
Schulenberg im Oberharz – Nach mehr als einem halben Jahrhundert geht auf der Okertalsperre ein Stück Harzer Tourismusgeschichte zu Ende. Die traditionsreiche Fahrgastschifffahrt mit der MS „Aquamarin“ ist eingestellt. Eine Kombination aus wirtschaftlichen Problemen, organisatorischen Hürden und infrastrukturellen Einschränkungen führte zu diesem endgültigen Schritt.
Ein traditionsreiches Kapitel schließt sich
Seit Anfang der 1970er Jahre prägten Fahrten auf der Okertalsperre – im Volksmund auch Okersee genannt – das touristische Angebot der Region. Die Linien- und Rundfahrten boten nicht nur eine Möglichkeit, die landschaftliche Schönheit des Harzes vom Wasser aus zu erleben, sondern waren auch ein Aushängeschild für den regionalen Tourismus. Mit der MS „Aquamarin“, die 1968 gebaut und im Jahr 2001 an den Okersee geholt wurde, verfügte die Region über das höchste Linienschiff in Niedersachsen. Bis zu 250 Gäste fanden an Bord Platz, um eine etwa 1,5-stündige Tour zu genießen – bei besonderen Anlässen sogar bis zu 400 Personen.
Warum wurde die Schifffahrt eingestellt?
Die Einstellung hat mehrere Ursachen, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend verstärkt haben. Bereits im Dezember 2024 meldete der langjährige Betreiber Insolvenz an. Versuche, einen neuen Betreiber zu finden, scheiterten an einer Kombination aus wirtschaftlichen Risiken, gesetzlichen Auflagen und organisatorischen Herausforderungen. Eine zentrale Rolle spielte auch die Vorgabe der Harzwasserwerke, dass das Schiff nicht dauerhaft im See verbleiben durfte, was den Betrieb logistisch erschwerte.
„Zurzeit finden keine Rundfahrten statt“ – so nüchtern formulierte es der Hinweis auf der offiziellen Betreiberseite, der für viele Stammgäste das Ende einer liebgewonnenen Tradition bedeutete.
Infrastruktur als zusätzlicher Stolperstein
Ein weiterer belastender Faktor war die Sperrung der Bramkebrücke an der L517, einer wichtigen Verbindung zum See. Diese Vollsperrung erschwerte nicht nur die Anreise für Touristen, sondern auch den logistischen Betrieb. Die Landesbehörde plant den Abriss und Neubau der Brücke, doch der Baustart ist erst für September 2025 vorgesehen. Damit wäre die Erreichbarkeit selbst bei einer möglichen Wiederaufnahme des Schifffahrtsbetriebs langfristig eingeschränkt geblieben.
Langfristige Folgen der Brückensperre
Die eingeschränkte Erreichbarkeit betraf nicht nur Tagesausflügler, sondern auch Hotels, Restaurants und Freizeitanbieter rund um den See. Für viele Betriebe bedeutete der Rückgang an Besuchern weniger Umsatz, gerade in den Sommermonaten. Auch Vereine, die regelmäßig Ausflüge auf der MS „Aquamarin“ organisierten, verloren einen festen Bestandteil ihrer Veranstaltungen.
Ein Blick zurück: Die Bedeutung der MS „Aquamarin“
Die „Aquamarin“ war mehr als nur ein Ausflugsschiff – sie war ein Symbol für die Verbindung von Naturerlebnis und regionaler Gastfreundschaft. Neben den regulären Fahrten bot sie thematische Touren, Eventfahrten und sogar Hochzeiten im eleganten „Blauen Salon“ an Bord an. Diese Vielfalt machte sie zu einem besonderen Anziehungspunkt, der weit über den Harz hinaus bekannt war.
Ein Alleinstellungsmerkmal in Niedersachsen
Mit ihrer Lage war die Okertalsperre die höchstgelegene Linienschifffahrt in Niedersachsen. Der Blick vom Schiff auf die umgebenden Berge, besonders im Herbst, wenn sich der Harz in goldene und rote Farbtöne hüllte, war für viele Gäste ein unvergessliches Erlebnis. Für den Tourismus war diese Attraktion ein klarer Wettbewerbsvorteil, der nun verloren geht.
Herausforderungen im Betrieb
Die Gründe für das Aus lassen sich auch in den steigenden Betriebskosten finden. Mindestlohnanpassungen, Personalmangel in der Gastronomie und wetterbedingte Ausfälle machten den Betrieb immer schwieriger. Dazu kam die Notwendigkeit, regelmäßige Wartungen und Sicherheitschecks durchzuführen – ein Aspekt, der durch einen Beinahe-Unfall im Jahr 2020 besondere Aufmerksamkeit erhielt. Damals drohte Wassereinbruch, was die Betreiber zu weiteren Investitionen zwang.
Fragen, die sich viele nun stellen
Gibt es Hoffnung auf neue Betreiber für die Schifffahrt am Okersee?
Bislang gibt es keine konkreten Pläne oder bestätigten Interessenten, die den Betrieb übernehmen wollen. Die bisherigen Verhandlungen sind gescheitert, und angesichts der bestehenden Infrastrukturprobleme und Auflagen bleibt die Lage ungewiss.
Seit wann gibt es keine Schifffahrt mehr auf der Okertalsperre?
Die letzten Fahrten fanden Ende Juli 2025 statt. Am 12. August 2025 bestätigten regionale Medien und der NDR offiziell das endgültige Aus.
Wie viele Jahre existierte die Fahrgastschifffahrt auf der Okertalsperre?
Die Tradition reicht über fünf Jahrzehnte zurück. Mit der ersten Inbetriebnahme Anfang der 1970er Jahre und dem Einsatz der MS „Aquamarin“ seit 2001 hat die Schifffahrt über 50 Jahre lang den Harzer Tourismus geprägt.
Reaktionen aus der Bevölkerung
In sozialen Medien und lokalen Foren überwiegen zwei Emotionen: Nostalgie und Kritik. Viele teilen persönliche Erinnerungen an Ausflüge, Vereinsfahrten oder Hochzeiten auf der „Aquamarin“. Andere kritisieren, dass nicht früher gehandelt wurde, um die Attraktion zu retten. In Facebook-Gruppen wie „Reiseland Harz“ werden Fotos und Videos vergangener Fahrten geteilt – verbunden mit der Hoffnung, dass irgendwann ein neuer Betreiber gefunden wird.
Missverständnisse in der Berichterstattung
Interessanterweise kam es in einigen Online-Portalen zu Verwechslungen, bei denen fälschlich vom „Oderstausee“ die Rede war. Solche Fehler zeigen, wie wichtig sorgfältige Recherche und klare Kommunikation sind – besonders, wenn es um regionale Besonderheiten geht.
Touristische und wirtschaftliche Auswirkungen
Der Wegfall der Schifffahrt hinterlässt eine spürbare Lücke im touristischen Angebot der Region. Hotels und Gasthöfe müssen sich auf weniger Übernachtungsgäste einstellen, und gastronomische Betriebe am und um den See verlieren einen Teil ihrer Laufkundschaft. Besonders betroffen sind Anbieter, die in der Vergangenheit Kombiangebote mit Schifffahrt, Wanderungen und Gastronomie organisiert haben.
Mögliche Alternativen
Einige Stimmen schlagen vor, verstärkt auf kleinere, muskelbetriebene Boote zu setzen, um zumindest eine Form von Wassererlebnis anbieten zu können. Kanus und Tretboote könnten kurzfristig die Lücke füllen, auch wenn sie den Charme einer großen Rundfahrt nicht ersetzen können. Andere regen an, den Schwerpunkt stärker auf Wander- und Radtourismus zu legen.
Offene Fragen zur Zukunft
Ob die Schifffahrt auf der Okertalsperre jemals wieder aufgenommen wird, hängt von mehreren Faktoren ab: der Sanierung der Infrastruktur, der Klärung von Auflagen mit den Harzwasserwerken und der Bereitschaft eines Investors, die hohen Anfangskosten zu tragen. Bis dahin bleibt der See ein beliebtes Ausflugsziel – allerdings ohne die MS „Aquamarin“.
Mit dem Ende der Fahrgastschifffahrt auf der Okertalsperre endet mehr als nur ein touristisches Angebot. Für viele Menschen ist es das Verschwinden eines vertrauten Bildes – das weiße Schiff, das gemächlich über das Wasser gleitet, während im Hintergrund die Harzer Berge aufragen. Es ist auch ein Symbol dafür, wie stark regionale Attraktionen von wirtschaftlichen, infrastrukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen abhängen. Der Okersee wird weiter Besucher anziehen, doch ohne die „Aquamarin“ wird er für viele nie mehr ganz derselbe sein.