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Goslar trauert: Inge Graus – Die älteste „Oma gegen Rechts“ stirbt mit 97 Jahren

Goslar – Sie war nicht nur ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in Goslar, sondern auch eine der markantesten Stimmen gegen Rechtsextremismus in der Region: Inge Graus, mit 97 Jahren wohl die älteste aktive Teilnehmerin der Initiative „Omas gegen Rechts“, ist verstorben. Ihre Lebensgeschichte und ihr unermüdliches Engagement machen sie zu einer Symbolfigur – für Courage, Erinnerung und eine gelebte demokratische Verantwortung.

Ein Leben gegen das Vergessen

Inge Graus wurde 1927 geboren und wuchs in Lutter und Othfresen auf. Ihre Kindheit und Jugend waren geprägt von den Erfahrungen der NS-Zeit. Viele Jahrzehnte später erinnerte sie sich in Interviews öffentlich an diese dunklen Jahre – nicht aus Nostalgie, sondern aus Verantwortung: „Wer das Grauen einmal erlebt hat, kann nie mehr einfach nur zusehen“, sagte sie anlässlich ihres 97. Geburtstags in einem Gespräch mit der Goslarschen Zeitung.

Ihre Worte machten Eindruck. Gerade weil sie als Zeitzeugin sprach, verliehen ihre Aussagen den Protesten der „Omas gegen Rechts“ eine besondere Tiefe. Bis wenige Tage vor ihrem Tod setzte sich Inge Graus aktiv gegen Rechtsruck, Antisemitismus und Demokratieverachtung ein – auf Demonstrationen, in Gesprächen, in den sozialen Netzwerken.

Wer sind die „Omas gegen Rechts“?

Die Initiative „Omas gegen Rechts“ entstand 2017 in Wien als Reaktion auf die rechtspopulistische Politik in Österreich. 2018 verbreitete sich die Bewegung auch in Deutschland. Heute zählt das Netzwerk über 30.000 Mitglieder, organisiert in rund 100 lokalen Gruppen. Auch in Goslar und dem Harz formierte sich eine aktive Ortsgruppe, in der Inge Graus eine prägende Figur wurde.

Wofür stehen die „Omas gegen Rechts“?

  • Aktiver Einsatz für Demokratie und Menschenrechte
  • Gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus
  • Parteiunabhängig, friedlich und generationenverbindend

Ihre auffälligen pinken Mützen – inspiriert von der US-amerikanischen Protestkultur – sind längst zu einem Markenzeichen geworden. Sie stehen für Widerstand, aber auch für Wärme, Fürsorge und die Kraft der Generation, die oft übersehen wird.

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Inge Graus: Die Stimme einer Zeitzeugin

„Alt sein heißt nicht stumm sein“ – dieser Leitspruch war für Inge Graus keine Floskel, sondern Lebenshaltung. Als ehemalige Ausbilderin in Bad Harzburg sah sie es als ihre Aufgabe, nicht nur Wissen, sondern auch Haltung weiterzugeben. Ihr Engagement war dabei nicht auf Versammlungen beschränkt: In privaten Gesprächen, in Leserbriefen und auf Demonstrationen erinnerte sie daran, wie leicht Demokratie zerstört werden kann – und wie wichtig es ist, für sie zu kämpfen.

„Wir dürfen den Rechten keinen Platz lassen – nicht in unseren Straßen, nicht in unseren Köpfen und erst recht nicht in unseren Parlamenten.“ – Inge Graus

Digitale Sichtbarkeit und reale Wirkung

Besonders bemerkenswert: Auch mit 97 Jahren war Inge Graus digital aktiv. Sie nahm an Online-Konferenzen teil, ließ sich in der Anwendung sozialer Netzwerke schulen und unterstützte digitale Kampagnen gegen Hassrede. Die Initiative selbst fördert diese Entwicklung gezielt mit Workshops zur Medienkompetenz für ältere Menschen – etwa durch Kooperationen mit der Amadeu Antonio Stiftung.

Wie nutzen „Omas gegen Rechts“ soziale Medien und digitale Tools?

Viele Gruppen organisieren sich über Facebook, WhatsApp oder Zoom. Sie veröffentlichen Aufrufe, dokumentieren Proteste und führen digitale Gegenrede. Dank gezielter Schulungen schaffen es immer mehr ältere Aktivistinnen, sich auch online wirkungsvoll gegen rechte Ideologien zu positionieren.

Herausforderungen und Anfeindungen

Doch das Engagement bleibt nicht ohne Gegenwind. In Foren wie Reddit berichten Teilnehmerinnen von Hassbotschaften, persönlichen Angriffen und gezielten Störaktionen bei Online-Veranstaltungen. Besonders in ländlichen Regionen wie dem Harz werden „Omas gegen Rechts“ oft zur Zielscheibe rechter Gruppen.

So schilderte eine Aktivistin anonym: „In unserer Facebook-Gruppe kursierten plötzlich gefälschte Beiträge mit Hetze, angeblich von uns. Wir mussten alles mehrfach moderieren.“ Trotzdem: Die Gruppen bleiben standhaft – auch dank der Solidarität untereinander und der Rückendeckung vieler Bürger.

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Wie finanzieren sich lokale Gruppen der „Omas gegen Rechts“?

Ein häufiger Irrglaube ist, dass die Gruppen staatlich hoch gefördert würden. Tatsächlich basiert die Finanzierung größtenteils auf privaten Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Nur wenige Gruppen erhalten projektbezogene Fördermittel, etwa über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Großdemonstrationen wie in München oder Berlin werden meist in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen realisiert.

Widerstand als Generationenprojekt

Ein prägendes Element der Bewegung ist der generationenübergreifende Charakter. Viele Kinder und Enkel begleiten ihre Eltern und Großeltern zu Veranstaltungen. Einige junge Aktivisten berichten, wie ihre „Oma gegen Rechts“ sie politisiert habe. In Foren heißt es: „Meine Mutter geht jede Woche demonstrieren – sie ist 81. Und sie nimmt meinen Sohn mit.“

Größere Treffen und gesellschaftliche Resonanz

Im August 2024 fand der erste bundesweite Kongress der „Omas gegen Rechts“ in Erfurt statt – mit rund 300 Teilnehmerinnen. Diskutiert wurden Strategien gegen Rechtsradikalismus, die Rolle der Generation 60+ in der politischen Bildung sowie die Zukunft digitaler Protestformen. Auch Inge Graus wurde dort in Abwesenheit geehrt.

Welche Auszeichnungen haben die „Omas gegen Rechts“ erhalten?

Auszeichnung Jahr Bedeutung
Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage 2020 Würdigung des gesellschaftlichen Engagements
Aachener Friedenspreis 2024 Auszeichnung für den gewaltfreien Protest
Regine-Hildebrandt-Preis 2023 Einsatz für soziale Gerechtigkeit

Welche Wirkung haben Proteste gegen Rechts wirklich?

Eine wichtige Frage, die auch Forscher beschäftigt. Studien und Umfragen zeigen: Die massive Protestwelle Anfang 2024 – an einem einzigen Wochenende nahmen über 900.000 Menschen teil – hatte messbare Effekte. In manchen Regionen sank die Zustimmung zur AfD leicht. Besonders auffällig: Wo lokale Gruppen wie die „Omas gegen Rechts“ aktiv sind, ist die Wahlbeteiligung höher und das Vertrauen in demokratische Institutionen stabiler.

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Gedenken und Vermächtnis

Mit dem Tod von Inge Graus verliert Goslar nicht nur eine engagierte Bürgerin, sondern auch eine mahnende Stimme der Erinnerungskultur. Ihr Leben steht exemplarisch für den Weg von der erlebten Diktatur zur aktiven Verteidigung der Demokratie. Sie verband Vergangenheit und Zukunft, ohne den Blick für die Gegenwart zu verlieren.

Die Ortsgruppe Goslar kündigte an, ihre Arbeit in ihrem Sinne fortzusetzen. Geplant ist ein Erinnerungsbaum in der Nähe des Stadtparks sowie eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Perspektiven aus 97 Jahren“. Auch eine Kooperation mit Schulen ist angedacht, um das Vermächtnis von Inge Graus lebendig zu halten.

Ein letzter Gedanke

Der Abschied von Inge Graus ist mehr als das Ende eines Lebens. Er erinnert uns an die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements, das weit über Altersgrenzen hinweg wirkt. Wenn eine 97-jährige Frau mit klarer Stimme sagt, „Wir dürfen nie wieder zulassen, was damals geschah“, dann ist das kein Appell an die Politik – sondern an uns alle. Der Mut, sich einzumischen, kennt kein Alter. Und das Vermächtnis von Inge Graus bleibt ein Leuchtfeuer in Zeiten, die Orientierung brauchen.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.