlichen zusammenzustellen, um die Umsetzung vorzubereiten. Diese Idee wurde von der Stadt aufgenommen, jedoch nicht sofort umgesetzt. Es brauchte zusätzliche Impulse aus der Bevölkerung, um das Projekt zu beleben.
Diese Impulse kamen unter anderem aus dem Bündnis gegen Rechtsextremismus Bad Harzburg. Dort formierte sich ein Arbeitskreis, der das Projekt seither konkret vorantreibt. Sprecher Stefan Scheele erklärte gegenüber der Goslarschen Zeitung: „Wir waren da, um Flagge zu zeigen.“ Damit bezog er sich auf eine Veranstaltung im Haus der Kirche, bei der über Erinnerungskultur und das Stolperstein-Projekt diskutiert wurde.
Auch Schüler:innen der Adolf-Grimme-Gesamtschule Oker sollen aktiv eingebunden werden. Sie haben bereits Erfahrung mit ähnlichen Projekten gesammelt und könnten bei der Biografie-Recherche und der Vorbereitung von Gedenkveranstaltungen eine wichtige Rolle spielen.
Ein ambitionierter Zeitplan – erste Verlegung 2027?
Die Initiative plant, erste Stolpersteine in Bad Harzburg im Jahr 2027 verlegen zu lassen. Bis dahin sind mehrere Schritte notwendig:
- Recherchen zu Opfern der NS-Zeit mit Bezug zu Bad Harzburg
- Identifikation geeigneter Standorte
- Einholung von Genehmigungen der Stadt und Grundstückseigentümer
- Finanzierung durch Spenden oder Patenschaften
- Koordination mit dem Büro von Gunter Demnig
Wie bei allen Stolperstein-Projekten ist der rechtliche Aspekt wichtig. Für die Verlegung im öffentlichen Raum braucht es die Zustimmung der Kommune. Diese Schritte sind in Bad Harzburg zwar noch nicht vollständig abgeschlossen, aber die Vorbereitungen laufen – unterstützt durch lokale Organisationen und ehrenamtliches Engagement.
Warum gerade Stolpersteine?
Die Entscheidung für Stolpersteine in Bad Harzburg ist Teil eines gesellschaftlichen Trends. Über 920 Städte und Gemeinden in Deutschland haben sich bisher beteiligt. Für viele kleinere Orte ist dies der erste Schritt zu einer sichtbaren Erinnerungskultur. Die Steine markieren keine historischen Gebäude, sondern Biografien – das macht sie so greifbar und konkret.
Ein zentrales Prinzip dabei: Die Wahl des Standorts erfolgt stets vor dem letzten frei gewählten Wohnort des Opfers. Die Stolpersteine erinnern an Menschen jüdischen Glaubens, an politische Gegner, an Homosexuelle, an Opfer der Euthanasie – an alle, die durch den NS-Staat entrechtet, verfolgt und ermordet wurden.
Fragen, die viele Bürger:innen bewegen
In Bad Harzburg stellen sich viele Menschen Fragen zur Umsetzung. Darf jede:r eine Verlegung beantragen? Wie läuft der Prozess ab? Laut Projektseite „stolpersteine.eu“ ist jede:r Bürger:in berechtigt, einen Antrag zu stellen, sofern das Einverständnis der Stadt und der Eigentümer gegeben ist. Die Kosten trägt in der Regel der Antragsteller oder ein Pate – derzeit etwa 132 € pro Stein.
Ein weiteres Thema: Wie viele Stolpersteine sollen verlegt werden? Derzeit steht noch keine konkrete Zahl fest, da die Biografie-Recherchen im Gange sind. Sicher ist: Jedes einzelne Schicksal wird sorgfältig dokumentiert, bevor ein Antrag gestellt wird. Die Namen der ersten Opfer stehen bislang nicht öffentlich fest.
Erinnerungskultur trifft zivilgesellschaftliches Engagement
Die geplante Verlegung ist kein isoliertes Projekt, sondern Teil eines breiten gesellschaftlichen Engagements. So ruft das Bündnis gegen Rechtsextremismus Bad Harzburg regelmäßig zu Gegenkundgebungen und Veranstaltungen auf. Auch Gruppen wie „Omas gegen Rechts Nord“ oder „Goslar gegen Rechtsextremismus“ organisieren Vorträge und Demonstrationen – etwa zum Thema Geschichtsrevisionismus.
Ein Beispiel dafür: Am 17. November 2025 findet im Bündheimer Schloss ein Vortrag mit dem Titel „Angriff auf die Demokratie – Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland“ statt. Solche Veranstaltungen bilden den kulturellen Rahmen, in dem sich auch die Stolperstein-Initiative bewegt. Sie zeigen: Die Erinnerungskultur ist in Bad Harzburg keine leere Hülle, sondern lebendige Praxis.
Wie geht es weiter?
Die nächsten Monate sind entscheidend. Die Beteiligten wollen den geplanten Arbeitskreis weiter stärken, historische Quellen auswerten, mit Angehörigen von Opfern Kontakt aufnehmen und Spenden sammeln. Parallel dazu sollen pädagogische Projekte an Schulen angestoßen werden, um junge Menschen für das Thema zu sensibilisieren.
Auch digital wächst das Projekt: Auf Plattformen wie Instagram kommuniziert das Bündnis gegen Rechtsextremismus regelmäßig mit Interessierten. Die sozialen Medien dienen dabei nicht nur der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch der Mobilisierung – etwa bei Gedenkveranstaltungen oder Infoabenden.
Stolpersteine als Chance für die Stadt
Für Bad Harzburg bedeutet das Projekt mehr als ein Gedenken – es ist auch ein politisches und kulturelles Statement. In einer Zeit, in der antisemitische Vorfälle und rechtsextreme Tendenzen wieder sichtbarer werden, setzen Stolpersteine ein sichtbares Zeichen gegen das Vergessen.
Die Stadt würde sich mit der Verlegung einreihen in ein europaweites Netzwerk der Erinnerung. Gleichzeitig wäre es ein Schritt zu mehr lokaler Identität – denn die Stolpersteine machen Geschichte konkret, persönlich und erfahrbar. Nicht irgendwo, sondern genau hier, vor der eigenen Haustür.
Perspektiven für die kommenden Jahre
2027 könnte ein bedeutendes Jahr für Bad Harzburg werden – wenn die ersten Stolpersteine tatsächlich verlegt werden. Doch schon heute ist das Projekt ein Motor für gesellschaftliches Miteinander und eine gelebte Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.
Bleibt die Unterstützung in Bevölkerung und Politik bestehen, hat Bad Harzburg die Chance, ein sichtbares Zeichen zu setzen: gegen das Vergessen, für die Menschenwürde – und für eine Stadt, die Geschichte nicht verdrängt, sondern sichtbar macht.







