
Falkenstein/Harz, 24. November 2025 – Nebel liegt über den sieben Ortsteilen der Stadt, das letzte Laub weht durch die engen Gassen, und das Selketal zeigt sich im spätherbstlichen Gewand. Doch in den Häusern brennt Licht, Kinderstimmen hallen über den Schulhof, und das Rathaus von Ermsleben leuchtet in freundlichem Gelb. Falkenstein lebt – und will wachsen.
„Starke Gemeinschaft“ als Antwort auf Bevölkerungsrückgang
Mit einer neuen Werbekampagne und dem selbstbewussten Slogan „Sieben Ortsteile, eine starke Gemeinschaft, mitten im Natur- und Kulturerbe Harz“ will die Stadt Falkenstein/Harz neuen Schwung in ihre Entwicklung bringen. Die knapp 5.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Harz setzt damit ein klares Signal gegen den demografischen Wandel, der in Sachsen-Anhalt vielerorts zu spürbaren Leerständen und Überalterung führt.
Die Stadt hat dafür sowohl eine Imagebroschüre als auch einen professionell produzierten Imagefilm veröffentlichen lassen, der in sozialen Medien, auf Messen und im kommunalen Amtsblatt verteilt wird. Zielgruppe sind insbesondere junge Familien und Rückkehrer aus urbanen Zentren. Sie sollen die Vorzüge des ländlichen Raumes mit guter Infrastruktur, familiärem Umfeld und naturnahem Wohnen neu entdecken.
Werben mit Lebensqualität statt nur mit Quadratmetern
„Es lebt sich einfach richtig gut hier“, betont Bürgermeister Rico Röse in der Broschüre. Seine Worte werden begleitet von Bildern aus Schulhöfen, Dorffesten und Wanderwegen. Es geht nicht nur um freie Immobilien – sondern um ein Gefühl von Zuhause. Die Stadt verweist dabei auf eine solide Infrastruktur mit mehreren Kitas und Schulen, einem aktiven Vereinsleben und regelmäßig stattfindenden Dorffesten in allen sieben Ortsteilen.
Demografie als Herausforderung: Zahlen belegen den Handlungsbedarf
Die Zahlen belegen die Notwendigkeit der Initiative: Noch 2021 zählte Falkenstein/Harz rund 5.166 Einwohner. Zwei Jahre später waren es nur noch 5.000 – Tendenz fallend. Laut Statistischem Landesamt Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 2024 ein Stand von 4.924 Einwohnern festgestellt. Das macht die Stadt zur kleinsten Einheitsgemeinde im gesamten Landkreis Harz.
Die Ursachen sind vielschichtig. Einerseits sorgt der demografische Wandel für Überalterung und Abwanderung. Besonders jüngere Frauen verlassen laut Studien ländliche Regionen Sachsen-Anhalts in Richtung urbaner Ballungsräume. Eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Länderkunde zeigt: Sachsen-Anhalt benötigt dringend Zuwanderung, insbesondere in ländlichen Räumen. Hier wird eine Willkommenskultur empfohlen, die durch gezielte Maßnahmen und Eigeninitiative vor Ort ergänzt werden soll.
IGEK und Standortpolitik: Strategien für alle Ortsteile
Bereits seit 2023 arbeitet Falkenstein/Harz mit einem integrierten Gemeindeentwicklungskonzept (IGEK), das in Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro „Amtshof Eicklingen“ entwickelt wurde. Ziel ist es, alle sieben Ortsteile – Endorf, Ermsleben, Meisdorf, Neuplatendorf, Pansfelde, Reinstedt und Wieserode – nachhaltig zu stärken.
Das Konzept analysiert Leerstände, Baulandpotenziale, Nahversorgung und Verkehrswege. Ein besonderer Fokus liegt auf der Aktivierung innerörtlicher Brachflächen sowie der Ansiedlung kleiner und mittlerer Betriebe, um das Arbeitsplatzangebot vor Ort zu verbessern. Auch die Gestaltung öffentlicher Räume wie Spielplätze und Dorfplätze spielt eine wichtige Rolle im Konzept.
Leerstand wird kreativ bekämpft – Beispiel Neuplatendorf
Ein besonders gelungenes Beispiel für lokale Initiative bietet der Ortsteil Neuplatendorf. Ortsbürgermeister Marcus Fleischer initiierte dort bereits vor Jahren einen „Immobilientag“ gegen den Leerstand: „Mit knapp 150 Einwohnern starteten wir eine Aktion, die bis heute nachwirkt.“ Eigentümer leerstehender Häuser und potenzielle Käufer oder Mieter wurden direkt zusammengebracht – ein Modell, das Schule machen könnte.
„Wir leben dort, wo andere Urlaub machen“ – echte Stimmen aus dem Harz
In den sozialen Medien präsentiert sich Falkenstein/Harz als digitale Gemeinschaft. Der offizielle Instagram-Kanal @stadtfalkensteinharz teilt regelmäßig Inhalte aus den Ortsteilen: Vereinsnachrichten, Veranstaltungstipps oder Berichte über Dorffeste. Das Motto „Wir leben dort, wo andere Urlaub machen“ ist dabei mehr als ein Slogan – es ist das Selbstverständnis der Einwohnerschaft.
Auch auf Facebook tauschen sich Bewohner aktiv aus. In lokalen Gruppen wird deutlich: Neben Stolz auf die Region gibt es auch kritische Stimmen. Themen wie Transparenz der Verwaltung, Leerstand, Schulwege oder ärztliche Versorgung werden dort offen diskutiert. Die „starke Gemeinschaft“, die die Stadt betont, zeigt sich hier als lebendige Bürgerbeteiligung – mit Zustimmung und Diskurs.
Wie attraktiv ist Falkenstein/Harz für junge Familien?
Diese Frage stellt sich vielen, die einen Umzug in Betracht ziehen. Die Antwort fällt differenziert aus. Einerseits bietet die Stadt eine vergleichsweise günstige Wohnlage, Natur direkt vor der Haustür, funktionierende Betreuungseinrichtungen und ein aktives Vereinsleben. Diese Vorteile werden in der Kampagne bewusst betont.
Andererseits steht Falkenstein vor Herausforderungen: Der Arbeitsmarkt ist klein, Pendlerstrecken lang, und die medizinische Versorgung ist – wie in vielen ländlichen Regionen – nicht flächendeckend verfügbar. Die Stadt versucht, diesen Schwächen durch gezielte Förderprojekte entgegenzuwirken. Dazu gehören die Ausweisung von Baugrundstücken, die Sanierung von Leerständen und die Zusammenarbeit mit Unternehmen, die sich im Stadtgebiet ansiedeln wollen.
Wie nachhaltig ist die Kampagne zur Einwohnergewinnung?
Die Kombination aus emotionaler Ansprache, digitalen Kanälen, direkter Ansprache vor Ort und planerischer Weitsicht wirkt stimmig. Die Einbindung von Social Media, etwa durch eine „Baumpflanz-Challenge“ mit Nachbargemeinden, zeigt, dass Falkenstein/Harz auch moderne Formate versteht. Das Ziel ist klar: Nicht nur neue Menschen sollen in die Stadt kommen – sie sollen bleiben und mitgestalten.
Dass dies gelingen kann, zeigen erste Rückmeldungen. Besonders Rückkehrer, die beruflich flexibel sind oder im Homeoffice arbeiten, sehen in Falkenstein eine lebenswerte Alternative zum Stadtleben. Auch für ältere Menschen bietet die Stadt ruhige Wohnlagen und gewachsene Strukturen.
Erste Zuzüge und neue Perspektiven – doch es bleibt viel zu tun
Die Kampagne zeigt Wirkung: Erste Familien haben sich laut Stadtverwaltung neu angemeldet, auch Anfragen nach Bauplätzen sind gestiegen. Doch der Weg bleibt lang. Es braucht weitere Förderungen, interkommunale Zusammenarbeit und auch eine Landespolitik, die ländliche Räume stärker unterstützt.
Falkenstein/Harz setzt auf Selbstbewusstsein statt Resignation. Der demografische Wandel ist nicht aufzuhalten – aber gestaltbar. Mit einer klaren Strategie, echter Bürgernähe und dem Mut zur digitalen Sichtbarkeit beweist die Stadt, dass auch kleine Gemeinden große Schritte gehen können.







