Oberharz

Neustart für Osterodes Altstadt: Wie die Harzstadt gegen den Verfall kämpft

Historischer Marktplatz mit Fachwerkhäusern und Brunnen – so könnte der modernisierte Kornmarkt künftig wirken. (Symbolbild – exemplarisch)

Osterode am Harz – Die mittelalterliche Altstadt mit ihren Fachwerkfassaden, engen Gassen und traditionsreichen Plätzen war lange Zeit ein Aushängeschild der Harzregion. Doch Leerstände, bröckelnde Fassaden und schwindender Publikumsverkehr machten dem historischen Zentrum zunehmend zu schaffen. Nun startet Osterode mit einem ambitionierten Sanierungsprogramm einen neuen Versuch, die Altstadt zu retten – und fit für die Zukunft zu machen.

Ein Ort mit Geschichte – und Herausforderungen

Osterode gilt als „Tor zum Harz“ und ist reich an kulturhistorischem Erbe. Über 500 denkmalgeschützte Gebäude prägen das Stadtbild. Doch trotz des architektonischen Reichtums kämpft die Stadt seit Jahren mit einem schleichenden Verfall der Altstadt. Der demografische Wandel, das Aussterben des Einzelhandels und jahrelange Zurückhaltung bei Investitionen führten dazu, dass viele Gebäude leer stehen oder nicht mehr genutzt werden können.

Bereits im Zensus 2022 wurden für Osterode und vergleichbare Orte im Harz Leerstandsquoten über dem Landesdurchschnitt ermittelt. Während einige Orte auf 4 bis 5 Prozent Leerstand kommen, sind es in Stadtteilen von Osterode deutlich mehr – bei gewerblichen Flächen sogar bis zu 30 Prozent. Der einst lebendige Stadtkern drohte zur Geisterkulisse zu werden.

Warum verfällt die Altstadt von Osterode trotz Sanierungskonzepten immer noch?

Die Altstadt wurde in der Vergangenheit zwar mehrfach in Sanierungsprogramme aufgenommen – zuletzt in den 1990er Jahren. Doch viele dieser Projekte wurden entweder nur teilweise umgesetzt oder durch politische und finanzielle Rahmenbedingungen frühzeitig beendet. Aktuelle Herausforderungen wie der zunehmende Online-Handel, fehlende Parkflächen und unattraktive Gebäudestrukturen trugen weiter zum Verfall bei. Ein Geschäftsinhaber formulierte es auf einer lokalen Facebook-Seite so: „Unsere Kundschaft stirbt weg oder kauft bei Amazon – wie sollen wir da überleben?“

Der neue Plan: Sanierung als Stadtstrategie

Mit dem Neustart des Kornmarkts setzt Osterode nun gezielt auf eine Verbindung von baulicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Die Sanierung des zentralen Platzes beginnt im Sommer 2025 und soll sich bis 2029 erstrecken. Ziel ist es, nicht nur die Infrastruktur zu modernisieren, sondern einen Begegnungsort zu schaffen, der Aufenthaltsqualität bietet und den Stadtkern wiederbelebt.

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Wie lange dauert die Sanierung des Kornmarkts in Osterode – und warum?

Die Arbeiten wurden in mehrere Bauphasen unterteilt. Neben der Erneuerung von Pflaster und Versorgungsleitungen sollen neue Aufenthaltsbereiche mit Bäumen, Brunnen, Sitzgelegenheiten und Veranstaltungsflächen entstehen. Die lange Laufzeit ist vor allem auf die komplexe historische Substanz zurückzuführen – jede Maßnahme muss den Denkmalschutz beachten und technisch aufwendige Lösungen für das Untergrundsystem finden.

Wer finanziert die Sanierung in der Osteroder Altstadt?

Die Stadt wird bei der Finanzierung vom Bund und dem Land Niedersachsen unterstützt. Programme wie „Wachstum und nachhaltige Erneuerung“ oder der „Städtebauliche Denkmalschutz“ liefern den finanziellen Rahmen. Die Stadt Osterode selbst bringt Eigenmittel ein und erhält zusätzliche Projektförderungen etwa für die Sanierung des Johannistorhauses oder der Schachtrupp-Villa, die für kulturelle und soziale Zwecke umgestaltet wurden.

Mehr als Steine: Die Rolle der Bürgerinnen und Bürger

Wurde die Bevölkerung in die Planung eingebunden?

Ja. Bereits im Jahr 2019 startete die Stadt ein breites Beteiligungsverfahren. Im Rahmen von Planungswerkstätten, Umfragen und Begehungen konnten Bürgerinnen und Bürger über Pflasterarten, Grünflächen, Beleuchtung und Nutzungskonzepte mitentscheiden. Über 120 Einwohner beteiligten sich aktiv, darunter auch Schülerinnen, Senioren, Gewerbetreibende und Menschen mit Behinderungen.

Ein Beispiel für gelebte Inklusion war das Stadtfest 2024, bei dem über 200 Künstler und Akteure den Kornmarkt trotz Baustelle belebten. Die Veranstaltung wurde als inklusives Kulturprojekt organisiert – mit Alpakas, Straßentheater, Rollstuhltanz und barrierefreien Führungen. Damit zeigte sich: Die Altstadt kann auch unter schwierigen Bedingungen ein Raum für alle sein.

Stadtbild im Wandel – historische Gebäude zwischen Leerstand und Vision

Gibt es Nachnutzungskonzepte für leerstehende Gebäude wie das alte Kino?

Ein weiteres zentrales Projekt ist die sogenannte Konzeptvergabe am Brauhausplatz. Hier befand sich früher ein Kino, das nun einem neuen Nutzungsmix weichen soll. Die Stadt schreibt das Areal öffentlich aus – Interessenten müssen nicht nur investieren, sondern ein Nutzungskonzept vorlegen, das langfristig zur Belebung der Altstadt beiträgt. Favorisiert werden Mischnutzungen mit Gastronomie, kleinteiligem Handel, Ateliers oder barrierefreiem Wohnen.

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Gibt es alternative Modelle gegen Verfall, etwa Genossenschaften?

Tatsächlich wird auch über alternative Eigentumsmodelle diskutiert. In anderen Fachwerkstädten wie Einbeck oder Northeim konnten Bürgergenossenschaften erfolgreich Gebäude erwerben und renovieren. Die Stadt Osterode prüft derzeit, ob ein solcher Ansatz auch vor Ort realisierbar wäre – etwa über Erbpachtlösungen oder Förderfonds für sanierungswillige Privatpersonen.

Altstadt als sozialer Raum: Zwischen Begegnung und Konflikt

Wie wird mit sozialräumlicher Fragmentierung und Inklusion umgegangen?

Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind soziale Spannungen in der Innenstadt. In den vergangenen Jahren häuften sich Beschwerden über Vandalismus, Ruhestörungen und Konflikte im öffentlichen Raum. In sozialen Medien wie Facebook beklagen Anwohner zunehmend ein „raueres Klima“ auf öffentlichen Plätzen wie dem Kornmarkt. Die Stadt hat deshalb ein Konzept zur sozialen Raumbeobachtung aufgelegt und setzt auf Quartiersmanagement mit Ansprechpartnern direkt vor Ort.

Derzeit ist die Auenstraße ein zentraler Ankerpunkt, an dem Jugendarbeit, Sozialberatung und Stadtteilentwicklung zusammenkommen. Die Integration benachteiligter Gruppen soll über Angebote wie Begegnungscafés, Jugendkulturveranstaltungen und aufsuchende Sozialarbeit verbessert werden.

Einbindung in regionale Entwicklungsnetzwerke

Osterode agiert nicht isoliert. Die Stadt ist Teil des Verbunds „Fachwerk5Eck“ – ein regionales Netzwerk historischer Mittelstädte, das Erfahrungsaustausch, PR und Tourismuskonzepte gemeinsam entwickelt. Ziel ist es, die Altstadt nicht nur baulich zu sichern, sondern als kulturelles Zentrum zu stärken.

Darüber hinaus wurden Projekte wie ein Multimedia-Guide („Walburga und die Eseltreiber“) gestartet, die Gästen per Smartphone einen interaktiven Zugang zur Geschichte der Altstadt bieten. Solche digitalen Formate werden besonders von jüngeren Zielgruppen gut angenommen – und sind ein Beweis, dass Tradition und Innovation kein Widerspruch sein müssen.

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Wie kann Osterode dem demografischen Wandel begegnen?

Der Rückgang junger Bevölkerung, die Abwanderung ins Umland und die Alterung der Stadtgesellschaft sind Herausforderungen, die viele Mittelstädte betreffen. Osterode setzt hier auf Umnutzungskonzepte: Gewerbeflächen im Erdgeschoss sollen in Wohnungen umgewandelt werden, neue Wohnformen wie generationenübergreifendes Wohnen oder betreute Wohngemeinschaften sind in Planung.

Problem Geplante Maßnahme
Leerstand Konzeptvergaben, Genossenschaftsmodelle
Demografischer Wandel Umnutzung zu altersgerechtem Wohnen
Soziale Konflikte Quartiersmanagement, Bürgerdialoge
Tourismusrückgang Multimedia-Guides, Erlebnisangebote

Ein historischer Neuanfang mit modernen Werkzeugen

Die Sanierung der Altstadt in Osterode ist mehr als ein Bauprojekt – sie ist ein gesellschaftlicher Prozess, der viele Ebenen miteinander verbindet: Denkmalschutz, soziale Integration, Wirtschaftsförderung und kulturelle Bildung. Die Stadt wagt den Spagat zwischen Geschichte und Moderne, zwischen Fachwerk und Digitalisierung. Dabei setzt sie auf Beteiligung, regionale Netzwerke und eine klare strategische Linie.

Ob die Maßnahmen langfristig wirken, wird sich zeigen. Doch allein die Breite des neuen Ansatzes, die konsequente Bürgerbeteiligung und die erkennbare Offenheit für neue Ideen lassen hoffen, dass Osterodes Altstadt nicht nur saniert, sondern tatsächlich wieder belebt wird. Die Stadt hat den Mut zum Wandel – und vielleicht ist genau das das beste Fundament für eine zukunftsfähige Innenstadt.

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Über den Autor

Berichte und Artikel

Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.