
Blankenburg/Harz – Der Harz steht vor einer seiner größten Herausforderungen: dem Wandel vom geschädigten Fichtenforst hin zu klimaangepassten Mischwäldern. Mit den Nachhaltigkeitswochen vom 18. September bis 12. Oktober 2025 will der NABU ein starkes Zeichen für die Zukunft der Region setzen. Zahlreiche Veranstaltungen, Symposien und Mitmachaktionen laden Bevölkerung, Wissenschaft und Politik ein, gemeinsam Perspektiven für die Wälder des Harzes zu entwickeln.
Der Harz im Wandel: Hintergründe der Nachhaltigkeitswochen
Der Harz ist seit Jahren stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Extreme Trockenheit, Stürme und der massenhafte Befall durch Borkenkäfer haben weite Teile der einstigen Fichtenwälder zum Absterben gebracht. Schätzungen zufolge sind allein seit 2018 mehr als 11.600 Hektar Fichtenwald im Nationalpark Harz verloren gegangen – das entspricht rund 90 Prozent der ursprünglichen Bestände. Diese dramatische Entwicklung zeigt, dass ein radikales Umdenken in der Waldwirtschaft und im Naturschutz notwendig ist.
Die Nachhaltigkeitswochen sollen einen Dialog eröffnen, der nicht nur Fachkreise, sondern auch die breite Bevölkerung einbezieht. Das NABU-Waldinstitut in Blankenburg versteht sich dabei als Kompetenzzentrum, das wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischer Waldwirtschaft und Umweltbildung verbindet.
Ein dichtes Programm für Natur, Bildung und Diskussion
Die Nachhaltigkeitswochen im Harz umfassen eine Vielzahl an Veranstaltungen. Gleich zu Beginn, vom 18. bis 21. September, steht das Thema „Schadflächen im Harz – Chance für eine neue nachhaltige Waldentwicklung“ im Fokus. Eine Ausstellung im Großen Schloss Blankenburg macht sichtbar, wie stark die Wälder betroffen sind und welche Potenziale sich aus dieser Krise ergeben.
Ein weiteres Highlight findet am 4. Oktober in Stolberg statt. Das Symposium „Nachhaltigkeit in Harzer Wäldern – Mein Wald der Zukunft, trotz Klimawandel“ bringt Forstexpert:innen, Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen zusammen, um aktuelle Fragen zur Zukunft der Harzer Wälder zu diskutieren.
Welche Baumarten prägen den Harz von morgen?
Eine der meistgestellten Fragen lautet: Welche Baumarten sollen bei der Wiederbewaldung im Harz bevorzugt gepflanzt werden? Das aktuelle Landesprogramm zur Waldentwicklung setzt klar auf eine Abkehr von Monokulturen. Der Anteil der Laubbäume soll auf über 58 Prozent steigen. Besonders Bergahorn, Vogelbeere, Birke, Espe und Traubeneiche gelten als klimaresistent und werden bevorzugt. Auch die Buche, vor allem in mittleren Lagen, spielt eine wichtige Rolle. Die Fichte hingegen wird künftig nur noch in höheren Lagen eine begrenzte Funktion haben.
Diese Veränderungen markieren einen Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang galt die Fichte als „Brotbaum der Forstwirtschaft“. Heute ist klar: Vielfalt im Wald bedeutet Resilienz gegenüber Klimastress und Schädlingsbefall.
Bürgerbeteiligung: Kann ich selbst aktiv mitmachen?
Viele Interessierte fragen sich: Kann ich bei den Nachhaltigkeitswochen im Harz aktiv mitarbeiten? Ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten. Pflanzaktionen, Exkursionen mit Citizen-Science-Ansatz und Diskussionsrunden öffnen den Raum für alle, die ihre Ideen und Tatkraft einbringen möchten. Besonders junge Menschen sollen angesprochen werden, auch über Bildungsprogramme wie „Natur im Klassenzimmer“, das Schüler:innen ab der 5. Klasse einen praktischen Zugang zu Wald- und Klimathemen ermöglicht.
So wird die Nachhaltigkeit nicht nur ein Schlagwort, sondern ein greifbares Erlebnis, das Handlungsoptionen aufzeigt.
Wissenschaft hautnah: Digitale Zwillinge und Messstationen
Das Programm sieht auch spannende Einblicke in die Welt der Forschung vor. Ein Tag der offenen Tür im Julius-Kühn-Institut erlaubt den Blick hinter die Kulissen moderner Waldforschung. Besucher:innen lernen dort die Messstationen „Fichtenretter“ kennen und erfahren, wie ein digitaler Zwilling des Waldes erstellt wird. Diese Technik ermöglicht es, Waldentwicklung zu simulieren und Szenarien für die Zukunft durchzuspielen.
Damit wird deutlich, dass die Nachhaltigkeitswochen nicht nur Naturerlebnis, sondern auch High-Tech bieten, die den Harz in die Zukunft führt.
Der Harz zwischen Krise und Chance
Die Bilder kahler Berghänge haben in den letzten Jahren viele Besucher:innen erschüttert. Eine Umfrage der Universität Hamburg zeigt, dass Einheimische und Gäste die Waldverluste als Krise wahrnehmen. Zugleich äußern viele Befragte die Hoffnung, dass in der Katastrophe auch eine Chance liegt: den Harz neu und widerstandsfähig zu gestalten.
Ein Beispiel dafür liefert die Nachtfalterforschung von Dr. Anne Graser. Sie konnte nachweisen, dass Waldstörungen die Artenvielfalt bei Nachtfaltern sogar fördern können. Offenflächen und junge Sukzessionsstadien bieten neuen Lebensraum. Das zeigt, dass selbst zerstörte Wälder wertvolle Lebensräume schaffen können.
Wie geht das Aktionsprogramm mit Waldschäden, Wasser und Tierwelt um?
Das NABU-Aktionsprogramm setzt sich mit den Kernfragen auseinander: Wie verändert sich die Wasserqualität in Zeiten massiver Waldverluste? Welche Folgen ergeben sich für Tiere wie Fledermäuse, die als biologische Schädlingsbekämpfer eine wichtige Rolle spielen? Und wie lassen sich neue Wälder so gestalten, dass sie sauberes Trinkwasser sichern und stabile Lebensräume bieten?
Antworten liefern Fachvorträge, Führungen und Diskussionsrunden. Dabei wird betont, dass Nachhaltigkeit im Harz nicht nur eine Frage des Waldes ist, sondern auch der gesamten regionalen Infrastruktur.
Tourismus, Mobilität und Nachhaltigkeit
Der Harz lebt vom Tourismus – doch über 90 Prozent der Gäste reisen nach wie vor mit dem Auto an. Der NABU mahnt hier an, alternative Konzepte stärker zu fördern. Shuttle-Angebote, eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und das HATIX-Urlaubsticket sollen dazu beitragen, die Umweltbelastung zu verringern. Denn ein nachhaltiger Wald braucht auch nachhaltigen Tourismus.
Symposien, Ausstellungen und Streitpunkte
Neben den geplanten Veranstaltungen gab es in der Vergangenheit auch Kontroversen. Ein Beispiel ist der Streit um Totholzentnahmen in der Nähe von Schierke, der zwischen Nationalparkverwaltung und NABU beigelegt wurde. Dabei prallten unterschiedliche Interessen aufeinander: Brandschutz und Sicherheit für Anwohner:innen einerseits, Artenvielfalt und Ökologie andererseits. Die Einigung zeigt, wie schwierig, aber auch notwendig es ist, Kompromisse im Harz zu finden.
Ausstellungen und Symposien während der Nachhaltigkeitswochen greifen diese Diskussionen auf und zeigen, wie Theorie und Praxis miteinander verbunden werden können.
Welche Rolle spielt Forschung und Technik?
Auch diese Frage stellen sich viele Besucher:innen: Welche Rolle spielt Forschung und Technik im Aktionsprogramm? Die Antwort ist klar: eine zentrale. Der digitale Zwilling des Waldes und innovative Messstationen verdeutlichen, dass Datenbasis und Simulationen entscheidend für die zukünftige Waldplanung im Harz sind. Forschung liefert die Grundlagen für fundierte Entscheidungen, die über Generationen hinweg Bestand haben sollen.
Harz als Modellregion für Nachhaltigkeit
Die Nachhaltigkeitswochen haben das Potenzial, den Harz bundesweit als Modellregion zu positionieren. Hier treffen sich dramatische ökologische Herausforderungen mit innovativen Ansätzen, Bürgerengagement und wissenschaftlicher Expertise. Die Verbindung zu den Deutschen Aktionstagen Nachhaltigkeit unterstreicht, dass der Harz Teil einer größeren Bewegung ist, die weit über die Region hinausstrahlt.
Besonders bemerkenswert ist die Vielfalt der Akteure: Vom NABU-Waldinstitut über Universitäten und Forschungsinstitute bis hin zu engagierten Bürger:innen, Schüler:innen und Tourist:innen. Alle tragen dazu bei, die Wälder der Zukunft zu gestalten.
Ein Blick auf die Veranstaltungen im Überblick
- 18.–21. September: Ausstellung „Schadflächen im Harz – Chance für eine neue Waldentwicklung“ in Blankenburg
- 24. September: Fledermausbeobachtung an der Heimkehle in Uftrungen
- 4. Oktober: Symposium „Nachhaltigkeit in Harzer Wäldern“ in Stolberg
- Laufend: Pflanzaktionen, Exkursionen und Citizen-Science-Angebote
- Tag der offenen Tür im Julius-Kühn-Institut mit Vorstellung des digitalen Waldzwillings
Fazit: Der Harz auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft
Die Nachhaltigkeitswochen 2025 im Harz zeigen eindrucksvoll, wie eine Region mit schweren Krisen umgehen kann. Der Verlust von riesigen Fichtenbeständen ist eine Zäsur, die den Charakter des Harzes grundlegend verändert. Doch die Veranstaltungen machen Mut: Sie verbinden Forschung mit Praxis, Bürgerbeteiligung mit Fachwissen und Tradition mit Innovation.
Der Harz könnte in den kommenden Jahren zu einem Vorbild werden – für einen Wandel, der Klimaanpassung, Artenvielfalt, Tourismus und gesellschaftliche Teilhabe miteinander verbindet. Am Ende steht nicht nur ein neuer Wald, sondern eine neue Haltung: Der Harz als lebendiges Beispiel für Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert.